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Politik: Bodentruppe ohne Waffen

PRISTINA . Die Nachricht kam nur nach und nach bei den deutschen Journalisten im Kosovo an.

PRISTINA . Die Nachricht kam nur nach und nach bei den deutschen Journalisten im Kosovo an. Die Namen ihrer beiden Kollegen wurden nicht genannt, nur daß sie tot sind, erschossen. In dem Moment fragten sich alle das gleiche: Kenne ich sie, sind es gar meine Freunde? Langsam sickerte dann durch, wer es war, erst als Gerücht, dann als offizielle Nachricht: Volker Krämer und Gabriel Grüner sind tot. Krämer (56) war Fotograf, Grüner (35) Auslandsredakteur, und beide "Stern"-Reporter. Nach Angaben des Auswärtiges Amtes wurde am Montag früh die Leiche eines weiteren deutschen Journalisten, dessen Identität noch nicht bekannt sei, bei Prizren gefunden. Das Verteidigungsministerium wollte das jedoch noch nicht bestätigen. Es könnte sich um den Dolmetscher des "Stern"-Teams handeln.

Sofort begann unter den Kollegen im Grand-Hotel von Pristina die Debatte: Haben sich die beiden zu weit vorgewagt? Vierzig Kilometer südlich von Pristina hatte man sie gefunden. Haben sie sich vom Militär-Konvoi gelöst, weil sie auf dem Weg nach Skopje waren, von wo aus sie ihre Recherchen nach Hamburg senden wollten? Daran knüpft sich für die anderen Kollegen im Einsatz die Frage: Wie gefährlich wird es, wenn wir in das Kosovo hineingehen?

Volker Krämer war ein erfahrener Kriegsreporter, heißt es. So ein Satz hört sich so an, als wäre "Kriegsreporter" ein Beruf, für den man speziell ausgebildet wird. Das ist er nicht. Gerd-Rainer Neu, Ressortleiter für internationale Politik bei der "Deutschen Presseagentur" beschreibt es so: "Ich sage meinen Leuten: Es hat keinen Zweck, mit einer Top-Story zu kommen und danach keine mehr zu schreiben. Unsere Korrespondenten sind erfahrene Krisen-Journalisten, die vor Ort nie alleine recherchieren, sondern sich immer in Gruppen bewegen müssen. Eine spezielle Schulung findet allerdings nicht statt", sagt Neu. Auch Volker Krämer hatte sein Handwerk im Einsatz gelernt: Er machte Bilder vom Einmarsch der Sowjets in die Tschechoslowakei 1968, fotografierte in Kasachstan, der Türkei und Südafrika.

In Hamburg, beim "Stern", platzte die Nachricht vom Tod der beiden Kollegen mitten in die übliche Montagshektik. Denn an dem Tag ist Redaktionsschluß für das am Donnerstag erscheinende Heft. Doch an diesem Montag war in den Gängen des Redaktionshauses am Hamburger Hafen alles anders: Mitarbeiter hatten verweinte Augen, kleine Gruppen standen zusammen und sprachen über den Verlust der beiden Journalisten. "Krämer und Grüner waren sehr beliebt in der Redaktion", erzählte ein Redakteur, der das Haus genau kennt. Chefredakteur Michael Maier erklärte: "Der Tod der beiden ist ein unvorstellbarer Verlust für die Redaktion. Unser Mitgefühl gilt den Angehörigen." Ein anderer aus dem Haus sagte: "Das ist, als wird ein Stück von Dir selbst rausgerissen." Routiniert ist eben allenfalls eine Zeitschrift, aber nicht unbedingt die Menschen, die in ihr arbeiten. Das gilt auch für ein Blatt, das binnen zehn Jahren schon sechs Kollegen in Kriegen verloren haben soll. Gefahr ist keine Privatsache einzelner Journalisten, von Haudegen der Zunft. Ob etwa der "Stern" jemanden an die Front schickt, wird vorher in der Redaktion diskutiert. Michael Jürgs, von 1986 bis 1990 Chefredakteur beschreibt das Verfahren so. Es kämen in einem solchen Fall Kollegen, die sagten: "Ich möchte da hin!" Es sei dann in der Verantwortung des Magazinmachers "sie zu lassen oder es zu verbieten". Konkreter: "Hätte man mich damals nachts um drei Uhr gefragt, hätte ich sicher entschieden, da müssen unsere Reporter hin. Wenn sie mich morgens um 11 Uhr fragen, sieht die Sache anders aus."

Zweierlei muß abgewogen werden: Das Interesse des Lesers an der Neuigkeit gegen das Leben und die Gesundheit des Journalisten. Und ein drittes spielt natürlich mit hinein: das Problem der brutalen Medienkonkurrenz. Michael Jürgs erklärt, worum es beim Wettrennen der diversen Blätter geht: "Jeder möchte zuerst da sein, und jeder hat im Hinterkopf: Wer zuerst da ist und das Foto des Massengrabes mitbringt, der hat den ersten Preis. Das ist nicht nur für die Auflage gut, sondern natürlich auch die moralische Rechtfertigung dieses Krieges." Erst wenn die Massengräber fotografiert sind, so die Logik, war der Nato-Einsatz auch wirklich gerecht. Und er fügt hinzu: "Vom Stern hätte man früher erst recht erwartet, daß er als einziger das Foto hat. Wer sonst?" Jürgs bekennt: "Jeder Chefredakteur weiß, Krieg bedeutet - zumindest in den ersten Wochen - ein Plus in der Auflage. Wer behauptet, sich nicht danach zu richten, der lügt. Oder er ist am falschen Platz."

Wie er, Jürgs, denn entschieden hätte bei der Frage: Zumal im Golf-Krieg 1991 die Auflage geradezu explodierte. Hans-Ulrich Jörges, seinerzeit Mitglied der Chefredaktion, erinnert sich an "die höchsten Verkaufszahlen seit langem". Sie lag bei "über 700 000", normal seien 620 000 gewesen. Er weiß aber auch noch, daß die "hochrangigen Reporter" alle dankend abgelehnt hätten, als es um die Frage gegangen sei, "wer fährt da hin"? Ein einziger von "den großen Namen", habe sich dazu bereitgefunden.

Von ganz anderem Kaliber war da immer Randolph Braumann, in seiner "Stern"-Ära von 1965-75 der Kriegsreporter schlechthin, eine Legende des Gewerbes. Biafra, Sudan, Israel-Ägypten, Vietnam, Laos, Kambodscha - "dort starben die meisten Journalisten", sagt er - Kongo-Randy war immer bei der Truppe. Ihn trieb, sagt er, "so eine komische Landsknechtsromantik, auch so ein Karl-May-Pathos". Das ließ auch dann nicht nach, als in Saigon eine Bar in die Luft flog. Braumann kam nur deshalbwegs davon, weil ihn ein Kollege kurz zuvor von der Tanzfläche weg und hinter eine Säule an den Tresen geschleppt hatte. Nach seinen Worten galt für solche Einsätze immer "das Prinzip Freiwilligkeit. Typen wie mich hat es immer gegeben". Da die normale Lebensversicherung in Spannungsgebieten nicht gelte, habe das Magazin eine "Kriegsversicherung abgeschlossen".

Zu seiner Zeit habe es weltweit allerdings "vielleicht 50" seiner Spezies gegeben. "Wir haben uns immer irgendwo getroffen." Demgegenüber seien heute Tausende mit den Soldaten unterwegs. Sonderprämien zahlte der "Stern" für den heißen Job übrigens nicht. "Ich hatte ein normales Gehalt."

Die beiden Reporter Krämer und Grüner waren aber nicht nur erfahren. Sie galten unter Kollegen auch als "äußerst besonnen, vorsichtig und ruhig" und vor allem: "Sie waren keine Hasardeure". Das Wort "Risiko" jedenfalls hätte man niemals mit ihnen verbunden. Gabriel Grüner, der jüngere der beiden Reporter, hatte Freunden gegenüber zuletzt davon gesprochen, daß er sich künftig "aus solchen Sachen" heraushalten wolle. In drei Monaten wäre er Vater geworden.

Die Leichen der beiden "Stern"-Reporter wurden nach Angaben von Wichert dem deutschen KFOR-Kontingent in Prizren übergeben. Die Hintergründe der Tat würden noch recherchiert, erklärte ein Sprecher des Gruner&Jahr-Verlages Verlagssprecher. Wichert sagte, die Journalisten seien offenbar mit der Zusage, Aufnahmen von Massengräbern machen zu können, in einen Hinterhalt gelockt worden.

Mittlerweile, nach den neuerlichen Todesfällen, appellierte der Deutschen Journalisten-Verband (DJV) an die Zeitungsredaktionen und an die Reporter im Kosovo, nicht leichtfertig mit dem Leben von Journalisten umzugehen. "In diesem hochgradig verminten Gebiet müssen Journalisten nicht in erster Front mitmarschieren", sagte der DJV-Vorsitzende Hermann Meyn im Saarländischen Rundfunk. Nach Angaben der Menschenrechtsorganisation "Reporter ohne Grenzen" sind auf dem Balkan bisher etwa 50 Journalisten zu Tode gekommen. Bei der Ausübung ihres Berufes.

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