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Theresa May am Dienstagabend im Parlament.

© AFP PHOTO /MARK DUFFY / UK Parliament

Brexit: Vor und zurück im britischen Unterhaus

Das Parlament hat es geschafft, Mehrheitsbeschlüsse zum Brexit zu treffen - die sich allerdings widersprechen. Rekonstruktion eines turbulenten Tages.

Die Nachrichtenagenturen haben die Nachricht längst verbreitet, als Theresa May am Dienstag Nachmittag ihre neue Brexit-Politik verkündet: 59 Tage vor dem geplanten Austrittstermin will die konservative Premierministerin den mit Brüssel vereinbarten Vertrag neu verhandeln. Das Unterhaus solle ihr nun ein klares Mandat geben. „Dieses hohe Haus muss mit einer Stimme sprechen und darf mir nicht die Hände binden.“ Die Abgeordneten entsprachen der Bitte der Premierministerin nur eingeschränkt: Zwar stimmten sie mit knapper Mehrheit (317:301) für einen Antrag des konservativen Hinterbänklers Graham Brady, signalisierten aber zuvor mit 318:310 Stimmen, dass sie auf keinen Fall ohne Abkommen aus der EU ausscheiden wollen. Beide Anträge sind rechtlich nicht bindend und widersprechen sich, weil der eine EU-freundlich ist, der andere konfrontativ.

Die Regierungschefin interpretierte die Abstimmung über den Brady-Antrag allerdings als „beträchtliche und tragfähige Mehrheit“ für ihr Vorhaben neuer Verhandlungen. Oppositionsführer Jeremy Corbyn signalisierte anschließend, anders als vor vierzehn Tagen, er werde Mays Einladung zu Gesprächen Folge leisten.

Die Premierministerin hatte zuvor eine kurze Debatte eingeleitet, die am Abend in insgesamt sieben Abstimmungen über neue Wege aus der Brexit-Krise mündete. Dabei verwarfen die Konservativen sowie die Unionistenpartei DUP, von deren Unterstützung Mays Minderheitsregierung abhängt, sämtliche Versuche der Opposition, dem Parlament größere Rechte einzuräumen.

Der Brady-Antrag signalisiert Zustimmung zum längst ausgehandelten Austrittsvertrag unter der Voraussetzung, dass „alternative Methoden“ zur sogenannten Auffanglösung für Nordirland gefunden werden. Diese dient der Offenhaltung der inneririschen Grenze für den Fall, dass sich das Königreich und die EU bis zum Ende der geplanten Übergangsfrist – wohl Ende 2022 – noch auf keinen Freihandelsvertrag geeinigt haben. In diesem Fall würde das gesamte Land in der EU-Zollunion verbleiben, Nordirland zusätzlich privilegierten Zugang zum Binnenmarkt erhalten. Zwar hat die nordirische Zivilgesellschaft den Deal begrüßt, er läuft aber den Wünschen der Brexit-Ultras bei den Torys sowie der protestantischen DUP zuwider. Die Regierungschefin hat deshalb nach der Ablehnung des Vertrags vor vierzehn Tagen viel Zeit und Energie darauf verwendet, die Gruppierungen in ihrer eigenen Partei zufriedenzustellen.

Die EU lehnt Nachverhandlungen ab

Ob das alles nützt ist fraglich. Die EU beeilte sich am späten Dienstagabend, zu verkünden, dass sie jegliche Nachverhandlungen ablehnt.

Einflussreiche Labour-Abgeordnete wie Benn und die Ausschuss-Vorsitzenden Rachel Reeves und Yvette Cooper hatten in überparteilichen Gesprächen Möglichkeiten ausgelotet, wie das Unterhaus die Brexit-Initiative an sich reißen könne. Als aussichtsreichster Antrag stand am Dienstag Abend eine Idee von Cooper und dem Tory-Hinterbänkler Nicholas Boles zur Abstimmung: Damit soll die Möglichkeit eines NoDeal-Brexit ein für allemal ausgeschlossen werden. Erreicht würde dies durch einen Mitte Februar fälligen Gesetzentwurf, der die Regierung dazu zwingt, den vorgesehenen Austrittstermin (am 29. März um 24 Uhr) aufs Jahresende zu verlegen. Damit würde der Weg frei zu weiteren Verhandlungen mit Brüssel, zu Neuwahlen oder sogar zu einem zweiten Referendum. Der Antrag wurde knapp abgelehnt.

Diese Idee ebenso wie der Antrag des früheren Generalstaatsanwalts Dominic Grieve rückte May in die Nähe des Verfassungswidrigen: Sie hätten „beispiellose, weitreichende“ Veränderungen für die britische Demokratie zur Folge. Grieve wehrte sich gegen den Vorwurf, indem er seine Parteichefin an deren Vorgehen der vergangenen Jahre erinnerte: Stets hatten entweder Gerichte oder das Unterhaus selbst die Premierministerin dazu zwingen müssen, das Parlament am Brexit-Prozess zu beteiligen.

Mays Rede demonstrierte die atemberaubende Wendigkeit, mit der sich die Politikerin zugunsten des Wohls ihrer Partei von zuvor noch als unverrückbar dargestellten Positionen verabschiedet. Aufgepeitscht vom Zustimmungsgeschrei ihrer Fraktion erwies sich die Regierungschefin als gewandte Debattenrednerin, erlaubte immer neue Zwischenfragen zu und ließ Kritisches von sich abperlen.

Hingegen machte Labour-Chef Jeremy Corbyn in seiner Erwiderung deutlich, warum er vor seiner Wahl zum Labour-Chef über 30 Jahre Hinterbänkler gewesen war. Stur ratterte der Oppositionsführer seine Rede herunter, machte sich nicht einmal freundliche Zwischenfragen zunutze und reagierte hilflos auf eine Unterbrechung durch die Premierministerin. Corbyn habe „keine Ahnung“, höhnte May – die steinernen Mienen auf den Labour-Bänken verrieten, dass viele seiner Fraktionskollegen die Einschätzung der politischen Gegnerin teilten.

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