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Ankunft im Ungewissen. Diese aus Frankreich ausgewiesene Roma-Familie ist in Rumänien eingetroffen. Foto: dpa

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Politik: Brüssel contra Paris

Die EU-Kommission setzt Frankreich im Streit um Roma-Abschiebungen eine letzte Frist

Von Hans Monath

Die Debatte im Kollegium der 27 EU-Kommissare hat am Mittwoch fast drei Stunden gedauert. Erst dann stand fest, dass die Brüsseler Regierungsbehörde die große Auseinandersetzung mit Frankreich noch nicht riskiert. Mitte September hatte die Grundrechtekommissarin Viviane Reding angekündigt zu prüfen, ob im Fall der Abschiebung von 8000 Angehörigen der Roma in ihre Heimatländer Rumänien und Bulgarien durch die französischen Behörden die EU–Verträge verletzt wurden. Sie hatte das Vorgehen jedoch gleichzeitig indirekt mit Nazi-Methoden verglichen, was beim EU-Gipfel wenige Tage später zu einem lautstarken Streit zwischen Frankreichs Staatschef Nicolas Sarkozy und Kommissionspräsident José Manuel Barroso geführt hatte.

Dass das entsprechende Vertragsverletzungsverfahren nun noch nicht offiziell eingeleitet wurde, dürfte politischer Rücksichtnahme geschuldet sein. Der französische Kommissar Michel Barnier, der bei anderen wichtigen EU-Gesetzesvorhaben zur Finanzmarktregulierung eine wichtige Rolle spielt, hatte sich zuletzt massiv gegen eine einseitige Anklage Frankreichs gewehrt. Auch berichteten EU-Diplomaten in Brüssel davon, dass Frankreich in den vergangenen Tagen mehrere kleine Entscheidungen im Rat der Regierungen ohne Begründung, sondern offenbar aus Verärgerung blockiert habe.

Allerdings signalisiert die Entscheidung der EU-Kommission auch kein Zurückweichen von der Position, dass den Roma als EU-Bürgern dieselbe Freizügigkeit gewährt werden muss wie anderen auch. So bekommt die französische Regierung gerade einmal bis zum 15. Oktober Zeit, um geltendes EU-Recht anzuwenden. Nach Einschätzung der Kommission hat Paris dieses „noch nicht in nationales Recht übertragen“. Laut der entsprechenden Richtlinie sind bei einer Ausweisung alle persönlichen Umstände des Betroffenen wie Alter oder Länge des Aufenthalts im Gastland zu prüfen. Frankreich enthalte somit EU-Bürgern „wesentliche“ Rechte vor. „Das muss berichtigt werden“, forderte Viviane Reding nach der Sitzung.

In dem offiziellen Brief, der in den nächsten Tagen nach Paris geschickt wird, wird der französische Gesetzgeber aufgefordert, Brüssel zumindest einen Fahrplan zur Umsetzung des europäischen Rechts vorzulegen. Sonst soll am 20. Oktober ganz formal ein Vertragsverletzungsverfahren vor dem Europäischen Gerichtshof in Luxemburg eingeleitet werden. Kommissarin Reding geht offenbar davon aus, dass es wegen der Kürze der Zeit auf jeden Fall dazu kommen wird.

Aus dem Europaparlament gab es überwiegend positive Reaktionen auf die „Vorentscheidung“, zu der auch gehört, die Rechte der Roma in anderen EU-Staaten zu überprüfen. Grünen-Fraktionschefin Rebecca Harms kritisierte jedoch, dass das Verfahren nur für einen Bereich angestrebt wird: „Leider beschränkt sich die Kommission auf die Frage der Freizügigkeit und drückt sich davor, das heiße Eisen Diskriminierung anzupacken.“

Die Bundesregierung will in dem Konflikt zwischen EU-Kommission und Frankreich inhaltlich keine Stellung beziehen. „Wir sehen in diesem Zusammenhang nur zwei Akteure, nämlich Frankreich und die EU-Kommission“, sagte ein Sprecher des Auswärtigen Amtes. Aus Regierungskreisen hieß es, die EU-Kommission nehme ihre Rolle als Hüter der Verträge ernst, in laufende Verfahren schalte man sich nicht ein. Vor zehn Tagen hatte Kanzlerin Merkel die Behauptung Sarkozys hart dementiert, auch sie wolle Roma-Lager auflösen. Die Unstimmigkeiten waren nach deutschen Angaben bei einem Treffen Merkels mit Sarkozy am Rande der UN-Vollversammlung vergangene Woche schnell ausgeräumt worden. Die deutsche Seite war sichtlich bemüht gewesen, aus dem so genannten Missverständnis keine Belastung des deutsch-französischen Verhältnisses erwachsen zu lassen.

Flüchtlingsinitiativen kritisieren die Kehrtwende Frankreichs und auch Deutschlands in der Asylpolitik. „Alle EU-Staaten sollen die Rückführung von Roma in den Kosovo stoppen“, forderte Julia Duchrow, Asylexpertin von Amnesty International, am Mittwoch in Berlin. Die Bundesregierung hatte im April ein Rückführungsabkommen mit dem seit zwei Jahren unabhängigen Staat geschlossen. Die Lage für Minderheiten sei im Kosovo prekär, sie würden diskriminiert und hätten keine Möglichkeit, sich zu integrieren, so Duchrow.

„Die Bundesregierung ist nicht bereit, die Verantwortung für Asylsuchende in Europa solidarisch aufzuteilen“, sagte der Geschäftsführer von Pro Asyl, Günter Burkhardt. Das kritisierte auch Duchrow: „Deutschland und Frankreich bremsen die Vorschläge der EU-Kommission.“

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