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Politik: BSE: Zuviel eingesteckt

Man glaubt heute gar nicht mehr, dass ein loses Stück Papier im Bilderzeitalter noch groß etwas auslösen könnte. Abgehörte Telefongespräche, gelöschte Festplatten, gut - aber ein Brief?

Man glaubt heute gar nicht mehr, dass ein loses Stück Papier im Bilderzeitalter noch groß etwas auslösen könnte. Abgehörte Telefongespräche, gelöschte Festplatten, gut - aber ein Brief? Barbara Stamm, die bayerische Gesundheitsministerin, tut noch am Nachmittag ihres Rücktritts einigermaßen erstaunt, als sei sie versehentlich in ein Stück von Schiller oder Kleist geraten. Mittlerweile ist es aufgetaucht, "das Schreiben, das ja jetzt die Welt bewegt", wie die Ministerin ein wenig ironisch sagen will, aber Ironie steht ihr nicht, und das weiß sie auch.

Deswegen wird sie noch einmal ganz amtlich. "Illegaler Tierarzneimittelverkehr Ihr Zeichen VII 9/8891/24/97" steht über der Anrede. Die lautet: "Sehr geehrter Ministerialdirigent Dr. Marino". Der Brief des Präsidenten der bayerischen Landestierärztekammer, Günter Pschorn, stammt vom 30. August 1999, ist lang, in einigen Fragen des Medikamentenmissbrauchs bei Tieren sehr detailliert - und vor allen Dingen besorgt im Ton. Irgendwann ist der Brief in der Behörde der Ministerin verschwunden. Günther Pschorn erhält keine Antwort. Es ist nicht besonders gut, in diesen Tagen Schwierigkeiten beim Antwortgeben zu haben. Barbara Stamm aber ist um Antworten sehr verlegen gewesen. BSE war wie der Igel immer schon da, und die Ministerin war die klassische Häsin: erschreckt, erschöpft, ergeben.

Vor Wochen gab es ein Gespräch, in dem auf einmal die Frage auftauchte und sich selbstständig machte, was denn eigentlich mit der Milzwurst sei. Milzwurst war in Bayern mal ein großer Hit auf Semmel und Teller, aber keiner hätte es Barbara Stamm verargen können, wenn sie simpel gesagt hätte: Ich weiß es nicht. Da es aber, wie gesagt, zur Zeit nicht gut ist, genau dies zu sagen, auch wenn es stimmt, entschloss sie sich zu einer Schein-Antwort, die leicht zu durchschauen war - und falsch. Im Grunde genommen ist Barbara Stamm an ihrem Stil gescheitert.

Stamm präsentiert sich im Münchner Staatsministerium endlich wie hinter einer zugezogenen Gardine: eine türkis behängte, augendeckelplinkernde Unschuldsmamsell, die angeblich kein Ministerpräsident zum Gehen hat bitten müssen. Während sie mit dem Mund noch darüber spricht, dass am Wochenende in Bayern einer der größten Schläge gegen den Arzneimittelmissbrauch im Schweinestall gelungen sei, redet ihr Körper eine andere Sprache, und so sagt sie es dann auch. Sie habe viel einstecken müssen in den letzten Wochen, zuviel, ungerechterweise. Von nun an ist Stoibers Stellvertreterin wieder nur Mutter und Oma, wie sie betont. Und kann wieder "mit hoch erhobenem Kopf durchs Land gehen".

Politik mache sie mit dem Herzen, sagte Barbara Stamm einmal. "Mit viel zu viel Herz", fügte sie hinzu. Ihr Amt als Ministerin für Arbeit und Sozialordnung, Familie, Frauen und Gesundheit, das sie seit 1994 inne hatte, gab ihr die erforderliche Sicherheit auch dem Parteichef Theo Waigel gegenüber. Wenn es um das Arbeitslosengeld oder das Verhältnis der CSU zu den Gewerkschaften ging, hatte Barbara Stamm ihren eigenen Kopf - und nicht selten dachte sie ein wenig anders als Edmund Stoiber, der Widerspruch auch nur in Maßen duldet. Die BSE-Krise allerdings führte dazu, dass der selbst einigermaßen ratlose Ministerpräsident von seinen zuständigen Ministern auf die Schnelle Lösungen erwartete, die zu finden beide einigermaßen unfähig waren. Zu einem großen Teil lag es wohl daran, dass beide in übergroßer Loyalität zu den Bauernverbänden seit Jahren konsequent die Augen geschlossen hielten, wenn es Probleme gab.

Von Barbara Stamm war eigentlich gar nichts Substantielles mehr zu hören gewesen, außer Halbheiten, Beschwichtigungen und Vertuschungsversuchen. Nun schweigt die eine der beiden verbliebenen Ministerinnen im Kabinett Stoiber endgültig, verkniffen lächelnd, wie nach einer Intrige, die keine war. Am Ende brauchte es nur noch, ganz klassisch - einen Brief.

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