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Der britische Botschafter in Berlin Simon McDonald (rechts) hier mit Prinz Harry.

© dapd

Britischer Botschafter: "Die Krise hat unsere Euro-Bedenken verstärkt"

Der britische Botschafter in Berlin, Simon McDonald, spricht im Interview über die Krise des Euro, die Konsequenzen aus den Wikileaks-Veröffentlichungen - und die Frage: Hertha oder Union?

Herr Botschafter McDonald, Sie waren in den 80er Jahren in der britischen Botschaft in Bonn. Wie hat sich Deutschland seitdem verändert?

Damals war das Erbe des 2. Weltkrieges noch deutlich zu spüren. Ich war ein junger Mann und überrascht, dass Europa sich weiterentwickelt hatte, Deutschland aber nicht. Heute, 20 Jahre später, wirkt Deutschland wie ein normales europäisches Land. Es lässt sich mehr als früher von seinen nationalen Interessen lenken. Unter dem Kanzler Kohl war das anders. Ihm waren bisweilen europäische Interessen wichtiger als deutsche.

Welches Erbe meinen Sie?

Wenn man 20 ist, kommen einem Dinge, die 50 Jahre vorher geschehen sind, wie ferne Geschichte vor. Doch das ist nicht so. Der 2. Weltkrieg war sicher das größte und traumatischste Ereignis im 20. Jahrhundert, und das merkte man Deutschland noch an. Doch das Land hat die Lektionen daraus gelernt, und während meiner Zeit als Botschafter in Israel war ich besonders von den guten Beziehungen zwischen Deutschland und Israel beeindruckt.

Helmut Kohl war ein großer Freund des Euro. Wie lebt es sich, mitten in dieser Krise, in einer euro-freien Zone?

Die Weltfinanzkrise ist eine Weltfinanzkrise, deshalb sind alle, egal welche Währung sie haben, betroffen. Wie Deutschland hat auch die britische Regierung Maßnahmen dagegen beschlossen, zuletzt schmerzhafte Kürzungen. Zuletzt hat die Regierung eine Haushaltskürzung von 19 Prozent über die kommenden vier Jahre beschlossen. Das gefällt niemandem, aber die Menschen verstehen, warum das geschehen muss.

In Deutschland denken viele: Ohne den Euro wären wir nicht so gut durch die Krise gekommen. Was denken die Briten?

Als es um die Einführung des Euro ging, hatten wir eine kontroverse Debatte in Großbritannien, die einen waren dafür, die anderen dagegen. Aber jetzt, in dieser Krise, sind sich alle Briten einig, dass der richtige Platz für das Land außerhalb der Euro-Zone liegt.

Das Argument der Briten gegen den Euro war die finanzpolitische Eigenständigkeit. Nun ist aber auch die Bank of England unabhängig. Was bleibt also von dem Argument?

In der Euro-Zone wird die Debatte geführt, wie man mit den aktuellen Problemen umgehen soll. Eine Option ist eine stärkere fiskalische Verzahnung der Mitgliedsländer. Das ist für uns nicht vorstellbar: Das heißt, unsere Bedenken wurden durch die derzeitige Krise eher verstärkt. Und einiges, was die britische Regierung gegen die Krise unternommen hat, war nur möglich, weil wir eine eigene Währung haben.

Der neuen britischen Regierung ging der Ruf voraus, europaskeptisch zu sein. Wir gehen Sie damit um?

 Die Deutschen, die ich treffe, sind beeindruckt von der pragmatischen Herangehensweise von Premierminister Cameron und der Regierung. Er ist nicht so ideologisch, und auch die Konservativen in Großbritannien sind nicht so ideologisch, wie es die Deutschen erwartet hatten. Er hat bei bestimmten Themen sehr eng mit der deutschen und mit den anderen europäischen Regierungen zusammengearbeitet.

Sogar der konservative „Spectator“ rät der britischen Regierung, sich den deutschen Politikstil zum Vorbild zu nehmen. Teilen Sie diese Einschätzung?

Persönliche Beziehungen sind enorm wichtig in der Politik. Premierminister Cameron und Kanzlerin Merkel bevorzugen eine pragmatische, unauffällige Zusammenarbeit, die sich am Ergebnis messen lassen soll. Sie ist Wissenschaftlerin, er denkt logisch. Sie arbeiten gut zusammen, indem sie die Probleme ohne großes Tamtam zu lösen versuchen. Sie bewerten ihre Arbeit nicht nach dem Echo, das sie auslöst.

Was kabeln Sie in Ihren Berichten über Merkel nach London?

Ich veröffentliche meine diplomatischen Depeschen nicht. Diplomaten brauchen vertrauliche Kanäle, um arbeiten zu können. Wenn ich nach London schreibe, was die deutsche Regierung macht, will ich meine Regierung nicht nur informieren, sondern auch beraten. Dieser Rat sollte geheim bleiben.

Was sind Ihre Quellen?

Berlin ist sehr offen. Minister, Bundestagsabgeordnete, Unternehmer, Journalisten sind sehr bereit, mit uns zu reden. Wikileaks hat das nicht unterbinden können.

Wie sind aus Ihrer Sicht die Konsequenzen von Wikileaks?

Der Trend zu größerer Offenheit existiert seit einigen Jahren. Die Blair-Regierung hat den „Freedom of Information Act“ eingebracht, der Leuten Zugang zu Informationen erlaubt, die vorher 30 Jahre lang gesperrt waren. Das verändert bereits, wie sich Politiker verhalten. Sie wissen, dass sie sehr viel früher Rechenschaft ablegen müssen. Wikileaks ist Ausdruck eines Trends zu mehr Offenheit. Als ich noch in der Downing Street gearbeitet habe, habe ich oft an Konferenzen mit dem Premier teilgenommen und an den darauf folgenden Pressekonferenzen: Das meiste wurde gleich öffentlich gemacht. Aber um erfolgreich zu arbeiten, muss es ein klein wenig geben, das, wenigstens für kurze Zeit, geheim ist.

Die königliche Familie ist ziemlich gebeutelt von Transparenz.

Das Königshaus ist konfrontiert mit allen Entwicklungen, die die ganze Gesellschaft betreffen. Eine davon ist mehr Offenheit, eine andere ist das Verschwinden von Ehrerbietigkeit. Als ich ein Kind war, berichteten Zeitungen nicht über Dinge, die für das Königshaus peinlich waren. Das ist vorbei. Es gibt Trends, von denen alle unsere Institutionen betroffen sind, und ich glaube, dass die sich daran anpassen. Die königliche Familie geht die Hochzeit im April anders an, als sie das früher getan hätte.

In welcher Weise?

Das Königshaus weiß, dass es ein Interesse an Informationen gibt. Und es spürt die Verpflichtung, diesem Interesse gerecht zu werden. Das war früher anders. Es wird zum Beispiel offen über die Kosten der Hochzeit geredet, die königliche Familie sagt, was sie plant und warum sie es plant. Und das wird von der Bevölkerung gutgeheißen.

Die deutsche Wahrnehmung von Großbritannien war zuletzt geprägt von dessen Einsatz im Kampf gegen den Terrorismus. Wie wichtig ist dieser Kampf noch?

Das ist weiterhin ein wichtiger Teil unserer Politik. Der Einsatz im Irak ist zuende, es wird noch Jahre dauern, bis die Konsequenzen dessen, was passiert ist, deutlich werden. Aber heute würde ich sagen, dass der Irak besser dasteht als vor der internationalen Intervention. Irak hat eine demokratische Regierung und eine Reihe von Wahlen erfolgreich absolviert. Und als jemand, der in der britischen Regierung für den Irak zuständig war, sehe ich eine größere Legitimation der Regierung in der Bevölkerung, und in der internationalen Gemeinschaft. Das Urteil der Geschichte braucht Zeit, mein vorläufiges Urteil lautet: Dem Land geht es besser als unter Saddam Hussein.

Im Kampf gegen den islamistischen Terror arbeitet der Westen aber auch mit korrupten Regimen zusammen. Zum Beispiel mit dem geflohenen Präsidenten Tunesiens.

Wir glauben an den Rechtsstaat und die Menschenrechte, und wir glauben an die Demokratie. Und das sagen wir auch überall auf der Welt. Wir glauben aber auch an die Souveränität von Staaten. Das bedeutet, dass wir mit einigen Staaten zusammenarbeiten, deren Handeln wir zum Teil nicht gutheißen. Wir legen Wert darauf, dass zu dieser Zusammenarbeit die Rechtstaatlichkeit und Menschenrechte dazugehören. Das gilt für den Nahen Osten genauso wie für China.

Was ist dann aus Ihrer Sicht die Lehre aus Tunesien?

Ich glaube, dass die Ereignisse in Tunesien unsere Position gegenüber den übrigen Regierungen stärken. Tunesien galt bis vor einem Monat als relativ stabil und erfolgreich. Aber offenbar war das Fundament dieses Regimes überhaupt nicht stabil. Die Länder in der Region sind unterschiedlich, aber die Eliten und Regierungen werden auf die legitimen Erwartungen der nächsten Generation eingehen müssen. Sie müssen darüber nachdenken, wie sie ihre Bevölkerungen besser repräsentieren können.

Die Tunesier wussten, was in der Welt passiert. Inzwischen behaupten sogar einige, dass der Umsturz durch die Wikileaks-Veröffentlichungen vorangetrieben wurde. 

So weit würde ich nicht gehen. Aber nach Tunesien kommen viele Touristen: Die Tunesier haben jeden Tag Kontakt mit Europäern, Zugang zum Internet und Satellitenfernsehen. Die Jungen sind besser informiert als die Generation ihrer Eltern. All das hat, bei aller Vorsicht, vermutlich eine Rolle gespielt bei den Jugendprotesten.

Wurden Sie über Mark Kennedy, den britischen Polizeispitzel, der auch in der Berliner linken Szene aktiv war, informiert?

Das ist ein Fall für die Polizei.

Aber er war auch in Deutschland aktiv. Und damit berührt der Fall die deutsch-britischen Beziehungen.

Soweit ich weiß, ist es ein Fall für die Polizei und hat auf der politischen Ebene noch keine Rolle gespielt.

Das Motto der Blair-Jahre war „Cool Britannia“. Welches Adjektiv verdient das Land, in dem bald eine königliche Hochzeit und 2012 die Olympischen Spiele stattfinden?

Großbritannien ist so vielfältig, dass es unfair wäre, das Gesamtprodukt mit einem einzigen Adjektiv zusammenzufassen. Die Olympischen Spiele sind für uns eine große Sache. Wir hoffen, dass die Stadt, aber auch die olympische Bewegung davon profitieren wird. Ein heruntergekommener Stadtteil von London wird saniert, das olympische Dorf wird ein ganz neuer Stadtteil, der auch an das Nahverkehrssystem angebunden wird.

Was wird die Botschaft dieser Spiele sein?

Es sollen die Spiele der Menschen werden. Keine Inszenierung, bei der die Leute in die Stadien gezerrt werden. Die kommen schon von ganz alleine. Einiges wird auch anders sein als sonst, die Spiele kommen direkt in die Stadt: Zwischen dem Außenministerium und dem Sitz des Premierministers findet zum Beispiel das Beachvolleyball-Turnier statt.

Wie groß ist die Enttäuschung, dass England nicht den Zuschlag für die Fußballweltmeisterschaft 2022 bekommen hat?

Natürlich sehr groß. Aber wir werden es sicher noch mal versuchen.

Sind die Beziehungen zur Fifa nicht zerstört?

Nichts ist unbeweglich, auch die Fifa nicht.

Hertha oder Union?

Manchester United. Ich bin nicht weit vom Stadion geboren. Meine Eltern waren 1968 dabei, als Manchester 1968 gegen Benfica den Europapokal gewonnen hat. Mein Großvater hat in den 50er Jahren als Erster eine Flugzeugreise für Manchester-Fans nach Europa organisiert hat. Bei mir ist es also geerbte Leidenschaft.

Treiben Sie selber Sport?

Äh, nein. Aber ich gehe viel zu Fuß und, so oft es als Diplomat geht, lehne ich Einladungen zum Essen ab. Berlin wird eine erfolgreiche Station für mich sein, wenn ich mit dem gleichen Gewicht abreise, mit dem ich hergekommen bin.

Simon McDonald ist seit Oktober 2010 britischer Botschafter in Deutschland. Zuvor war er Leiter der außen- und verteidigungspolitischen Abteilung im Cabinet Office des Premierministers und Botschafter in Israel. Mit ihm sprachen Elisabeth Binder, Markus Hesselmann und Moritz Schuller.

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