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Der Kontrast könnte nicht größer sein: Luiz Inácio Lula da Silva oder Jair Bolsonaro - einer von ihnen wird der künftige Präsident Brasiliens sein.

© Foto: AFP/Miguel Schincariol

Deutschland und die Wahl in Brasilien: Es braucht einen Wandel durch Annäherung

Olaf Scholz hat auf Lula gesetzt, nun könnte auch Bolsonaro Präsident Brasiliens bleiben. Egal wie es kommt, der Kanzler muss sich mehr um Lateinamerika kümmern.

Ein Kommentar von Georg Ismar

| Update:

Olaf Scholz war noch gar nicht Kanzler, da hatte er Lula schon getroffen. Vor knapp einem Jahr, kurz nach der Bundestagswahl, da war der Mann, den Barack Obama einst den beliebtesten Politiker der Welt nannte, zu Gast bei der SPD.

Zu kaum einem Politiker jenseits Europas pflegt die Partei so enge Bande. Der frühere Vorsitzende Martin Schulz besuchte Lula sogar in Curitiba im Gefängnis, wo er wegen fragwürdiger Korruptionsvorwürfe einsaß. Doch die ganz anders als erwartet verlaufene Wahl in Brasilien verdeutlicht wie im Brennglas die Herausforderungen der deutschen Außenpolitik.   

Der rechtsextreme Jair Bolsonaro hat viel besser abgeschnitten, als es Umfragen und Medien im fünftgrößten Land der Welt vorhergesagt haben. Und er könnte es in der Stichwahl schaffen, sich im Amt zu behaupten.

Bolsonaros Kahlschlag im Amazonasgebiet bringt Wählerstimmen

Lula steht für die schöne Vergangenheit eines multilateralen Aufbruchs, einer gerechteren Gesellschaft, einer Ausweitung des gegenseitigen Handels, und große Abkommen zum Schutz des Regenwaldes wurden abgeschlossen.

Doch die Gegenwart sieht anders aus: In einigen Amazonasregionen holte Bolsonaro über 70 Prozent der Stimmen, Agrar- und Holzunternehmer danken ihm die große Unterstützung. Hier steht vor allem der wirtschaftliche Profit im Vordergrund; für Klimaschutz können sie sich nichts kaufen.

Sein Wahlerfolg zeigt wie der von Donald Trump und anderen: Bestimmte Denkmuster passen nicht mehr, Caudillo-Typen wie Bolsonaro inszenieren sich als Anwälte der enttäuschten und sich vor zu viel Veränderung fürchtenden Bürger.

Im Kanzleramt weiß man: Wir müssen uns mehr um den Süden kümmern  

Da die Regierung Bolsonaro von den EU-Staaten wie ein Paria behandelt wurde - und diese aber zuvor auch die Isolierung durch Beleidigungen gegen Angela Merkel und andere Regierungschefs gesucht hatte - konnten keine Anläufe für Milliardenabkommen zum Schutz bestimmter Regenwaldflächen in Angriff genommen werden. Auch das Freihandelsabkommen zwischen der EU und den südamerikanischen Mercosur-Staaten liegt auf Eis.

Scholz und sein Kanzleramtschef Wolfgang Schmidt haben intensiv darüber diskutiert und sind sich in der Analyse einig. Die deutsche Außenpolitik muss sich dringend mehr um die Länder des globalen Südens kümmern, auch wenn der Beziehungsstatus noch so kompliziert sein mag. Denn sonst steht der Westen beim Werden einer neuen Weltordnung bald ohne Verbündete dar.

Rund 140 Staaten haben zum Beispiel den russischen Angriffskrieg in der Ukraine in der UN-Vollversammlung nicht verurteilt – und viele Länder machen die westlichen Sanktionen für Folgen wie Inflation, Energiekrise und drohende Nahrungsmittelknappheiten verantwortlich.  Guido Westerwelle (FDP) war der letzte Außenminister, der sich intensiver um Lateinamerika gekümmert hat, gerade auch um Brasilien buhlte. Von Annalena Baerbock (Grüne) ist hierzu bisher wenig zu hören. Aber Desinteresse an einer nicht einfachen, aber auch in Sachen Rohstoffe und wirtschaftliches Potenzial wichtigen Region kann auch keine Lösung sein.

Die guten Beziehungen zwischen den Präsidenten von Brasilien und Russland, Jair Bolsonaro (links) und Wladimir Putin, haben durch den Ukrainekrieg nicht gelitten.
Die guten Beziehungen zwischen den Präsidenten von Brasilien und Russland, Jair Bolsonaro (links) und Wladimir Putin, haben durch den Ukrainekrieg nicht gelitten.

© Foto: Imago Images/Itar-Tass

Brasilien ist zudem ein Schlüsselland, da es auch Mitglied des Brics-Bündnisses mit Russland, Indien, China und Südafrika ist. Auch was eine stärkere Isolierung Russlands betrifft, Bolsonaro hält Putin bisher die Treue. Mit einem neuen Präsidenten Lula wäre sicher vieles leichter. Aber Bolsonaros Chancen, dass er die Stichwahl Ende Oktober gewinnt, stehen jetzt nicht schlecht.

Ganz gezielt gibt er sich etwas moderater, spricht besonders die ärmeren Schichten an, traditionell eher Lula-Anhänger. Und Lula wirkt mit seinen 76 Jahren nicht wie die Inkarnation eines Aufbruchs.

Angela Merkel und Dilma Rousseff kamen gut miteinander aus.
Angela Merkel und Dilma Rousseff kamen gut miteinander aus.

© Foto: dpa/Roberto Stuckert Filho

Daher wird sich für die Bundesregierung, sollte Bolsonaro gewinnen, die Frage stellen: Wie weiter? Gerade auch mit Blick auf die Regenwaldabholzungen, das Amazonasgebiet ist ein Kipppunkt des Weltklimas. Angela Merkel hatte dafür deutsch-brasilianische Regierungskonsultationen ins Leben gerufen, einmal tagten 2015 beide Kabinette zusammen. Dann wurde Lulas Nachfolgerin im Präsidentenamt, Dilma Rousseff, gestürzt. Erst übernahm der konservative Michel Temer, dann Bolsonaro.  Und Deutschland wandte sich mehr oder weniger ab.

Scholz’ Vorbild kooperierte mit der Militärdiktatur

Ein Kanzler Helmut Schmidt, Scholz‘ Vorbild, arbeitete dagegen sogar eng mit der brasilianischen Militärdiktatur zusammen, es kam zu deutsch-brasilianischen Atomabkommen – und dem Bau von Atomkraftwerken mit deutscher Technologie. In diesen hochfragilen Zeiten mit tektonischen Verschiebungen ist mehr Realpolitik gefragt, die Partner kann man sich nicht wünschen. Scholz hat sich zwar zum Beginn seiner Kanzlerschaft besonders intensiv um Indien und Südafrika bemüht, die auch zum G7-Gipfel nach Elmau eingeladen wurden.

Bundeskanzler Olaf Scholz beim G7-Gipfel in Elmau mit Narendra Modi, dem indischen Premierminister.
Bundeskanzler Olaf Scholz beim G7-Gipfel in Elmau mit Narendra Modi, dem indischen Premierminister.

© dpa/Sven Hoppe

Seine erste China-Reise ist Anfang November im Vorfeld des G20-Gipfels avisiert, auch hier werden die Beziehungen immer komplizierter. Aber wenn jemand Wladimir Putin vom Atomschlag abhalten kann, dann Xi Jinping.

Doch das Versäumnis von Scholz ist es, sich bisher kaum um Lateinamerika gekümmert zu haben. Dabei sind die Chancen vertiefter Beziehungen groß, angefangen beim Handel, aber zum Beispiel auch für den Ausbau erneuerbarer Energien und neuer Stromtrassen mit deutscher Technologie.

Es ist ein Kontinent, der Europa sehr nahesteht, die Mehrheit der Länder demokratisch weitgehend stabil, der sich aber auch wegen des europäischen Desinteresses immer stärker Russland und vor allem China zugewandt hat. Lula kann es schaffen, dann bräuchte er aber auch geballte Unterstützung, denn der Widerstand der Rechten in Brasilien wäre enorm. Doch auch wenn Bolsonaro Präsident bleiben sollte, braucht es einen Wandel durch Annäherung - zumindest sollte man es versuchen.

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