zum Hauptinhalt

Politik: Blutige Straßenschlachten in La Paz

Bei Protesten gegen Boliviens Staatschef weitere 28 Tote / Kokabauern wollen nicht mehr mit der Regierung verhandeln

Die bürgerkriegsähnlichen Unruhen in Bolivien haben sich zugespitzt. Gewerkschaften und Oppositionsparteien beschlossen, ihre Proteste bis zum Rücktritt von Präsident Gonzalo Sanchez de Lozada fortzusetzen. In der Metropole La Paz und der Trabantenstadt El Alto kam es wieder zu Straßenschlachten; dabei wurden erneut 28 Menschen getötet und Dutzende verletzt. UN-Generalsekretär Kofi Annan äußerte seine Besorgnis über die jüngsten gewalttätigen Proteste in Bolivien. Annan sei „tief besorgt" über die anhaltende Gewalt, die in den vergangenen Tagen zu zahlreichen Todesopfern geführt habe, teilte ein Sprecher des UN-Generalsekretärs am Dienstag in einer Erklärung in New York mit.

Boliviens Präsident Sanchez de Lozada lehnte einen Amtsverzicht kategorisch ab, verlor aber zusehends an Rückhalt. Sein Vizepräsident Carlos Mesa entzog ihm das Vertrauen wegen der Unterdrückung durch die Sicherheitskräfte. Drei Minister des rechtspopulistischen Koalitionspartners NFR und der Wirtschaftsminister vom linken Koalitionspartner MIR verließen das Kabinett. Entzündet hatten sich die Proteste an einem Projekt zum Export von Gas über das ungeliebte Nachbarland Chile in die USA. Die Opposition und die Gewerkschaften hatten die niedrigen Gewinnspannen für den Staat kritisiert. Während der dreiwöchigen Unruhen waren etwa 60 Menschen ums Leben gekommen. Unterdessen weiteten sich die Demonstrationen aus. Streikende Bergarbeiter machten sich von Oruro, rund 300 Kilometer südlich von La Paz, auf den Weg in die belagerte Metropole, in der Panzer und schwer bewaffnete Soldaten Tausende von Demonstranten in Schach hielten. Banken und Geschäfte hatten geschlossen, vereinzelt kam es zu Plünderungen.

Nach Angaben von Menschenrechtsorganisationen drohte den Krankenhäusern in den Städten La Paz und El Alto ein Kollaps. Es fehlten Ärzte und Blutkonserven. Wegen der Unruhen wurden fast alle Flüge nach La Paz storniert. In der Region um die Stadt Cochabamba, der wichtigsten Agrarregion des Andenlandes, blockierten Demonstranten ebenfalls Straßen und attackierten Regierungsgebäude.

Der oppositionelle Abgeordnete und Anführer der Kokabauern, Evo Morales, lehnte indes einen Dialog mit der Regierung ab. Sanchez de Lozada hatte angeboten, die Entscheidung über den Bau der fünf Milliarden Dollar teuren Gaspipeline bis Ende Dezember auszusetzen und die Bevölkerung zu konsultieren. Dagegen forderte der Indioführer, dass Bolivien ein neues politisches und wirtschaftliches Modell brauche. „Die traditionellen Politiker akzeptieren nicht, dass die Indios politische Macht bekommen", erklärte er. Mehr als die Hälfte der Bolivianer sind Indios, die politische und wirtschaftliche Macht liegt jedoch seit Jahrhunderten in der Hand einer kleinen, weißen Oberschicht. Der 73-jährige Staatschef erklärte nach einer Krisensitzung mit seinem Kabinett und den Sicherheitskräften, er werde Recht und Ordnung wiederherstellen und die Umstürzler besiegen.

Die Streitkräfte, die in Bolivien eine lange Putschtradition haben, äußerten sich erstmals seit Beginn des Konfliktes und verkündeten, weiter gegen Demonstranten vorzugehen. Auch die USA stellten sich hinter den Präsidenten: Undemokratische Versuche, die Regierung zu stürzen, würden nicht toleriert. Morales, der Anführer der Kokabauern, gilt für die USA als Drogenhändler und linker Umstürzler.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false