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Politik: Brot statt Kalaschnikow

Von Malte Lehming

Kann es schöner sein? Ein Volk, jahrzehntelang unterdrückt und drangsaliert, geht wählen. Es will, so weit das eben möglich ist, sein Schicksal in die eigenen Hände nehmen. Die Stimmung ist gut, die Beteiligung hoch, die Wahlen verlaufen fair und friedlich. Die alte Garde tritt wieder an, eine Opposition kandidiert dagegen. Ein Tag wie aus dem Bilderbuch der Demokratie. Am Morgen dann der Schock: Die „Falschen“ haben gewonnen! Haushoch, glasklar. Aber gibt es so etwas überhaupt – ein falsches demokratisches Ergebnis?

In Israel, den USA und Europa gilt die radikalislamische Hamas als Terrororganisation. Wer sie unterstützt, macht sich strafbar. In ihrer Charta ruft sie zur Zerstörung Israels auf, durch ihre Anschläge sind unzählige Menschen gestorben. Geschickt hat sie stets ein doppeltes Spiel getrieben, war Sozialarbeiter und Luntenleger zugleich. Daheim, im Gazastreifen und der Westbank, kümmert sie sich um bedürftige Menschen, bekämpft die Korruption und organisiert das gesellschaftliche Leben. Parallel dazu überzieht sie den „zionistischen Erzfeind“ mit Terror. Das Brot in der Linken, die Kalaschnikow in der Rechten: Bei der Mehrheit der Palästinenser kam diese Pose gut an.

Doch nun soll die Hamas regieren, muss Verantwortung übernehmen, Ministerien besetzen, eine Verwaltung organisieren. Auch die PLO war einst terroristisch. Die Macht verändert. Sie schärft den Realitätssinn. Es gibt viele Beispiele für einen solch positiven Prozess. Aber allein auf diese Hoffnung dürfen Israel, die USA und Europa nicht setzen. Das Ergebnis der Wahl muss akzeptiert, ja respektiert werden. Der oft geäußerte Verdacht vieler Islamisten, der Westen preise die Demokratie nur so lange, wie sie seinen Interessen nützt, darf keine Nahrung bekommen. Akzeptanz indes heißt nicht Unterstützung. Klar und konkret muss der Hamas zu verstehen gegeben werden, was die Bedingungen jeder Zusammenarbeit sind. Wer der Gewalt gegen Zivilisten nicht abschwört, verwirkt das Recht, etwa von der EU Finanzhilfen in Millionenhöhe zu erhalten.

In Israel wurde das Wahlresultat bereits mit dem in Deutschland von 1933 verglichen. Derart schrille Reaktionen sind die Ausnahme. Grund zur Panik sehen nur wenige. Der Grund dafür ist einfach: Mit wem sie nicht verhandeln, ob mit dem späten Jassir Arafat oder der neuen Hamas-Regierung, ist den meisten Israelis ziemlich egal. Die Strategie Ariel Scharons, einseitig die Trennung der Völker einzuleiten, hat sich erneut als richtig erwiesen. Das vorher verfolgte Konzept, mit dem Frieden zu warten, bis der Partner endlich verhandlungsfähig ist, war offenbar zu idealistisch. In gut zwei Monaten finden Parlamentswahlen in Israel statt. Bis dahin werden auch moderate Kräfte auf größtmöglicher Distanz zu Hamas bleiben. Jede Annäherung würde von Rechtsdemagogen wie Benjamin Netanjahu sofort propagandistisch ausgeschlachtet.

Angela Merkel, die am Sonntag nach Israel fährt, hat in der Region derzeit keinen gestalterischen Raum. So beeindruckend sie mit neuen Akzenten auf dem politischen Parkett in Paris, Brüssel, Washington und Moskau reüssierte, so stark wird sie sich in Nahost zurücknehmen müssen. Bis auf unmissverständliche Signale in Richtung Hamas kann die deutsche Regierung in einer solchen Umbruchsituation faktisch nichts bewirken. Demokratie bleibt schön, auch wenn der ganzen Welt ein Ergebnis nicht passt: Von dieser Botschaft freilich muss auch sie nichts zurücknehmen.

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