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Politik: Brüsseler Gratwanderung

Die EU-Kommission ist in dem Konflikt auf Ausgleich bedacht – und verärgert damit die Dänen

Johannes Laitenberger, der Sprecher der Brüsseler EU-Kommission, übt sich seit Tagen in der Kunst des diplomatischen Seiltanzes: Man verstehe ja, dass die religiösen Gefühle der Muslime durch die Mohammed-Karikaturen verletzt worden seien. Aber andererseits rechtfertigten „weder echte noch empfundene Kränkungen“ die Gewalttaten gegen EU-Einrichtungen und die Brandschatzungen der skandinavischen Botschaften. „Die Gewalt, die Drohungen, die Boykottaufrufe gegen dänische Produkte und die Forderung, die Pressefreiheit einzuschränken – alles das ist völlig inakzeptabel“, sagte EU-Kommissar Franco Frattini, der in Brüssel für die Politik der inneren Sicherheit zuständig ist.

Dennoch scheint die Kommission nicht bereit zu sein, politische Konsequenzen zu ziehen, und zum Beispiel Entwicklungshilfe für die Staaten einzustellen, in denen europäische Einrichtungen attackiert werden. „Es ist jetzt Zeit, die Situation zu beruhigen“, sagt Europas Chef-Diplomat Javier Solana. An eine Einstellung der Hilfe für die Palästinenser werde bisher nicht gedacht, heißt es in Brüssel. „Nur keine Provokationen, nur kein Öl aufs Feuer“, lautet offenbar die Handlungsanweisung, an die sich derzeit alle halten. „Wir wollen die friedliche Debatte. Wir wollen den respektvollen Dialog zwischen Kulturen und Religionen,“ sagt der Sprecher von Kommissionspräsident Barroso.

Die politische Wirklichkeit ist von diesen Wünschen weit entfernt. Der Wahlsieg der Terrororganisation Hamas in den palästinensischen Autonomiegebieten, der Atomstreit mit Iran und zuletzt der Ausbruch von Gewalt und Hass als maßlose Reaktion auf die dänischen Karikaturen hat die Brüsseler EU-Kommission überrollt und in lähmende Ratlosigkeit versetzt. Obgleich sich die EU stolz als „Wertegemeinschaft“ definiert, beginnen europäische Politiker schon die westliche Meinungs- und Pressefreiheit zu relativieren und gegenüber der Gefahr abzuwägen, religiöse Gefühle in den strategisch wichtigen Ölländern zu verletzen.

Die vorsichtig taktierende, um Ausgleich bemühte Kommission gerät deshalb in der dänischen Öffentlichkeit immer mehr in die Kritik: Brüssel habe zu lau reagiert und vertrete nicht entschlossen genug die Sache der Dänen. Tatsächlich hat die EU-Kommission es bisher vermieden, den islamischen Staaten, in denen die europäischen Botschaften brennen, mit dem Abbruch der Zusammenarbeit – und der finanziellen Hilfen – zu drohen. Doch bald könnte es zum Schwur kommen: Teheran hat den Wirtschaftsboykott gegen Dänemark angekündigt. Die EU kann das nicht duldend und schweigend hinnehmen.

Am Dienstag hat die EU-Kommission zwar die islamischen Staaten vor Handelssanktionen gewarnt. „Ein Boykott gegen Dänemark ist ein Boykott gegenüber der EU,“ sagte EU-Außenhandelskommissar Peter Mandelson schon in der vergangenen Woche. Aber wird die EU es wagen, den Appellen und Worten handfeste Politik folgen zu lassen? „Ein Boykott von europäischen Waren würde gegen die ökonomischen Interessen aller verstoßen“, glaubt man in Brüssel – und hofft, dass sich am Ende auch in den emotional aufgeheizten islamischen Ländern die Vernunft durchsetzt.

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