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Politik: BSE: Futter für Misstrauen

Dem Agrarminister hat es die Sprache verschlagen. Der Gesundheitsministerin auch.

Von Robert Birnbaum

Dem Agrarminister hat es die Sprache verschlagen. Der Gesundheitsministerin auch. Karl-Heinz Funke hat eine Grippe vor Tagen verstummen lassen, bei Andrea Fischer war es der Rinderwahn. Über die Nöte der Demenz-Kranken wollte die Grüne am Freitag früh mit der Presse reden. Fischer aber war klar, dass die Journalisten ganz andere Fragen stellen würden. Da sagte sie lieber ab. Die Ministerin hatte ohnehin ein dringlicheres Gespräch zu führen: Mit ihrem Bundeskanzler.

Lange konnte Fischer zu Recht den Eindruck haben, dass sie in der BSE-Krise recht gut dasteht. Allzu offensichtlich hatte Kabinettskollege Funke die Gefahr verharmlost, die vom deutschen Rind ausgeht. So offensichtlich, dass Gerhard Schröder zu dem alten Gefährten aus Niedersachsen auf großen Abstand ging. Erst kam das forsche Kanzler-Wort "Weg von den Agrarfabriken", dann kam Schröders Abmahnung im SPD-Präsidium, dass auch für einen Landwirtschaftsminister der Verbraucher absoluten Vorrang vor dem Bauernschutz haben müsse. Funke, der einst mehr Schröder als sich selbst zuliebe den Ministerposten angenommen hat, fand das eine wie das andere nicht witzig. Kurz bevor er die Sprache verlor, hat er vor Bauern im heimatlichen Varel noch einmal laut gesagt, was er von des Kanzlers agrarpolitischer Wende hält: nichts. Leute, die ihn kennen, hat das offene Wort etwas beunruhigt.

Andrea Fischer hingegen hat das alles sehr beruhigt. Verbraucherschutz, das war ja ihre Sache - wie zufällig eins der Themen, das ihr Parteichef Fritz Kuhn und Fraktionschef Rezzo Schlauch vor Wochen in einem Krisengespräch anempfohlen hatten, um das Negativ-Image der überforderten Gesundheitsreformerin abzustreifen. Fischer also führte in der BSE-Krise ein offenes Wort. Anfang dieser Woche wurde ihr diese Offenheit zum Verhängnis. Deutsche Wurst, so Fischer sinngemäß, sei sicher. Es war eine Auskunft nach bestem Wissen und Gewissen. Nur leider war sie falsch.

Das wäre wohl nicht so schlimm, hätte nicht Fischers Festlegung eine üble Panne im Regierungsapparat auffliegen lassen. Am Mittwochabend - sie hatte gerade erst die Wurst erneut verteidigt - landete auf dem Tisch der Ministerin ein Schreiben der Bundesanstalt für Fleischforschung im bayerischen Kulmbach mit einer Warnung: So genanntes Separatorenfleisch aus dem Wirbelsäulenbereich werde in manchen Würsten verarbeitet - es sei BSE-verdächtig. Der Brief hat einen langen Weg hinter sich: Abgeschickt am 5. Dezember an das Landwirtschaftsministerium, dort von einem Unterabteilungsleiter zwei Tage später abgezeichnet; am 11. Dezember ging das Schreiben, ohne dass es im Hause Funke messbare Spuren hinterließ, ans Gesundheitsministerium weiter, wo es eine weitere gute Woche umhergeisterte, bis endlich jemand die Brisanz bemerkte. Dass das Kulmbacher Institut in gleicher Sache schon 1996 vor der Gefahr gewarnt hatte, kam bei der Gelegenheit gleich mit heraus. Sie habe halt, verteidigte sich Fischer am Donnerstag, die Korrespondenz ihres Vorgängers Horst Seehofer (CSU) nicht komplett gelesen. Das sei, interpretierte Fischers Sprecherin Sabine Lauxen anderntags die Ministerin, eher scherzhaft gemeint gewesen.

Aber Scherze in Zeiten von BSE sind riskant. Da hat zum Beispiel die Bundesforschungsanstalt für Viruserkrankungen der Tiere schon im April bei einem Expertentreffen davor gewarnt, Deutschland vorschnell für BSE-frei zu erklären. Die Experten empfahlen nicht nur Reihenuntersuchungen. Sie rieten auch, sich auf einen eventuellen BSE-Fall in Deutschland vorzubereiten. Funkes Sprecherin Sigrun Neuwerth, darauf angesprochen, versuchte es mit Ironie. Man habe sich ja vorbereitet: "Die Aufregung war in unserem Hause deutlich geringer als in der Presse."

Nur gut, dass Neuwerth in diesem Moment nicht das Gesicht des Regierungssprechers sehen konnte. Hatte Uwe-Karsten Heye doch gerade noch einmal energisch des Kanzlers Linie propagiert, dass an dem BSE-Debakel "die gesamte Gesellschaft und ihre Organisierung" schuld seien, will sagen: Alle; also keiner. Nur folgerichtig, dass Heye wie Lauxen versichern, in dem Telefonat zwischen Gesundheitsministerin und Kanzler sei von Rücktritt keine Rede gewesen. Vielmehr habe Schröder, sagt Heye, Fischer den Rücken gestärkt.

Das heißt erstens, dass solche Stärkung wohl nötig ist, und ist zweitens nur ein Teil der Wahrheit. Der andere ist, dass Fischer keineswegs nur zum Hörer gegriffen hat, um den Kanzler über den jüngsten Stand zu unterrichten. Die Grüne wollte auch auf den Busch klopfen, wie beim Chef die Stimmung ist. "Wir haben schon etwas um sie gebangt", gestehen Parteifreunde. Zwar kann der SPD-Kanzler keinen Grünen-Minister schassen. Aber gegen Schröders Willen bleibt niemand im Kabinett. Immerhin sieht die Grüne nicht nur aufgrund des Telefonats wieder etwas Licht: Die Wurst-Warnung aus Kulmbach ist ja nicht nur in ihrem Hause, sondern schon bei Funke verschlampt worden.

Der hat nicht bei Schröder angerufen. Des Ministers Stimmenverlust, sagt Heye, erkläre das. Aber in der Koalition mögen etliche nicht ausschließen, dass Funkes Schweigen ein Indiz dafür ist, dass da einer über seine Zukunft nachdenkt. "Der hängt nicht an dem Job", sagt ein Regierungsmann. Und Schröders Anraunzer, wie gesagt, hat dem Ostfriesen nicht gefallen.

Im Hause Fischer gibt man sich gelassen: Wenn Funke gehen sollte, glaubt man dort, wäre die Ministerin aus der Schusslinie. Doch Parteifreunde sehen das ganz anders: Es habe ja Gründe, sagt einer, dass kein Grüner Funkes Rücktritt gefordert habe. Es sind die gleichen Gründe, aus denen die SPD-Gesundheitspolitikerin Gudrun Schaich-Walch der Ministerin Andrea Fischer jetzt Versäumnisse beim Verbraucherschutz vorhält. Im Klartext war das eine Warnung: "Wir hocken alle im gleichen Boot."

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