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Premierministerin Theresa May warb im Unterhaus noch einmal für ihren Brexit-Deal mit der EU.

© AFP/PRU

Britische Premierministerin: Wie Theresa May um den Brexit-Vertrag kämpft

Theresa May kämpft noch immer um den Brexit-Vertrag. Doch mittlerweile ähnelt sie ihrem Vorgänger: Kaum einer glaubt der Premierministerin noch.

Zuletzt rief Theresa May auch bei Tim Roache an. Man habe sich auf zivilisierte Weise unterhalten über den geplanten EU-Austritt und über die schlimmen Folgen des möglichen Chaos-Brexit, im Jargon „No Deal“ genannt, berichtete der Vorsitzende der Industriegewerkschaft GMB in der vergangenen Woche. Zwar sei man unterschiedlicher Meinung, aber: „Ich bin froh, dass die Premierministerin sich nach fast drei Jahren erstmals bei mir gemeldet hat.“

Einzel- und Kleingruppengespräche mit obskuren Hinterbänklern des Unterhauses, Telefonate mit Gewerkschaftsbossen, gestern noch rasch der Besuch einer Porzellanfabrik im mittelenglischen Stoke – hektisch hat die britische Regierungschefin in den vergangenen Tagen alle Anstrengungen unternommen, um das zentrale Vorhaben ihrer Amtszeit zu retten. An diesem Dienstag stimmt das Parlament endlich ab über das Paket aus Austrittsvertrag und politischer Erklärung, das die 62-Jährige bereits im November aus Brüssel mitgebracht hatte. Und trotz der erneuten Beteuerung guten Willens, mit der Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und Ratspräsident Donald Tusk der Premierministerin gestern noch den Rücken zu stärken versuchten, gilt als ausgemacht: Der Deal wird abgelehnt. Zweifelhaft erschien zuletzt nur die Höhe der Niederlage für die Regierung.

In den Medien, ja in Regierungsverlautbarungen selbst ist von „Mays Deal“ die Rede, als habe die Chefin die Vereinbarung ganz allein zustande gebracht und müsse sie nun auch ganz allein verantworten. Das ist einerseits natürlich Unsinn. Andererseits kommt es gerade im Fall dieser Premierministerin der Wahrheit näher als sonst, wovon die bittere Bemerkung des Gewerkschaftsführers Roache Zeugnis ablegt.

May hat es zu keinem Zeitpunkt geschafft seit ihrem Amtsantritt im Juli 2016 – wenige Wochen nach dem knappen Brexit-Votum beim Referendum (52:48 Prozent) –, die fundamentalste Änderung britischer Außen- und Innenpolitik auf ein breites Fundament zu stellen. Statt auf die Oppositionsparteien und andere gesellschaftliche Gruppen zuzugehen, machte sie sich den albernen Slogan der EU-Feinde zueigen: „Wir wollen die Kontrolle zurückerlangen.“ Sie redete vom „globalen Britannien“, denunzierte gleichzeitig international aufgestellte Briten als „Bürger von nirgendwo“.

Ausdrücklich schloss sie „im nationalen Interesse“ Neuwahlen monatelang aus, um sie dann im Frühjahr 2017 „im nationalen Interesse“ doch auszurufen. Anstatt den Meinungsumfragen entsprechend einen Erdrutschsieg über die demoralisierte Labour-Opposition unter ihrem altlinken Chef Jeremy Corbyn zu erreichen, büßte May die knappe konservative Regierungsmehrheit ein. In Panik machte sie sich zur Gefangenen der erzkonservativen nordirischen Unionistenpartei DUP.

Vor der Abstimmung ähnelt May mehr und mehr ihrem Vorgänger

All dies hängt der Regierungschefin nun wie ein Klotz am Bein. Vieles spricht dafür, dass der jetzt auf dem Tisch liegende Deal tatsächlich „im nationalen Interesse“ ist, wie May beteuert. Aber kein Mensch glaubt ihr mehr.

Als die damalige Innenministerin im Brexit-Chaos des Sommers 2016 David Cameron in der Downing Street ablöste, wirkte gerade ihr Einzelgängertum attraktiv. Ausdrücklich setzte sich die auf Staatsschulen erzogene Enkelin eines Hausmädchens und Tochter eines anglikanischen Geistlichen ab von der Clique smarter, auf den besten Privatschulen des Landes erzogener Oberschicht-Jungs, zu denen Cameron ebenso gehört wie Brexit-Vorkämpfer Boris Johnson. Sie sei keine angeberische Politikerin, teilte May mit, ideologische Gewissheit oder persönlicher Ehrgeiz lägen ihr fern. „Ich bin die Tochter eines Landpfarrers und die Enkelin eines Oberstabsfeldwebels“, sagte sie, „der Dienst am Gemeinwesen hat mich definiert, so lange ich denken kann.“

Aber Kommunikation über Gruppen- und Parteigrenzen hinweg gehört zur Kernaufgabe von Politikern im 21. Jahrhundert. Umso mehr im tief gespaltenen Großbritannien 2019. May hat sich nicht ein einziges Mal ausdrücklich an jene 48 Prozent gewandt, die vor drei Jahren in der EU bleiben wollten. Und nie hat sie den 52 Prozent offen erläutert, dass der Austritt nur mit enormen Schwierigkeiten und schmerzhaften Kompromissen zu bewerkstelligen ist.

Vor der Abstimmung ähnelt die Premierministerin mehr und mehr ihrem Vorgänger. Wie Cameron im Februar 2016 so hat auch May aus Brüssel einen in vieler Hinsicht vorteilhaften Deal mitgebracht. Rosinenpickerei dürfe es nicht geben, hatte es vorab in Brüssel immer geheißen. Das Verhandlungsergebnis aber, glaubt der CDU-Brexitexperte Detlef Seif, „kommt dem Rosinenpicken schon sehr nah“. Von einem Sieg der EU könne keine Rede sein.

Genau diesen Eindruck aber haben Politik und Medien auf der Insel erzeugt, in diesem Winter ebenso wie nach Camerons Rückkehr vom Brüsseler Verhandlungstisch im Februar 2016. Der damalige Regierungschef gab binnen 48 Stunden alle Versuche auf, die Vorzüge seiner Vereinbarung zu preisen. Stattdessen beschwor Cameron die negativen Folgen des Brexit für die Volkswirtschaft. Ähnlich verfährt jetzt May. Statt beharrlich und offensiv für das Austrittspaket zu werben, spricht sie vom größtmöglichen Unglück: Sollte der Brexit nicht zustande kommen, wäre „ein katastrophaler Vertrauensverlust“ die Folge. Und ein Ausscheiden ohne Vertrag könne zum Auseinanderbrechen des Vereinigten Königreiches führen.

Wahrscheinlich hat May damit sogar Recht. Nur glaubt ihr das keiner.

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