zum Hauptinhalt

Politik: Brisantes Material

Geheime Akten des sächsischen Verfassungsschutzes sollen Politiker belasten

Von Antje Sirleschtov

Lange waren sie unter Verschluss, nun sollen die geheimen Dossiers den Strafverfolgungsbehörden übergeben werden. Der Verfassungsschutz in Sachsen hat jahrelang angeblich belastendes Material über Landespolitiker, ranghohe Justizbeamte und Polizisten zusammengetragen. Es soll um Korruption und kriminelle Immobiliengeschäfte gehen, um Kinderprostitution und Verrat von Dienstgeheimnissen.

Am Mittwoch nun wies Sachsens Innenminister Albrecht Buttolo (CDU) das Landesamt für Verfassungsschutz in Dresden an, die rund 100 Aktenordner an die Justiz zu übergeben. Das Material soll an die sächsische Generalstaatsanwaltschaft gehen. Kopien sollen gleichzeitig auch Generalbundesanwältin Monika Harms und das Bundeskriminalamt erhalten. Das Kabinett von Regierungschef Georg Milbradt (CDU) will so den bereits entstandenen Flurschaden begrenzen. Es solle nicht der Eindruck der Mauschelei entstehen, sagt Buttolo.

Die Verfassungsschützer haben offenbar Hinweise auf mafiöse Strukturen und Filz. Dies könnte endlich Licht in eine Reihe mysteriöser Vorfälle – vor allem im Raum Leipzig – bringen. So verschwand am 24. Juli 1996 die damals 49-jährige Justizbedienstete Barbara Beer aus Leipzig spurlos. Drei Jahre später fanden Arbeiter in der Elsteraue Schädel und Skelettteile der Frau. Angeblich war sie einem illegalen Immobiliengeschäft auf die Spur gekommen. Der Fall wurde nie geklärt.

Bizarr ist auch der Fall Martin Klockzin, an den sich nun viele in Leipzig wieder erinnern. Der Manager der dortigen Wohnungsgesellschaft überlebte am 17. Oktober 1994 nur knapp einen Mordanschlag. Das Opfer des Anschlags soll millionenschwere Grundstücksspekulationen vereitelt haben. Der Prozess gegen die mutmaßlichen Auftraggeber – zwei Immobilienhändler aus Bayern – wurde Jahre später eingestellt. Angeblich wollten sie Klockzin nur einen Denkzettel verpassen.

Was genau in den Akten steht, darüber wird in Sachsen derzeit heftig spekuliert. Auch darüber, ob Amtsträger erpresst worden sein könnten, die zu den Besuchern des Bordells Jasmin in Leipzig gehörten. Dort wurden bei einer Razzia 1993 auch Minderjährige angetroffen. Angeblich existieren Aufzeichnungen über die Freier. Zudem sollen die Akten Hinweise auf kriminelle Strukturen in Chemnitz und im Vogtland enthalten. Den genauen Inhalt der Aufzeichnungen kennen nur jene, die die Akten lesen durften. Dazu gehören die fünf Landtagsabgeordneten der Parlamentarischen Kontrollkommission (PKK). Bei Strafe ist es ihnen verboten, nähere Angaben zu machen. Sachsens Datenschutzbeauftragter Andreas Schurig spricht von mittlerer bis schwerster Kriminalität. Dennoch plädiert er für die Aktenvernichtung. Der Verfassungsschutz hätte die organisierte Kriminalität zuletzt nur noch im Ausnahmefall ausspähen dürfen – bei Gefahr für die freiheitlich-demokratische Grundordnung. Der sächsische Innenminister Buttolo ist dagegen überzeugt, dass ein solch besonderer Fall vorlag. Rückendeckung erhielt er von der PKK, die sich am Dienstag für eine Weiterleitung der Akten in vier von fünf Fällen aussprach.

Skepsis über die Korrektheit der Verfassungschutzermittlungen herrscht jedoch im sächsischen Parlament. FDP-Chef Volker Zastrow fürchtet, der Landes-Geheimdienst habe sich alter Stasimethoden bedient und ohne hinreichenden Verdacht Akten gesammelt und damit im „rechtsfreien Raum“ nach Gutdünken Ermittlungen angestellt. Zwar drängt auch Zastrow auf die Ausklärung möglicher Straftaten. Wegen der Verfassungsschutzermittlungen schließt er allerdings die Einrichtung eines Untersuchungsausschusses nicht aus.

Zur Startseite