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Aus Sicht von Horst Seehofer war die Abschiebung von Ben Ammar die bessere Alternative.

© Fabrizio Bensch/REUTERS

Update

Breitscheidplatz-Anschlag: Seehofer rechtfertigt Abschiebung von Amri-Freund Ben Ammar

Der Innenminister hat die Behördensicht zu dem Fall des Amri-Freundes Ben Ammar erläutert. Zur Abschiebung des Gefährders habe es keine Wahl gegeben.

Von Frank Jansen

Die Sicherheitsbehörden hatten nach Einschätzung von Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) keine andere Wahl: Die im Februar 2017 erfolgte Abschiebung von Bilel Ben Ammar sei gerechtfertigt gewesen, sagte der Minister am Donnerstag. Ben Ammar war ein Freund und möglicher Komplize des Berlin-Attentäters Anis Amri. Die Inhaftierung von Bilel Ben Ammar "hätte nicht mehr lange aufrecht erhalten werden können", sagte Seehofer.

Es sei eine "Güterabwägung" gewesen: Es habe damals nur die Möglichkeit gegeben, den als Gefährder eingestuften Tunesier in Berlin auf freien Fuß zu setzen oder ihn noch aus der Untersuchungshaft heraus in sein Heimatland abzuschieben, erläuterte Seehofer.

Für die kürzlich vom Magazin "Focus" aufgestellte Behauptung, Ben Ammar sei V-Mann des marokkanischen Geheimdienstes gewesen und hätte mit der Abschiebung vor Enttarnung und Strafverfolgung in Deutschland geschützt werden sollen, sieht der Minister keinen Beleg.

Seehofer hatte Ende vergangener Woche das Ministerium angewiesen, die im Bericht des "Focus" genannten Vermutungen zu prüfen. Nun stellte er einen 13-seitigen Untersuchungsbericht vor, in dem der Ablauf des Falles Ben Ammar aus Sicht des Ministeriums und der ihm unterstehenden Behörden, also Bundeskriminalamt und Bundesamt für Verfassungsschutz, detailliert dargestellt wird.

"Gefährliche Person"

Seehofer beschrieb Ben Ammar als "gefährliche Person" mit "krimineller Energie und radikal islamistischer Gesinnung". Der Tunesier sei unter "zwölf Identitäten" aufgetreten. "Es bestand zu befürchten, dass er bei seiner kurz bevorstehenden Freilassung untertauchen und Straftaten begehen könnte", sagte Seehofer.

Bei den Ermittlungen von Bundesanwaltschaft und Polizei hätte Ben Ammar nicht nachgewiesen werden können, am Anschlag von Amri beteiligt gewesen zu sein, sagte der Minister. Auch zwei Vernehmungen von Ben Ammar hätten keine Anhaltspunkte dafür ergeben, dass der Tunesier "zur Aufklärung beitragen könnte oder wollte".

Seehofer geht allerdings davon aus, dass Ben Ammar sich mit Amri am Abend vor dessen Anschlag in einem Berliner Restaurant traf. Das sei wohl eine Tatsache. Am nächsten Tag, dem 19. Dezember 2016, kaperte Amri einen Lkw, tötete den Fahrer und raste mit dem Fahrzeug in den Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz. Zwölf Menschen starben, mehr als 70 wurden verletzt.

Festnahme wegen Sozialbetrugs

Die Berliner Polizei stufte Ben Ammar am 24. Dezember 2016 als Gefährder ein, fünf Tage später begann die Bundesanwaltschaft das Ermittlungsverfahren gegen den Tunesier wegen des Verdachts der Mittäterschaft beim Anschlag von Amri. Am 3. Januar 2017 wurde Ben Ammar in Berlin festgenommen – allerdings nicht wegen des Verfahrens der Bundesanwaltschaft, dafür reichten deren Indizien nicht, sondern wegen des Verdachts auf Sozialleistungsbetrug.

Die Generalstaatsanwaltschaft Berlin hielt Ben Ammar vor, mit mehreren Asylanträgen 2500 Euro erschlichen zu haben. Die Summe ist allerdings zu klein, um eine längere Untersuchungshaft rechtfertigen zu können. Am 25. Januar 2017 traf sich die damalige Innenministeriums-Staatssekretärin Emily Haber mit dem tunesischen Botschafter, schon einen Tag später lag ein Passersatzpapier für Ben Ammar bereit.

Im Fall Amri, den die deutschen Behörden schon lange vor dem Anschlag abschieben wollten, hatte sich Tunesien dagegen wenig kooperativ gezeigt. Doch nach dem Schock des Terrorangriffs war die Abschiebung von Amri-Freund Ben Ammar schnell zu bewerkstelligen. Am 1. Februar 2017 flog er nach Tunesien. In der Chronik, die sich in Seehofers Untersuchungsbericht befindet, sind diese Daten aufgelistet.

Personen auf Video seien nicht identifizierbar

Der Minister äußerte sich am Donnerstag auch zu Spekulationen, Ben Ammar sei in einem Video zu sehen, das eine Kamera am Tag des Anschlags vom nahen Dach des Einkaufszentrums Europa-Center aufgenommen hatte. Die Identifizierung von Personen in dem Video sei nicht möglich, sagte Seehofer.

Und er betonte, der Film liege dem Untersuchungsausschuss des Bundestages zum Fall Amri seit dem 13. November 2018 vor. Außerdem seien die auf dem Handy von Ben Ammar entdeckten vier Bilder vom Breitscheidplatz kurz nach dem Anschlag nicht mit diesem Mobiltelefon aufgenommen worden. Sie seien per Facebook an Ben Ammar versandt worden, sagte der Minister.

Aufenthaltsort von Ben Ammar unbekannt

Offen bleibt, ob Ben Ammar als Zeuge vor dem Untersuchungsausschuss des Bundestages aussagen kann. Seehofer sagte, er wisse nicht, wo sich Ben Ammar aufhalte. Sein Staatssekretär Hans-Georg Engelke meinte jedoch, Ben Ammar sei vermutlich in Tunesien. In Sicherheitskreisen wurde bereits eine Anfrage an die tunesischen Behörden angedeutet, Ben Ammar nach Deutschland kommen zu lassen.

Wortkarg reagierte Seehofer auch auf die Frage, ob Ben Ammar am Anschlag von Nizza beteiligt gewesen sein könnte. "Die Ermittlungen laufen", mehr wollte der Minister nicht sagen. Am 14. Juli 2016 war der Tunesier Mohamed Lahouaiej Bouhlel mit einem Lkw über die Promenade des Anglais gerast. Mehr als 80 Menschen starben, über 400 wurden verletzt.

In Ben Ammars Handy entdeckte die Polizei eine Boardingkarte vom 7. Juli 2016 für einen Flug von Berlin-Schönefeld nach Nizza. Das Ticket war allerdings auf einen Alias-Namen des Tunesiers ausgestellt. Ob Ben Ammar in die südfranzösische Stadt geflogen ist, habe sich bislang nicht klären lassen.

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