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Die britische Premierministerin Theresa May.

© Alastair Grant/AP/dpa

Update

Brexit: Theresa May muss sich Misstrauensabstimmung stellen

Nun also doch: Das Quorum für den Misstrauensantrag gegen die britische Premierministerin ist erreicht. Die Abstimmung soll noch am Mittwoch stattfinden.

Die britische Premierministerin Theresa May muss sich heute einer Abstimmung über ihr Amt als Parteichefin und Premierministerin stellen. Das teilte Graham Brady, der Vorsitzende des zuständigen Parlamentskomitees, mit. Am Mittwoch sei die Schwelle für die erforderliche Zahl an konservativen Abgeordneten erreicht worden, so Brady. Die Abstimmung soll noch am heutigen Mittwoch stattfinden, zwischen 18 und 20 Uhr Ortszeit (19 bis 21 Uhr in Deutschland). Danach wird das Ergebnis gegen 22.00 Uhr (MEZ) vorliegen und noch am Abend veröffentlicht, wie der Vorsitzende des sogenannten 1922-Komitees weiter mitteilte.

Um einen Misstrauensabstimmung in der Tory-Fraktion auszulösen, müssen 48 Abgeordnete der Regierungschefin schriftlich das Vertrauen entziehen. Die entsprechenden Briefe werden beim Vorsitzenden des einflussreichen 1922-Komitees, Graham Brady, hinterlegt. Um May als Parteichefin und damit als Premierministerin zu stürzen, muss die Mehrheit der 315 konservativen Abgeordneten bei einer Abstimmung für ihre Abwahl votieren. Eine Misstrauensabstimmung kann nur einmal pro Jahr stattfinden. Sollte May als Siegerin hervorgehen, wäre ihre Position zunächst gefestigt. Sollte sie verlieren, müsste der Parteivorsitz rasch neu besetzt werden.

Gibt es nur einen Kandidaten für den Vorsitz, kann das sehr schnell gehen. Bewerben sich mehrere, gibt es mehrere Wahlgänge. Bei jedem Mal scheidet der jeweils Letztplatzierte aus, bis nur noch zwei Bewerber übrig sind. Sie müssen sich dann einer Urwahl unter der Parteimitgliedern stellen. Die Prozedur dauert mehrere Wochen.

May: Werde Antrag mit ganzer Kraft begegnen

Premierministerin May kündigte an, dem Misstrauensantrag in ihrer Fraktion mit ganzer Kraft zu begegnen. „Ich werde mich diesem Votum mit allem, was ich habe, entgegenstellen“, sagte May am Mittwoch in London. Weiter sagte sie, sie habe Fortschritte bei den Verhandlungen mit EU-Spitzenvertretern erzielt. Ein Deal mit der EU sei erreichbar. Durch das Misstrauensvotum gegen sie werde jedoch die Zukunft aufs Spiel gesetzt.

Im Falle ihrer Niederlage bei der Vertrauensabstimmung rechnet sie mit einem verzögerten Brexit. Ein Nachfolger "hätte keine Zeit, um eine Rücktrittsvereinbarung neu auszuhandeln und die Gesetzgebung bis zum 29. März durch das Parlament zu bringen", sagte May. Daher müsste der Artikel 50, der den Brexit-Ausstiegsprozess regelt, verlängert oder aufgehoben werden. Das verzögere den EU-Austritt oder halte ihn sogar auf. Das für Mittwoch angesetzte Treffen ihres Kabinetts sagte sie ab.

Ähnlich sieht es Justizminister David Gauke. "Was die Verhandlungen mit der Europäischen Union anbelangt, ist es meines Erachtens unvermeidlich, dass bei einer Abstimmungsniederlage heute Artikel 50 verschoben werden muss", sagt Gauke im BBC-Radio. "Ich glaube nicht, dass wir am 29. März die Europäische Union verlassen würden."

Innenminister Sajid Javid sagte, er wolle May im Amt halten. Die Regierungschefin genieße seine volle Unterstützung, sagt er. Auch Außenminister Jeremy Hunt betont, dass er May stützen werde. Bis 10.45 Uhr hatten mindestens 75 konservative Abgeordnete öffentlich ihre Unterstützung für Premierministerin May bei der anstehenden Vertrauensabstimmung signalisiert. Die Tories zählen im Unterhaus 315 Abgeordnete.

Die nordirische Partei DUP macht ihre Unterstützung für die Regierung nicht von der Personalie May abhängig. Die Vereinbarung über die Unterstützung sei mit der Konservativen Partei getroffen worden, sagt der DUP-Abgeordnete Sammy Wilson. Es sei deren Sache, über ihren Chef zu entscheiden. Die Brexit-Politik müsse sich allerdings ändern.

Der Vorsitzende der oppositionellen Labour Party, Ian Lavery, kritisierte, die Schwäche von Premierministerin May habe "die Regierung in dieser für das Land kritischen Zeit völlig stillgelegt". "Die interne Spaltung der konservativen Partei gefährdet Arbeitsplätze und Lebensstandard der Menschen."

May kämpft in ganz Europa um ihr politisches Überleben

Entscheidenden Einfluss auf den Misstrauensantrag hatte der erzkonservative Hinterbänkler Jacob Rees-Mogg. Er hatte der Premierministerin bereits kurz nach der Veröffentlichung des Brexit-Abkommens sein Misstrauen ausgesprochen. Ein erster Versuch, die für eine Abstimmung notwendigen 48 Misstrauensbriefe zusammenzubekommen, war aber gescheitert. Rees-Mogg steht einer Gruppe von rund 80 Brexit-Hardlinern in der Fraktion vor.

Ausgelöst wurde der Putschversuch durch den Streit über das Brexit-Abkommen, das die Unterhändler Großbritanniens und der EU in Brüssel ausgehandelt haben. Die Brexit-Hardliner um Rees-Mogg fürchten, dass Großbritannien durch das Abkommen dauerhaft eng an die Europäische Union gebunden wird. Am 29. März scheidet das Land aus der Staatengemeinschaft aus.

Angesichts der politischen Blockade in London kämpft May derzeit um Zugeständnisse der Europäischen Union beim Brexit-Abkommen. Vor allem geht es um die vereinbarten Sonderregeln für Irland, die dort auch nach dem britischen EU-Austritt offene Grenzen garantieren sollen. Dieser sogenannte Backstop trifft bei strikten Brexit-Befürwortern in Großbritannien auf Widerstand. May hat deshalb keine Mehrheit im Parlament für den Austrittsvertrag mit der EU und musste die Abstimmung darüber in letzter Minute verschieben.

Sie will nun neue „Zusicherungen“ der EU und flog bereits am Dienstag kreuz und quer durch halb Europa. Nach Treffen mit dem niederländischen Ministerpräsidenten Mark Rutte in Den Haag und Bundeskanzlerin Angela Merkel in Berlin traf sie am Abend EU-Ratschef Donald Tusk und EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker. Tusk twitterte nach seinem Gespräch mit May, die EU wolle helfen, aber: „Die Frage ist wie.“ Am Mittwoch wollte May die Rettungsmission für ihr Brexit-Abkommen fortsetzen und den irischen Premier Leo Varadkar in Dublin treffen.

Juncker lehnt Änderungen am Austrittsversuch ab

Wie Bundeskanzlerin Merkel lehnen auch die EU-Spitzen sowie die großen Parteien im Europaparlament Änderungen an dem 585 Seiten starken Brexit-Abkommen ab. „Jeder muss wissen, dass der Austrittsvertrag nicht noch einmal aufgemacht wird“, sagte Juncker im EU-Parlament. Für „Klarstellungen“ zeigte er sich aber offen. Dafür gebe es Spielraum, ohne das Abkommen selbst zu ändern.

May sagte britischen Sendern, sie sehe bei beiden Seiten das Bemühen, das Brexit-Abkommen für das britische Parlament akzeptabel zu machen. Mit Blick auf den Backstop meinte sie, es gebe eine „gemeinsame Entschlossenheit, mit dieser Frage umzugehen und sich mit diesem Problem zu befassen“, sagte May. Ihr Ziel sei, dass der Backstop, wenn überhaupt, nur zeitlich begrenzt eingesetzt wird. „Es sind diese Rückversicherungen, die ich haben will“, sagte May. Dies sei „erst der Anfang der Verhandlungen“, sagte sie.

Bundesfinanzminister Olaf Scholz setzt auf Vernunft in London: "Wir wissen, dass es für alle am besten ist, wenn es einen geordneten Brexit gibt", sagte er zu Reuters. Es gebe eine gute Vereinbarung zwischen der EU-Kommission und der britischen Regierung: "Deshalb kann man nur hoffen, dass am Ende des Tages das britische Parlament dieser Vereinbarung zustimmt." Deutschland sei aber auf beide Fälle vorbereitet, einen geordneten und einen ungeordneten Brexit.

Der CDU-Europapolitiker Elmar Brok hält die Lage in Großbritannien für verfahren. Er sagte der „Passauer Neuen Presse“ (Mittwoch): „Das Problem ist, dass in Großbritannien die Regierung genauso wie die Opposition gespalten ist. Für nichts gibt es dort eine positive Mehrheit, sondern immer nur negative Mehrheiten, um noch jede Sache abzulehnen.“

Der außenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Jürgen Hardt, rechnet nicht damit, dass May eine Zustimmung für das Abkommen im Parlament bekommt. Sie müsse sich dann die Frage stellen, ob sie im Falle eines Scheiterns des Vertrages einen ungeordneten Brexit riskiere oder einen anderen Weg gehe. „Am Ende kann der andere Weg nur ein zweites Referendum sein. Dann wird der Brexit hoffentlich gestoppt und Großbritannien kann von dem Antrag auf EU-Austritt zurücktreten“, sagte er der „Passauer Neuen Presse“.

Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) warnte vor einem ungeordneten EU-Austritt Großbritanniens. "Sollte es doch noch zu einem 'harten' Brexit kommen, also einem Austritt ohne Vereinbarungen mit Blick auf die künftigen Handelsbeziehungen, würde die äußerst exportorientierte deutsche Wirtschaft hart getroffen werden", so die Forscher.

Der deutsche Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer warnte angesichts der verfahrenen Situation um einen Brexit-Deal vor einem wirtschaftlichen Desaster für Großbritannien. "Ich befürchte, dass in Großbritannien ganze Branchen durch einen ungeordneten Brexit in existenzielle wirtschaftliche Nöte geraten könnten", sagte der BDA-Chef der "Augsburger Allgemeinen" vom Mittwoch. Die drohende Krise werde die Briten wesentlich härter treffen als beispielsweise die deutsche Wirtschaft, betonte Kramer.

Am Donnerstag und Freitag treffen sich die Staats- und Regierungschefs aller 28 EU-Länder zum Gipfel. Wegen der Brexit-Krise in London berief Tusk für Donnerstag auch Beratungen der 27 bleibenden Länder ohne Großbritannien ein. Brok stellte aber klar: „Der Vertrag ist ausgehandelt. Ihn werden auch die Staats- und Regierungschefs im Europäischen Rat nicht mehr verändern.“ (dpa, Reuters)

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