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Brennende Wälder: Wer führt Russland?

Das Land hat international an Einfluss gewonnen, woran die Regierung großen Anteil hat. Doch jetzt brennen zu Hause die Wälder. Und das Volk fühlt sich allein gelassen.

BEDROHT DIE BRANDKATASTROPHE DIE AUTORITÄT DER RUSSISCHEN FÜHRUNG?

Russland brennt, und nicht nur die Wälder. Die Stimmung der Menschen ist gereizt wie selten. Zumal Spekulanten mit Preissteigerungen die Wald- und Torfbrände ausnutzen, und das sogar bei Särgen. Die Russen fühlen sich mit ihren Problemen allein gelassen. Hatte doch Wladimir Putin immer neue Gesetze zum Rückbau der Demokratie damit begründet, dass der Staat so effizienter werde. Doch die Realität ist eine andere. Schon die Terroranschläge in der Moskauer Metro Ende März, sagt die liberale Opposition, hätten das bewiesen. Jetzt zeige sich, dass der Staat nicht einmal mit jahreszeitlich bedingten und von Experten früh vorausgesagten Katastrophen fertig werde.

Die Nation vermisst die Unterstützung sowohl der Zentralregierung in Moskau als auch der Chefs ihrer Regionen. Präsident Dmitri Medwedew kehrte erst nach fast einer Woche aus seiner Sommerresidenz am Schwarzen Meer in die Hauptstadt zurück, deren Bewohner an Qualm und Schadstoffen fast erstickten. Ebenso Moskaus Oberbürgermeister Juri Luschkow. Premier Putin übernahm zwar die medienwirksame Rolle des Kopiloten in einem Löschflugzeug und drückte über den brennenden Wäldern bei Rjasan selbst den Knopf der Wasserkanonen. Durch effektives Krisenmanagement dagegen fielen weder er noch Medwedew auf. Denn dazu gehört auch, Flächenbrände zu verhüten.

Die Putin-Partei „Einiges Russland“ betätigte sich eher als Brandstifter, als sie mit ihrer Zweidrittelmehrheit im Parlament vor drei Jahren ein von der Regierung eingebrachtes neues Forstgesetz einfach durchwinkte. Dieses reduzierte die Kontrollfunktionen des Staates auf ein Minimum. Posten des Waldhüters und des Waldläufers wurden ersatzlos gestrichen, die zentrale Einsatzbrigade zur Bekämpfung von Flächenbränden dezentralisiert und den Regionen unterstellt. Dort aber haben seit 2005 nicht mehr halbwegs frei gewählte Gouverneure das Sagen, sondern von Kreml und Regierung eingesetzte Beamte. Nur auf Zeit ernannt, versucht so mancher Provinzfürst, die Gunst der Stunde zu nutzen, und ist eher auf das eigene denn auf das Gemeinwohl bedacht.

Extrem übel nehmen die Russen ihren Herrschern auch, dass sie die Katastrophe zunächst herunterspielten. Es ist nicht das erste Mal, dass Kreml und Regierung versuchen, sich über Katastrophen hinwegzumogeln: über Terroranschläge und Geiseldramen mit hunderten Toten, Flugzeugabstürze und Überschwemmungen, den Krieg mit Georgien und den Untergang des Atom-U-Bootes „Kursk“, das vor zehn Jahren mit 118 Mann an Bord in der Barentssee absoff.

Stanislaw Belkowski vom Institut für Nationale Strategien sagt, Putin sei weder in der Lage, Ausmaß und mögliche Folgen der Brandkatastrophe adäquat einzuschätzen, noch die erforderlichen Konsequenzen zu ziehen. Denn das Inferno kann sich jederzeit wiederholen.

LEIDET DAS ANSEHEN VON MEDWEDEW UND PUTIN?

In normalen Zeiten und so lange das Geld bei den Massen stimmt, funktioniert die Privatisierung der Macht und ein politisches Modell ohne reale Alternativen wie das russische. Wenn aber Politiker, die sich als Halbgötter inszenieren, weder Regen machen noch die Windrichtung ändern können und nicht mal in der Lage sind, die Preise für Särge zu korrigieren, wird es kritisch. Die Zustimmungsraten für Putin und Medwedew erreichten nach Brand und Smog daher einen historischen Tiefstand. Selbst in Umfragen staatsnaher Meinungsforscher vertrauen ihnen nur noch 51 beziehungsweise 62 Prozent. Im Januar waren es noch zwischen 62 und 69 Prozent. Beim unabhängigen Lewada-Zentrum kommt Putin sogar nur noch auf 44, Medwedew auf 38 Prozent. Ähnlich flachten auch die Popularitätskurven der Minister ab. Einzige Ausnahme ist Katastrophenminister Sergej Schojgu.

VOR WELCHEN HERAUSFORDERUNGEN STEHT DAS FÜHRUNGSDUO?

Naturkatastrophen sind unkalkulierbare Risiken für die Staatsmacht. Vor allem, wenn sich der Umgang mit ihnen nicht bessert. Bereits im Januar 2007 warnte das Ministerium für Katastrophenschutz, die Zahl von Natur- und Umweltkatastrophen würde sich, bedingt durch den globalen Klimawandel, verdoppeln, Waldbrände sich häufen, an Intensität zunehmen und auf immer neue Regionen übergreifen. An der Pazifikküste entstünden mehr Taifune und Tsunamis, im Kaukasus Schlammlawinen und kalbende Gletscher. Weil die großen Flüsse durch zunehmende Niederschläge mehr Wasser führten, müsse landesweit mit verheerenden Überschwemmungen gerechnet werden. Vor allem an der Wolga, die zudem den Wasserspiegel des Kaspischen Meers kontinuierlich steigen lässt. Auch taut der Permafrostboden, der sich von der Arktis bis weit nach Sibirien erstreckt: Ganze Siedlungen könnten im Morast versinken. Schon jetzt sind Dutzende Brücken, Straßen, Bahnlinien und Pipelines gefährdet. Rund 21 Prozent aller Havarien und Lecks von Öl- und Gasleitungen, heißt es in dem Bericht, hätten mit dem Klimawandel zu tun. Wie das Führungsduo diesen Herausforderungen begegnen will, ist weitgehend offen.

Dazu kommt der Reformstau, auf politischem wie auf wirtschaftlichem Gebiet. Extreme Abhängigkeit von weltweiter Nachfrage nach Rohstoffen, dazu Terrorismus und Sezessionismus – und das nicht nur im Nordkaukasus – sind lediglich die Spitze des Eisbergs. All das sind Probleme, die Russland, so wie es derzeit verfasst ist, nicht befriedigend lösen kann.

WER HAT MEHR MACHT: PUTIN ODER MEDWEDEW?

In Russland hat traditionell die eigentliche Macht, wer auch den „Apparat“ hinter sich hat. Und damit weiterhin Putin. An den meisten Schlüsselstellen sitzen nach wie vor Männer, die er einst als Präsident ernannte. Zwar versucht Medwedew, Schneisen in den Filz zu schlagen. So hat er inzwischen ein Drittel der Gouverneursposten neu vergeben. Insider sprechen aber von kosmetischen Korrekturen, die rein äußerlich Medwedews Gestaltungstrieb befriedigten, aber mit Putin abgestimmt seien. Auch kleine Boshaftigkeiten, wie beide Herren sie gelegentlich austauschen – gerade wieder während der Brandkatastrophe –, sollten nicht überbewertet werden. Sie sind keineswegs ein Signal für Differenzen im Tandem Medwedew-Putin oder gar für eine neue Perestroika.

Das Reformpotenzial, das Medwedew angedichtet wurde, hat er offenkundig nie besessen. Und als Teil der Petersburger Landsmannschaft – eines Netzwerks ehemaliger Geheimdienstler und „Kriegsgewinnler“, die ihren Aufstieg den Wirren der Götterdämmerung von Gorbatschows Perestroika und dem Chaos der Jelzin-Ära verdanken – auch gar nicht besitzen kann. Putin und Medwedew unterscheiden sich daher lediglich in Nuancen. Und offenbar haben sie sich darauf verständigt, dass Medwedew die Sonntagsreden zu Demokratie und Menschenrechten liefert, um den Westen zu befriedigen und die liberale Opposition hinzuhalten, deren Unterstützung er für die wirtschaftliche Modernisierung Russlands braucht, während Putins Realpolitik dafür sorgt, dass es bei Absichtserklärungen bleibt.

WO STEHT RUSSLAND WELTPOLITISCH?

In der achtjährigen Amtszeit Putins als Präsident fand Russland auf der Weltbühne zu ähnlich imperialer Größe zurück wie die Sowjetunion. An Moskau kommt der Westen weder in der Iran- Frage noch beim Krisenmanagement in Afghanistan vorbei. Substanzielle Zugeständnisse musste US-Präsident Barack Obama auch bei dem neuen Abrüstungsvertrag machen. Bodenverluste im südlichen Kaukasus glich Russland durch Stärkung seiner Position in der Ukraine und massive Präsenz in Zentralasien aus. Dort droht allerdings auf längere Sicht ein knallharter Verdrängungswettbewerb mit China. Diese Rivalitäten könnte der Westen nutzen, um sich mit Moskau über eine strategische Partnerschaft – politisch wie wirtschaftlich – zu einigen.

WIE GEHT ES RUSSLAND WIRTSCHAFTLICH UNTER PUTIN UND MEDWEDEW?

Kooperationsangeboten des Westens steht Moskau sehr aufgeschlossen gegenüber. Allein schon deshalb, weil Russland westliches Wissen braucht, um seine Wirtschaft zu modernisieren und zu diversifizieren. Denn allein durch den Einstieg bei westlichen Konzernen klappt der Technologietransfer nicht. An wirtschaftlicher Modernisierung und Diversifizierung aber kommt Moskau auf lange Sicht nicht vorbei. Das machte die jüngste Krise deutlich. Nach wie vor rohstofflastig, schrumpfte Russlands Wirtschaft im vergangenen Jahr um 7,9 Prozent. Einst Lokomotive der am schnellsten wachsenden Schwellenländer, ist Russland jetzt das Schlusslicht. Zwar ist für 2010 ein Wachstum von mindestens 4,2 Prozent angepeilt. Die Brandkatastrophe könnte dies aber ebenso nach unten korrigieren wie die hohe Inflationsrate, die Putin eigentlich auf sechs Prozent drücken wollte. Eine hohe Inflationsrate wiederum wirkt sich negativ auf die internationale Kreditwürdigkeit aus.

Medwedew und Putin:

GEBOREN

Wladimir Putin wurde am 7. Oktober 1952 in Leningrad geboren, Dmitri Medwedew am am 14. September 1965 ebenfalls im heutigen St. Petersburg.

AUSBILDUNG

Beide studierten Jura in Leningrad. Während Putin danach beim KGB Karriere machte, schlug Medwedew zunächst die Hochschullaufbahn ein. Daneben beriet er Anfang der 90er das Komitee für Auswärtiges beim Petersburger Bürgermeisteramt, das Putin leitete. Als der 1999 Ministerpräsident wurde, wechselte Medwedew in den Moskauer Regierungsapparat. Auch als Putin Präsident wurde, begleitete Medwedew ihn. Heute ist Medwedew Präsident, Putin Ministerpräsident.

FAMILIE

Putin ist mit der Deutschlehrerin Ljudmila verheiratet und hat zwei Töchter. Medwedew und seine Frau Swetlana haben einen Sohn.

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