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Branchenpionier im Porträt: Wer Wind sät: Landschaften wie Nadelkissen

Früher wurden Leute wie er Spinner genannt. Johann-Georg Jaeger war das egal. Er hatte eine Vision, und er ließ nicht locker. So wurde er zum Pionier einer Branche, in der jetzt plötzlich Goldgräberstimmung herrscht.

Von Barbara Nolte

Honecker war noch an der Macht, der Theologiestudent Johann-Georg Jaeger lebte als Erhaltungswohner, wie man im Osten die Hausbesetzer nannte, in der Rostocker Gärtnerstraße, als er vom Fenster einer Nachbarwohnung aus sah, was fortan sein Leben bestimmen sollte: vier Rotorblätter, die von einem sowjetischen Hubschrauber stammten, nun aber auf einen von Drahtseilen aufrecht gehaltenen Mast montiert waren. Das erste Windrad der DDR, konstruiert von einem Ingenieur des örtlichen Dieselmotorenwerkes, nie in Betrieb, denn schon nach den ersten Umdrehungen hatten sich die Rotorblätter im Wind gebogen und in den Drahtseilen verfangen.

Die Wende kam. Auf einer seiner ersten Fahrradtouren ins westliche Ausland fuhr Jaeger zum Folkecenter in Jütland, wo die Dänen mit Windkraft experimentierten. Jaeger war bereits in der DDR Umweltschützer, 1987 trug er auf einer Demonstration in Rostock ein Plakat, auf dem er ein atomfreies Mitteleuropa forderte. Von Windrädern versprach er sich schon damals, dass sie die Atomkraftwerke ersetzen könnten. Im Folkecenter schlug er sein Zelt unter einem Windrad auf. Er wollte testen, wie störend dessen Geräusche sind. Er schlief sehr gut in dieser Nacht.

Der Mann, den sie seither Windmühle nennen, holpert mit einem roten VW-Kombi über die Feldwege 30 Kilometer nördlich von Rostock. Im Kofferraum hat er wie immer seine kleine Machete.

Er trägt ein gestreiftes Hemd, Jeans, er hat dunkelblondes, vom Fahrtwind zerzaustes Haar. Draußen ist Flaute, ein heißer Tag Anfang Juli, in Berlin stimmt das Parlament gerade den Gesetzen zur Energiewende zu. „Hätte nicht mehr gedacht, dass Angela Merkel und ich noch mal einer Meinung sind“, sagt Jaeger.

Deutschland war erst ein paar Monate wiedervereinigt, als Jaeger seinen ersten Windpark plante. Drei Mühlen, die er auf Usedom aufstellen wollte. Das Geld sammelte er von Umweltschützern zusammen, in der Berliner U-Bahn hingen Plakate. Für mindestens 500 Mark konnte man sich am Windpark beteiligen. Zwei Aktenordner füllt die Korrespondenz mit den Anteilseignern, die sich damals nicht nur als Geldgeber verstanden, sondern sich einbringen wollten, beispielsweise vorschlugen, die Rotorblätter aus Holz zu fertigen, weil das später recycelbar ist. Jaeger beantwortete jeden einzelnen Brief mit der Schreibmaschine.

Er parkt sein Auto neben einem vier Meter dicken Betonstumpf, dem Fuß eines Windrads. Mit der Machete schlägt er einen Pfad durch Disteln und hohes Gras zu seiner Tür.

Er verschränkt die Arme vor der Brust und schaut versonnen über das flache ostdeutsche Land, das die Beamten vom Planungsamt als „nicht besonders hochwertig“ einstufen, was ihm nur recht ist. Mais- und Gerstefelder, aus denen 16 Windräder emporragen.

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„Ich bin der Hausmeister hier“, sagt Jaeger. Kürzlich musste er beispielsweise die Polizei verständigen, nachdem in ein Windrad eingebrochen worden war. Ausgerechnet in die einzige der Anlagen, an die er ein auf Abschreckung abzielendes Schild angebracht hatte, sie sei videoüberwacht. „Kann mir gar nicht anders vorstellen, als dass die Täter der deutschen Sprache nicht mächtig waren“, sagt er lachend. Ein Feuerlöscher wurde gestohlen.

Ein leises Brummen weht über die Felder, Elektropumpen, die die Getriebe der Mühlen ölen. Drei der Windräder gehören Jaeger, ein viertes hat er ein paar Kilometer nördlich stehen. Stählerne Kolosse, die die Energiewende tragen sollen, heute aber nur müde mit den Flügeln schlagen.

Die Explosionen im Kernkraftwerk in Fukushima und der anschließend beschlossene Ausstieg Deutschlands aus der Atomkraft stellen die Energieversorgung des Landes auf den Kopf. Nicht lange ist es her, da wurde der an Land erzeugte Windstrom als Subventionsgrab der rot-grünen Regierung verspottet. Jetzt prognostiziert die halbstaatliche Deutsche Energie-Agentur, dass er im Jahr 2020 die Hälfte des deutschen Energiebedarfs decken könnte.

2000 neue Windräder könnten jedes Jahr aufgestellt werden, was die zurzeit in der Branche grassierende Goldgräberstimmung weiter anheizt. Projektentwicklungsfirmen schicken ihre Emissäre über Land, die für jeden halbwegs windigen Acker Vorverträge abschließen, in der Hoffnung, dass die Politik sie für Windräder freigibt.

Jaeger zählt zu den letzten versprengten Alternativen in dieser alternativen Energie. In der mittlerweile meist mittelständisch geprägten Branche ist er ein Kleinstunternehmer geblieben, wenn man das überhaupt noch so sagen kann, denn jedes seiner vier Windräder kostete zwischen einer Million und 2,5 Millionen Euro.

Über zehn Jahre sollte es dauern, bis sein erstes Windrad stand: WKA 2, abgekürzt für Windkraftanlage, hier im Windfeld Groß Schwiesow/Mistorf. Er hat es auf einen fünf Meter hohen Hügel gestellt, der einzige weit und breit, denn jeder Meter, den ein Windrad höher ist, bringt ein Prozent mehr Strom.

Jaeger schließt die Tür der Windmühle auf, auf der ein „Atomkraft, nein danke“-Aufkleber klebt. Daneben liegt der Nymphensittich der Familie begraben. Drinnen stehen zwei Korbstühle und eine Kaffeemaschine. Doch wirkt Jaeger nicht wie ein gefühliger Alt-Öko, wie die liebevolle Möblierung seines Windrads vermuten lassen würde, sondern sehr pragmatisch und umtriebig, fast ein bisschen ungeduldig, als er erzählt, wie er jahrelang bei Landbesitzern und Lokalpolitikern antichambrierte. Die einen sollten ihm ihre Äcker verpachten, die anderen sollten genehmigen, dass er Windräder darauf stellt. „Die Flächen“, sagt er, „sind in unserer Branche der Goldstaub.“

Das Projekt auf Usedom war an einem neuen Bürgermeister aus dem Westen gescheitert, der plötzlich die Bedingung stellte, dass er die Baugenehmigung nur erteile, wenn er kostenlos Strom für die Gemeinde bekommen würde. Unter den Umständen wären die Mühlen für die Anteilseigner nie rentabel geworden.

Kommunalpolitiker, die sich für Windräder aussprechen und dann ihre Meinung ändern; Zwietracht zwischen Gesellschaftern eines Projektes; Landbesitzer, die ihre Felder doppelt verpachtet haben; die Lokalpresse, die gegen einen Windpark Stimmung macht; ein Auftraggeber, der sich vor einen Zug wirft. Jaeger hat mittlerweile einen großen Erfahrungsschatz, was alles einen Windpark verhindern, zumindest seinen Bau verzögern kann.

„Ein einziger Schwarzstorch kann ein Projekt ins Wanken bringen“, sagt er. „Der Vogel ist eben so extrem selten.“

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Dass er hier in Mistorf schließlich zum Zuge gekommen ist, hat er Hans-Georg Hinrichs zu verdanken. Hinrichs ist der Bürgermeister, ein freundlicher Mann mit lichtem, weißem Haar und einer lauten Lache, der im Schatten seiner selbst gezimmerten Laube in seinem Garten sitzt. Früher war er außerdem Chef des landwirtschaftlichen Großbetriebs, der fast alle Felder der umliegenden Gemeinden bewirtschaftet. „Mein Großvater betrieb hier schon eine Windmühle, nur, dass damals Korn gemahlen wurde“, sagt er, „ich war immer für Windräder.“ Er überzeugte erst die Gemeindevertretung, dem Windpark zuzustimmen. Dann verpachtete er Ackerstücke für jährlich 6000 Euro pro Windmühlenstandort an Jaeger. „Wir hätten damals mehr Geld bekommen können, aber der Herr Jaeger schien mir anständig zu sein.“

Jetzt steht das nächste Windrad nur 350 Meter von seinem Haus entfernt. Frischt der Wind auf, hört man im Garten seine Flügel zischen. „Macht mir nichts“, sagt Hinrichs, „ich höre sowieso schlecht.“

Seit Fukushima, berichtet Hinrichs, seien mitunter Fremde im Dorf zu sehen. Der Windpark wird kommendes Jahr erweitert, 15 neue Mühlen sollen gebaut werden. Die Goldgräber haben Mistorf ins Visier genommen. Hinrichs bekommt viele Briefe und Anrufe. Projektentwickler, die Termine mit ihm ausmachen wollen. Letztens wurde er sogar auf der Straße angesprochen, doch es stellte sich heraus, dass es Windkraftgegner waren auf der Suche nach Sympathisanten. „Sie erkundigten sich, was wir hier für Probleme hätten. Ich antwortete: ,Wir haben keine Probleme’.“

In der mecklenburgischen Provinz deuten sich die Konflikte an, die mit der Energiewende aufziehen werden. Im Juli gab es sogar eine Anhörung im Rathaus des benachbarten Ortes Bützow, bei der alle Bedenken gegen eine Erweiterung des Windparks zusammengetragen wurden. Ein Förster mahnte an, dass eines der geplanten Windräder nicht, wie gefordert, 200 Meter vom Wald entfernt errichtet werden soll. Die Bürgermeisterin von Groß-Schwiesow brachte vor, dass ein anderes zu nah am Neubaugebiet ihres Dorfes liege. Dort wohnen ehemalige Städter, die, wie sie sagte, „ihre Ruhe“ haben wollten. Es gibt große Unterschiede in der Empfindlichkeit gegenüber Windrädern zwischen neu zugezogener und alt eingesessener Bevölkerung.

Auch Johann-Georg Jaeger ist nach Bützow gekommen, denn er will im erweiterten Windpark vier Mühlen aufstellen. „Ein extrem schlanker Termin für ein Projekt dieser Größe“, sagt er anschließend.

Diesmal, glaubt er, würden die Genehmigungsverfahren schneller gehen. „Früher war die Planung herrlich chaotisch, heute ist alles viel koordinierter. Doch die Bürger empfinden das mitunter als abgekartetes Spiel.“

Jaeger fährt noch kurz beim Windpark vorbei, wie immer, wenn er in der Gegend ist. Neun der Mühlen hat er an die Bremer Firma WPD verkauft. Er hat sich selbst als technischer Betriebsleiter einstellen lassen. Seitdem schläft er bei gutem Wind in seiner Wohnung in Rostock mit dem Handy neben dem Kopfkissen. Fällt ein Windrad aus, weckt ihn eine SMS. Jaeger ruft eine Leitstelle in Bremen an, die ein Serviceteam schickt. Kleine Schäden repariert er selbst.

Jaeger ist mittlerweile ein mäßiger Mechaniker und guter Kletterer, denn um in den Kopf der Windräder zu gelangen, geht es eine fast 80 Meter lange Leiter hinauf. Er legt Kletterzeug an, mit dem er sich abseilen kann im Notfall. Doch nach 20 Minuten müsse man gerettet sein, sagt Jaeger, sonst sterbe man in dieser hängenden Haltung. Ärzte sagten, dass, wer Hoffnung habe, 25 Minuten durchhielte.

Ein Windrad, das man besteigt, muss abgeschaltet sein, was Jaeger mitunter bedauert, denn bei besten Windverhältnissen produziert es pro Stunde Strom für 180 Euro. Seine Flügel sind dann an ihren Spitzen 200 Stundenkilometer schnell. Vögel, sagt Jaeger, würden die Rotoren einfach umfliegen. Nur zwei erschlagene Fledermäuse hat er in den Jahren gefunden.

Eine Untersuchung des Fraunhofer-Institutes kommt zum Schluss, dass zwei Prozent der Flächen Deutschlands für Windräder geeignet seien. Doch Jaeger will es bei den weiteren vier Windrädern, die er schon geplant hat, belassen. „Die Konkurrenten gehen mit so viel Biss und Aggression im Markt vor, da will ich nicht mehr mithalten“, sagt er. Er will hauptberuflich in die Politik gehen. Bei den Landtagswahlen im Herbst kandidiert er für die Grünen. Noch nie war ein Grüner im Schweriner Landtag, doch wann sollen sie es schaffen, wenn nicht jetzt, da das Land sein Umweltbewusstsein entdeckt hat. Sogar ein Reiseführer von „Merian“ ist erschienen, der Deutschlands Stätten alternativer Energieerzeugung auflistet. Windräder als Kulturdenkmäler einer grünen Republik.

Jaeger stößt eine Luke im Dach des Windrads auf und macht seinen Klettergurt mit dem Karabinerhaken an einem Gestänge fest. Am Horizont qualmt das Rostocker Steinkohlekraftwerk. Hier hinter der Küste ist die Landschaft geprägt von riesigen Feldern. Windräder sind nur vereinzelt zu sehen.

Fünfmal so viele werden es, wenn sich Mecklenburg-Vorpommern an die Richtzahl vom Fraunhofer-Institut hält. Eine Landschaft wie ein Nadelkissen.

Jaeger hält sein Gesicht in den Wind, der aufgefrischt hat. Ihm gefällt die Aussicht.

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