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In Kirgistan brennen Autos.

© dpa

Blutige Unruhen: Kirgisische Regierung erlaubt Einsatz tödlicher Waffen

Bei den Unruhen in Kirgistan gibt es inzwischen mehr als 70 Tote. Übergangspräsidentin Rosa Otunbajewa bittet Moskau um Hilfe. Die Lage sei außer Kontrolle, die Polizei soll rigoros durchgreifen. Auch mit tödlichen Schüssen.

Rosa Otunbajewa, Interimspräsidentin und Regierungschefin in der zentralasiatischen Ex-Sowjetrepublik Kirgisistan, hat Russland am Samstag offiziell um die Entsendung von Friedenstruppen ersucht. Der Grund: schwere Unruhen im Süden, die in der Nacht zu Freitag begannen. Nach offiziellen Angaben kamen dabei bisher 77 Menschen um, mehr als 1000 wurden verletzt. Am Abend ermächtigte die Regierung Polizei und Armee, auch tödliche Waffen einzusetzen.

„Die Situation ufert aus“, sagte Otunbajewa, die einstige Führerin der Opposition. Diese hatte nach Unruhen Anfang April Staatschef Kurmanbek Bakijew gestürzt und eine Übergangsregierung gebildet, die die Lage nach wie vor nur bedingt im Griff hat.

Im Süden, der Heimatregion Bakijews, der vor fünf Jahren auf ähnliche Weise – per Umsturz – an die Macht kam, hatte dessen Clan zunächst versucht, ihn wieder auf den Präsidentensessel zu hieven. In der Nacht zu Freitag kam es in Osch, der inoffiziellen Hauptstadt des Südens, zu neuen Unruhen. Sie begannen mit Schusswechseln auf dem Markt, es folgten Plünderungen, Brandstiftungen und Pogrome gegen Minderheiten: Russen, Tataren und vor allem Usbeken. In den überfüllten Krankenhäusern der Stadt mangelt es inzwischen an Medikamenten und Lebensmitteln, im 40 Kilometer entfernten Karasu staut sich der Strom der Flüchtlinge. Usbekistan hat die über den gleichnamigen Grenzfluss führende Brücke gesperrt.

Osch liegt im kirgisischen Teil des Fergana-Tals, einer der wenigen Oasen Zentralasiens und daher hoffnungslos übervölkert. Ethnisch bunt durchmischt, war es schon mehrfach – das letzte Mal 1990 – Austragungsort blutiger Kämpfe zwischen Kirgisen und Usbeken. Das Verhältnis beider Volksgruppen blieb auch nach dem Ende der Sowjetunion 1991 ähnlich gespannt wie das zwischen Kirgistan und Usbekistan. Beim Zwist der beiden UdSSR-Nachfolgestaaten geht es vor allem um Land und Wasser. Minderheiten der Volksgruppen klagen in beiden Staaten zudem über Diskriminierung durch die jeweils andere Titularnation.

Usbeken stellen dank hoher Geburtenraten in Teilen des Fergana-Tals fast die Hälfte der Einwohner. Forderungen nach Autonomie schmettert das Zentrum jedoch permanent ab. Begründung: Die Volksgruppe sei im Norden kaum präsent und daher nur mit 13,8 Prozent an der Gesamtbevölkerung beteiligt. Auch der Entwurf der neuen Verfassung, über den die Interimsregierung am 27. Juni abstimmen lassen will, räumt ihnen keine Autonomierechte ein. Erbost wechselte die Volksgruppe, die zunächst große Hoffnungen an die neue Macht knüpfte, jetzt die Seiten und macht mit den Anhängern des gestürzten Bakijew gemeinsame Sache. Sogar in dessen Basis im Süden inzwischen eine Minderheit, steht dieser Gruppe auf der anderen Seite der Barrikade eine dumpfe Mehrheit gegenüber, die jeden Glauben an Staat und Politik verloren hat und ihren Frust über soziale Ungerechtigkeit in Plünderungen und Pogromen abreagiert.

Sondereinheiten der Polizei, die in die Krisenregion verlegt wurden, sei es bisher nicht gelungen, die Lage unter Kontrolle zu bringen, sagte Otunbajewa. Daher habe man sich an Russland um militärische Hilfe gewandt. Bisher vergeblich. „Das ist ein interner Konflikt und Russland sieht die Voraussetzungen noch nicht gegeben, sich an einer Regelung zu beteiligen“, zitierten russische Nachrichtenagenturen eine Sprecherin von Präsident Medwedew. Zuvor müsse man die UN konsultieren. Russland sei aber zu humanitärer Hilfe bereit. mit AFP

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