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Brandenburger SPD: Rainer Speers Aufgabe

Er hat sich noch jedem Kampf gestellt, doch nun wusste selbst Rainer Speer nicht weiter. Ein gestohlener Laptop, ein Immobilienskandal, dann noch Indiskretionen aus dem Privaten – Brandenburgs Innenminister tritt zurück

Er spricht anders als sonst in diesen Minuten, die sein Leben verändern und die brandenburgische Politik. Er, der sonst für ruppiges, schnoddriges Auftreten bekannt war, formuliert klar, gewählt, Hochdeutsch. Und dann sagt Rainer Speer, 51 Jahre, Innenminister von Brandenburg, engster Vertrauter von Regierungschef Matthias Platzeck (SPD), im Moment seines Abtritts, kurz nach 15 Uhr im Treskow-Saal des Potsdamer Innenministeriums, einen sehr persönlichen Satz. Der steht nicht in der vorbereiteten Erklärung zu seinem Rücktritt: „Im Rückblick hätte ich mein Privatleben anders ordnen können.“ Er wolle nun „keinen Vorwand“ mehr liefern, um „die Mutter des in Rede stehenden Kindes in die Öffentlichkeit zu ziehen“.

Er hat damit alles gesagt. Das ist der Grund, weshalb Rainer Speer, der bisher noch jeden Kampf aufgenommen hat, diesmal aufgibt. Sagt einer, der ihn gut kennt.

Seit mehr als vier Wochen überschlagen sich in Brandenburg nun schon die Ereignisse um den Verkauf der Bodengesellschaft, der Krampnitzer Kaserne, die er als Finanzminister verantwortete. Das hätte er ausgehalten. Doch seit Tagen waren die Fragen, ob ein uneheliches Kind von ihm aus einer Beziehung mit einer Landesdienerin trotz des solventen Vaters staatliche Unterhaltszuschüsse bekam, immer lauter geworden. Er hat bis zuletzt jede Veröffentlichung darüber zu verhindern versucht, da Hinweise auf die privat-öffentliche Affäre aus seinem gestohlenen Laptop stammen.

2009 wurde Speer sein wichtigstes Arbeitsgerät entwendet – ein Speicher voller E-Mails, politischen und privaten. Und Geschichten begannen, die Runde zu machen in Potsdam, Geschichten von einem Minister mit Affären, wie geschaffen für Deutschlands größtes Boulevardblatt. Speer ging dagegen mit einer Entschiedenheit vor, die an einen preußischen Polizeiminister denken ließ – Pressefreiheit schien ihm ein relativer Begriff zu sein. Er prozessierte mit der „Bild“-Zeitung, die einen angeblichen E-Mail-Verkehr mit der Kindesmutter publizieren wollte. Noch am Montag hatte Speer einen Sieg errungen, der für ihn zum Pyrrhussieg wurde. Das Berliner Landgericht entschied, dass die – möglicherweise gefälschten – Mails nicht veröffentlicht werden dürfen.

Doch schon da warnte Richter Michael Mauck: „Man kann den Deckel nicht draufhalten.“ Speers Anwalt Johannes Eisenberg kam kaum noch hinterher, an Medien landauf und landab Unterlassungserklärungen zu verschicken. Jetzt, an diesem an Dramatik kaum zu überbietenden Donnerstag, an dem die Zeitungen wieder voll mit neuen Details waren, als Ministerpräsident Matthias Platzeck früh seinen Termin in Prenzlau absagte, als hinter den Kulissen in der rot-roten Koalition helle Empörung herrschte, dass Boulevard-Reporter bereits dem Kind vor der Schule aufgelauert hätten – da war für Rainer Speer das Maß des Erträglichen überschritten.

Als das Innenministerium die Einladung zur Rücktrittspressekonferenz verschickte, lief im Landgericht Berlin, Saal 134, die zweite Auflage seines Prozesses gegen Springer. Und wieder deutete Richter Mauck an, dass Speer auf verlorenem Posten kämpfe, wenn er jede Berichterstattung verhindern wolle, denn die Fragen seien ja berechtigt. Es sei ein öffentliches Interesse anzunehmen, „ob ein Innenminister, früherer Finanzminister sich vielleicht an einer früheren Straftat beteiligt hat“. Die Sache, so befand Mauck, hat ein „Eigenleben“. Am Abend dann das Urteil: Diesmal unterliegt Speer.

Wären da nicht die Affären und die mutmaßlichen Schlampereien – man müsste den Rücktritt dieses Politraubauzes bedauern. Glatt, korrekt und fernsehkompatibel war er nie – dafür aber originell und enorm politisch: Noch während des Zusammenbruchs der DDR gründete Speer mit anderen den „Bezirksverband Potsdam der SDP in der DDR“. Damals hieß die SPD noch so, und Matthias Platzeck gehörte noch zur Bürgerbewegung.

Der kantige Speer und der zurückhaltende Platzeck hatten und haben vom Wesen nicht viel gemeinsam, doch dürfte das Vertrauen, das sie zueinander fassten, mit ihrer Ferne zum DDR-Regime zu tun haben. Speers letzte Berührung mit dem System, ein Studium an der Offiziershochschule der NVA, endete 1980 mit dem Hinauswurf wegen politischer Unzuverlässigkeit. Die Jahre danach verbrachte der Sohn eines Kommunisten in Potsdam als Mitarbeiter in Kultur- und Jugendprojekten, dann als Restaurator.

Schließlich kam die Politik. Dass Speer zur grauen Eminenz der brandenburgischen SPD geworden ist, hängt mit deren (Neu-)Gründungsgeschichte zusammen. 1990 kam er in den Vorstand, er führte die SPD-Fraktion in der Potsdamer Stadtverordnetenversammlung und von 1994 bis 2008 auch die Potsdamer SPD. Kurz: Ohne ihn ging fast nichts in der brandenburgischen Sozialdemokratie.

Schon damals galt er unter Genossen und Beobachtern als „begnadeter Stratege“. Er machte 1990 den Wahlkampfleiter für Manfred Stolpe – da dürften sich in Sachen Menschenfängerei zwei gefunden haben. Stolpe verschaffte Speer die passende Arbeitsplattform. Erst war der Freund des Dreitagebarts „Abteilungsleiter für Regierungsplanung“, später wurde er Staatssekretär im Umweltministerium – unter dem Ressortchef Matthias Platzeck. Der Langstreckenplaner und Kommunalpolitiker Speer wird in den Jahren danach mit wachsendem Grimm gesehen haben, dass Potsdam unter dem Oberbürgermeister Horst Gramlich zur „Hauptstadt der Jammerossis“ verödete. Gemeinsam mit Matthias Platzeck hielt er dagegen. Speer begleitete Gramlich in den späten 90ern bei der Selbstdemontage, bis es an der Zeit war, Platzeck als sonnigen Nachfolger zu präsentieren.

Wie Speer Stolpes Fähigkeiten gesehen hatte, half er nun Platzeck bei der Selbsterschaffung eines Ministerpräsidenten. Er selbst wechselte in die Staatskanzlei an der Heinrich-Mann-Allee, während Platzeck keine zehn Autominuten entfernt im würdigen Potsdamer Rathaus zeigte, dass er führen und repräsentieren kann. Alles schien jetzt leicht zu laufen – und Speer hatte nichts dagegen, als seltsame Mischung aus Bohemien und Politorganisator bei einem netten Potsdamer Italiener fotografiert zu werden: Er führte die Geschäfte der Landesregierung per Laptop, rotweintrinkend am helllichten Tag – der Brandenburger Weg erschien ihm nicht immer nur sandig und karg.

Speer und Platzeck – das war Politik mit perfekter Aufgabenteilung. Der schwere Kerl, der lässig und nett wirken, aber durch die runde Brille auch eiskalt gucken konnte, machte die personalpolitische Langstreckenplanung. Und Platzeck, der freundlich-sensible große Junge wurde zur Nummer eins in dieser Strategie, jeder auf seine Weise authentisch. Die perfekte Arbeitsteilung.

Klar, dass der Mann als ministrabel galt – und mehr als das: als Platzecks würdiger Nachfolger. Probleme ließ Speer an sich abtropfen. Er galt als erfolgreicher Finanzminister, der dem Land das notorische Neuverschulden abgewöhnte. Und doch baute sich in der Phase, in der Speer unangefochtener denn je wirkte, massenweise Ärger auf. An die Geschichte mit dem Rotweintrinken beim Regieren dachten spontan einige, als bekannt wurde, dass Speer den Krampnitz-Deal offenbar ohne jede Aktengrundlage durchgewinkt hatte.

Und nun, ist es der Anfang vom Ende des Matthias Platzeck, der mit Rainer Speer seine wichtigste Stütze verliert, den Krisenmanager der rot-roten Koalition? Selbst manche in den Reihen der Sozialdemokraten sehen das so. Und manches, was da jetzt in Potsdam geschehe, sagt eine Linke, die aus Dresden in ein Ministerium wechselte, erinnere „an das Ende der Ära Biedenkopf“.

Nach der Eigendynamik der letzten Wochen will fast niemand eine Prognose wagen, wie es nun im Brandenburgischen weitergeht. Gehen weitere Minen vom gestohlenen Laptop hoch? Wer wird als Nächstes kompromittiert? Unsicherheit, Angst geht um. Und nicht einmal die oppositionelle Union kann frei davon sein, galt doch Johanna Wanka, die nach Niedersachsen gewechselte CDU-Landeschefin als Vertraute Speers.

„Der Verlust Speers ist bitter für Platzeck“, sagt einer aus dem engeren Kreis. Und prophezeit etwas anderes. Der Regierungschef werde nun den Kampf erst recht noch einmal aufnehmen, er werde dem Springer-Verlag, den er für die Jagd auf den Freund und Vertrauten verantwortlich macht, nicht noch den Triumph eines eigenen Abgangs machen, jedenfalls nicht vor dem Ende dieser Legislatur. Und Rainer Speer, der 20 Jahre Politik hinter sich hat, wird vielleicht in Potsdam eine Kneipe aufmachen.

Jetzt, immerhin, hat er sein Privatleben wieder für sich.

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