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Laut Statistischem Bundesamt ist jeder fünfte Deutsche von Armut betroffen.

© dapd

Brisante Studien: Die etwas andere Armut

Zwei Studien mit widersprüchlichen Ergebnissen sorgen für Aufsehen: Demnach ist in Deutschland jeder Fünfte von Armut oder sozialer Ausgrenzung betroffen. Gleichzeitig sieht sich die Mehrheit der Bürger finanziell deutlich bessergestellt als vor der Finanzkrise.

Die Schere zwischen Arm und Reich öffnet sich in Deutschland immer weiter. Dies legen zwei aktuelle Studien nahe, die nur auf den ersten Blick widersprüchlich erscheinen: Trotz guter Konjunktur sei hierzulande inzwischen jeder Fünfte von Armut oder sozialer Ausgrenzung betroffen, meldete das Statistische Bundesamt am Dienstag. Die Mehrheit der Bundesbürger allerdings sieht sich, wie der Deutsche Sparkassen- und Giroverband ermittelte, finanziell deutlich bessergestellt als vor der Finanzkrise.

57 Prozent der Deutschen beurteilten ihre momentane Finanzsituation mit den Noten „sehr gut“ oder „gut“, lautet das Ergebnis des Vermögensbarometers 2012, eine repräsentative Befragung im Auftrag der Sparkassen-Finanzgruppe. 2005 kamen nur 40 Prozent zu einer derart positiven Selbsteinschätzung. Sie ist darin begründet, dass die verfügbaren Haushaltseinkommen im ersten Halbjahr 2012 im Schnitt um weitere 2,8 Prozent gestiegen sind. Und sie ist gepaart mit jeder Menge Optimismus. Mehr als 80 Prozent der Bundesbürger gehen der Umfrage zufolge auch von einer verbesserten oder zumindest gleichbleibenden finanziellen Situation für die nächsten Jahre aus. Der Anteil derer dagegen, die weniger konsumieren wollen, hat sich in den vergangenen sieben Jahren nahezu halbiert. Er beträgt gerade mal 20 Prozent.

Das entspricht ziemlich genau der Quote derer, die das Statistische Bundesamt hierzulande als arm oder sozial ausgegrenzt ausweist. 19,9 Prozent, also rund 16 Millionen Menschen, seien 2011 davon betroffen gewesen, heißt es in der Erhebung „Leben in Europa“, für die in Deutschland 13 500 Haushalte befragt wurden. Im Jahr davor waren es noch 19,7 Prozent. Frauen sind in allen Altersgruppen zu einem höheren Prozentteil betroffen als Männer. Allerdings ist die Armutsdefinition eher weit gefasst. Dazugerechnet werden nicht nur alle diejenigen mit einem Monatseinkommen unter 952 Euro – das sind 15,8 Prozent der Menschen –, sondern auch alle Personen, in deren Haushalt nur wenige Monate im Jahr Arbeitslohn bezogen wird (11,1 Prozent). Oder die sich selwbst nach mindestens vier von neun festen Kriterien als arm einschätzen (5,3 Prozent) – etwa weil sie aus finanziellen Gründen kein Auto oder keinen Farbfernseher haben, sich nicht mindestens alle zwei Tage eine vollwertige Mahlzeit leisten und pro Jahr nicht länger als eine Woche außer Haus urlauben können.

Der Kölner Armutsforscher Christoph Butterwegge nennt dies einen legitimen Versuch, in der Statistik nicht nur nackte Zahlen, sondern auch die Lebenssituation der Menschen zu berücksichtigen. Dabei handle es sich dann natürlich um „eine andere Armut“ als etwa in Dritt-Welt-Ländern, wo Betroffene hungern müssten, sagte er dem Tagesspiegel. Gleichzeitig zeigt die Erhebung des Bundesamtes für ihn, dass Armut in Deutschland „ganz offensichtlich weiter zunimmt“. Insofern stünden die beiden Studien auch in strukturellem Zusammenhang. Sie belegten, „dass die Gesellschaft immer mehr auseinanderfällt“. Dies sei das „logische Resultat einer falschen Politik, die die Leistungsträger fördert und die vermeintlichen Leistungsverweigerer schlechterstellt“.

Der Paritätische Wohlfahrtsverband nannte die weiter gefassten Armutsindikatoren der Statistiker dagegen wenig aussagekräftig. Weit objektiver sei die aus dem Einkommen errechnete Gefährdungsquote, sagte Verbandsgeschäftsführer Ulrich Schneider. Demnach sei das Armutsrisiko seit 2005 in etwa gleich geblieben und liege bei etwa 15 Prozent. „Davon kommen wir nicht runter.“ Gründe dafür seien zu niedrige Hartz-IV-Sätze und eine unzureichende Grundsicherung im Alter.

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