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Politik: Bosnien erwägt Entschädigung für im Krieg vergewaltigte Frauen

Das Parlament in Sarajevo würde damit als erster Staat sexuellen Missbrauch als Kriegsverbrechen offiziell anerkennen

Von Caroline Fetscher

Berlin - Es gilt als politischer Durchbruch für vergewaltigte Frauen in Nachkriegsgebieten: In Bosnien und Herzegowina werden aller Voraussicht nach erstmals weltweit solche Kriegsopfer offiziell anerkannt. Einen entsprechenden Antrag nahm jetzt das Parlament in Sarajevo zur Beratung an. Traditionell verfemt und tabuisiert von einer patriarchal geprägten Gesellschaft, sollen im Krieg vergewaltigte Frauen in Bosnien und Herzegowina bald, je nach Grad ihrer Traumatisierung, zwischen 70 und 200 Euro monatlich Invalidenrente beziehen. Die Behandlung des Antrags war in der Vergangenheit mehrfach abgelehnt worden. Dass er jetzt in das Verfahren aufgenommen wurde, werten Fachleute als Signal dafür, dass ihm die Zustimmung so gut wie sicher ist.

Die Annahme wertet auch die Organisation Medica Mondiale, die seit Jahren eine Kampagne für weibliche Opfer sexualisierter Kriegsgewalt führt, als Erfolg. „Für unsere Aktion wirkt dabei der Film ,Esmas Geheimnis‘ als Katalysator“, sagte Medica-Vorsitzende Monika Hauser dem Tagesspiegel. „Esmas Geheimnis“ war diesjähriger Gewinner des Goldenen Bären auf der Berlinale und läuft am Donnerstag in deutschen Kinos an. Erzählt wird die Geschichte einer Frau, die ihrer Tochter offenbaren muss, dass deren Vater serbischer Soldat, die Zeugung eine Gewalttat war. Medica Mondiale sieht die politische Entscheidung in Sarajevo großteils als Erfolg der Kampagne, die den Film der 32-jährigen Regisseurin Jasmila Zbanic begleitet. 100 000 Unterschriften wurden für die Kampagne gesammelt, auch Politiker wie Christian Schwarz-Schilling, amtierender Hochkommissar in Bosnien-Herzegowina, sowie Doris Pack vom Europaparlament, setzen sich dafür ein, den Überlebenden der Kriegsvergewaltigungen eine Grundsicherung zuzuerkennen. Seit Jahren wirbt ein Netzwerk bosnischer Hilfsorganisationen unter Federführung von Medica Mondiale und deren Therapiezentrum Medica Zenica um Öffentlichkeit für dieses Anliegen.

Experten wie Medica-Gründerin Hauser gehen fest davon aus, dass es für das bosnische Parlament nun keinen Weg mehr zurück gibt. Kommt der Antrag durch, fallen etwa 5000 in Bosnien bisher registrierte Frauen unter diese Regelung. Am Den Haager UN-Kriegsverbrechertribunal für Ex-Jugoslawien (ICTY) schätzt man die Gesamtzahl der in Bosnien Vergewaltigten auf 20 000, der bosnische Staat spricht von 60 000, bei Medica Mondiale geht man „aufgrund unsrer empirischen Daten von sehr viel mehr Frauen“ aus, so Hauser. Es sei, sagt sie, „eine revolutionäre Tatsache, dass endlich weltweit in einem Nachkriegsgebiet, Kriegsvergewaltigungen politisch und offiziell als Menschenrechtsverletzungen anerkannt werden.“

Trotz der jahrhundertealten Praxis, Frauen der Gegner im Krieg zu vergewaltigen, war mit dem bosnischen Fall „Foca“ im Februar 2001 in Den Haag Vergewaltigung zum ersten Mal in der Geschichte als Kriegsverbrechen anerkannt worden. Verurteilt wurden hier die bosnisch-serbischen Armeeangehörigen Dragoljub Kunarac, Radomir Kovac und Zoran Vukovic zu 28, 20 und 12 Jahren Haft. Wesentlich beigetragen zur Anerkennung dieser Präzedenzfälle als Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit hatte, an der Seite von Chefanklägerin Carla del Ponte, die aus Bochum stammende Anklägerin Hildegard Uertz-Retzlaff. „Auch wochen- und monatelange Vergewaltigungen in Lagern als Folter zum Zweck der Demütigung“, sagt Monika Hauser, „waren vorher niemals in der Geschichte Gegenstand von Kriegsverbrecherprozessen“. Als „klassische“ Kriegsverbrechen galten Straftaten wie Massenmord und Genozid oder Plünderungen und Attacken auf das Kulturerbe.

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