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Immer schön lächeln. Der bayrische Ministerpräsident und CSU-Vorsitzende Horst Seehofer mit CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt auf dem Parteitag in München. Foto: dapd

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Politik: Brave Debatten, versöhnliche Töne Wie CSU-Chef Seehofer Europakritiker in seiner Partei neutralisiert – und die Kanzlerin herzt

München - Der Parteitag applaudiert frenetisch, und er tut es, darf man vermuten, zu seiner eigenen Verblüffung. Schließlich hat die Frau da oben auf der Rednertribüne gerade eine Lanze dafür gebrochen, dass die Griechen gegen Sparprogramme demonstrieren dürfen.

Von Robert Birnbaum

München - Der Parteitag applaudiert frenetisch, und er tut es, darf man vermuten, zu seiner eigenen Verblüffung. Schließlich hat die Frau da oben auf der Rednertribüne gerade eine Lanze dafür gebrochen, dass die Griechen gegen Sparprogramme demonstrieren dürfen. Die Frau da oben ist allerdings Angela Merkel. „Ich hab’ 34 Jahre darauf gewartet, dass ich demonstrieren kann“, hat sie in den Saal gerufen. „Wer bin ich, dass ich mich darüber aufrege!“ Die CSU ist eigentlich jederzeit bereit, sich über protestierende Griechen aufzuregen. Aber die Frau da oben meint es so spürbar ernst, dass sie schwer beeindruckt alle in die Hände klatschen.

Nun ist es allerdings auch so, dass die gut 1000 Delegierten in der Münchner Messehalle öfter Anlass haben, über sich selbst verblüfft zu sein. Man erkennt so manchen da oben auf der Bühne gar nicht wieder – und das, wo es doch um Europa und den Euro geht, für die CSU traditionell ein heißes Eisen. Von Markus Söder zum Beispiel ist noch gut der Satz in Erinnerung, dass man an den Griechen ein Exempel statuieren sollte. An diesem Freitag belässt es der bayerische Finanzminister bei der Bemerkung, dass zwar die Europäische Union den Nobelpreis habe, der Euro aber noch nicht. Anschließend statuiert er verbale Exempel jedoch nur noch an den Sozialdemokraten.

Söder hat wahrscheinlich morgens Radio gehört. Er konnte dort seinen Parteivorsitzenden erleben, wie er zum Griechen- Freund mutiert. Die Hellenen brauchen vielleicht mehr Zeit für ihre Reformen? Kann man, sagt Horst Seehofer dem Bayerischen Rundfunk, durchaus drüber reden. Das kostet dann vielleicht mehr Geld? Kann man, sagt Seehofer, auch drüber reden. Das ist ein Schwenk in der Tonlage um mindestens 180 Grad.

Dem Parteitag war spätestens jetzt klar, dass höheren Orts hitzige Europadebatten diesmal nicht erwünscht waren. Das widerspricht der Tradition, hat aber eine simple Erklärung. Seehofer hat im Moment keinerlei Interesse daran, irgend etwas anzuheizen. Die Temperatur, so wie sie gerade herrscht, ist ihm sehr recht. Das liegt nicht am frühlingshaften Wetter, sondern an jener jüngsten Umfrage, deren Kerndaten Generalsekretär Alexander Dobrindt in seiner Begrüßungsrede in Erinnerung bringt: 48 Prozent für die CSU – 38 für SPD, Grüne und Freie Wähler zusammen. Die Zahlen kommen um so mehr zupass, als die SPD in zwei Tagen in Nürnberg ebenfalls einen Parteitag abhält, wo sie ihren Ministerpräsidentenkandidaten, den Münchner Oberbürgermeister Christian Ude, förmlich aufs Schild heben will. Seehofer fand, dass es das Beste sei, dieses Ereignis nicht mal zu ignorieren. Die Parole heißt deshalb „Arbeitsparteitag“. Also: Nix mit Einzug unter Marschmusik; fast nebenbei schlendert der Vorsitzende durch die Reihen nach vorne.

Und: Kein Krawall um Europa. Schon der Leitantrag ist ja entschärft worden, so dass er zur Polarisierung nicht mehr ernstlich taugt. Verschwunden ist zum Beispiel die Idee, der Bundesbank im Rat der Europäischen Zentralbank ein Vetorecht einzuräumen. Geblieben ist die Forderung, die Stimmgewichte im EZB-Rat nach Kapitalanteil neu zu regeln – was für den Hauptgeldgeber Deutschland nicht nur eine, sondern gut ein Drittel der Stimmen bedeuten würde. Daraus wird zwar auch nichts, weil außerhalb der Parteitagshalle niemand in Sicht ist, der die Regularien für die Zentralbank antasten wollte. Aber den folgenlosen Gratis-Mut übertreiben wollten sie eben auch nicht.

Die Debatte bleibt entsprechend brav. Sicher, der Landtagsabgeordnete Georg Eisenreich sagt, er hoffe und wünsche, dass all die Optimisten Recht behielten, die diesen Leitantrag formuliert hätten. Sicher, der Mittelstandspolitiker Hans Michelbach schimpft über das „Gift“ der immer neuen Milliardenhilfen. Doch ausgerechnet der notorische Eurorebell Peter Gauweiler empfiehlt eventuellen Zweiflern im Saal, dem Antrag getrost zuzustimmen, weil, dort stehe klar zu lesen, dass die CSU eine Staatsfinanzierung durch die Notenpresse ebenso strikt ablehne wie eine Ausdehnung der Rettungsschirme über die beschlossene Haftung hinaus. „Das heißt: Anders sind wir bei dieser Veranstaltung nicht dabei!“ Gauweiler bekommt freundlichen Beifall. Ist ja auch irgendwie beruhigend für das innere Gleichgewicht, dass wenigstens einer einen christsozialen Parteitagsantrag wortwörtlich ernst zu nehmen scheint.

Der große Applaus bleibt Merkel vorbehalten. Für Europa als „unsere Lebensversicherung“ wirbt sie, für das Betreuungsgeld und für die Einheit der Union: „Wir machen’s uns nicht in jeder Sekunde einfach“, sagt Merkel. Aber wenn es drauf ankomme, dann stünden die Schwesterparteien beisammen. Seehofer nimmt die Schwester in den Arm und drückt ihr ein Küsschen auf die Wange. „Wir sind stolz auf dich, unsere Bundeskanzlerin“, sagt er. Merkel blitzt ihn schräg von unten an. Sie kennt ihn halt. Robert Birnbaum

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