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Angela Merkel auf einem Wahlplakat.

© dpa

Angela Merkel auf Schmusekurs: Der Wahlkampf, der gar keiner ist

Harmlos und nett kommt der Wahlkampf von Angela Merkel daher. Es gibt keinen Streit, keine Aufregung, keine Stimmung. Stattdessen erlebt das Publikum eine Kanzlerin im Teletubby-Land.

Von Robert Birnbaum

Der Typ mit den graumeliert verfilzten Rastalocken im teuren Goretex-Anorak lehnt locker am Bremer Roland und ist unzufrieden. „Ey, komm’ doch mal zur Sache, ey!“ grölt er in Richtung Tribüne. Aber Angela Merkel ist noch beim geselligen Teil ihres Wahlkampfauftritts, in dem sie einen Moderator wissen lässt, dass sie gerne mehr ausschlafen würde und dass ihr Mann ihr kein Frühstücksei kocht: „Frühstück ist nicht so seine Sache.“ Im abgezäunten Bereich für die geladenen Gäste macht sich ein wissendes Schmunzeln breit: Ach, guck mal – genau wie bei uns! Dann geht der Moderator von der Bühne. Jetzt könnte sie also zur Sache kommen – wenn, ja wenn sie das denn wollte.

Es ist Merkels vierter Auftritt von einem halben Hundert, die noch kommen sollen bis zum 22. September. Bremen ist eins der schwierigeren Pflaster. „Wer hier zur CDU hält, ist ganz besonders treu“, hat ein örtlicher Funktionär im Vorprogramm geseufzt. Die Hansestadt war immer rot, die CDU leistet sich obendrein seit Jahren intrigante Grabenkämpfe. Hinten auf dem Markt verteilen die Grünen grüne Luftballons. „CDU – ich platz’ gleich“ steht drauf.

Es kommt keine Stimmung auf

Rund um den steinernen Roland, die riesige mittelalterliche Ritterfigur, schart sich ein Häuflein Schwarzkapuzenträger aus dem Ostertor-Viertel, die später ein bisschen tuten und trillern werden. In den 80ern war das Ostertor ein autonomer Brandherd. Heute ist es das Denkmal eines Brandherds, originale Urbewohner wie den ergrauten Rastafilzkopf inklusive.

Also, schwieriges Pflaster, obendrein nass, die Leute ducken sich unter Schirmen. Aber es liegt nicht am Nieselregen, dass hier so etwas wie Stimmung nur ein-, zweimal aufkommt, so wenig wie am gesetzten Alter der Anhängerschaft. Es liegt daran, dass die CDU-Vorsitzende sich schon dem Anschein konsequent verweigert, sie betriebe Wahlkampf.

Angela Merkel im Teletubby-Land

Das Publikum erlebt stattdessen Angela Merkel im Teletubby-Land. So harmlos und nett wie in der Kleinstkinder-Fernsehserie geht es zu in Merkels Deutschland, „eine gemeinsame Gesellschaft, in der jeder erbringt, was er erbringen kann“; eine grüne Wiesenlandschaft, auf der auch der CDU „Migranten“ angeblich „immer schon“ willkommen gewesen sind, sofern sie sich nur an die Gesetze halten und Deutsch lernen.

Das ist übrigens eine der wenigen Passagen, bei der unter den Geladenen Applaus aufbrandet; den zweiten stärkeren Beifall setzt es für den Hinweis an die Schwarzkapuzenträger, dass mancher ja der Meinung sei, „dass der Lebensinhalt im Wesentlichen aus Pfeifen besteht“.

Das war’s dann aber mit der Konfrontation. Als einzige politische Gegner werden die Grünen abgemahnt, sanft und tubbymäßig, nämlich „mit ein bisschen Zwinkern im Auge: Wenn Sie Ratschläge brauchen, an welchen Tagen Sie kein Fleisch essen, dann ist die CDU für Sie nicht die richtige Partei.“ Ein gewisser Peer S. kommt nicht vor, seine Partei nur in giftigen Seitenhieben der lokalen Christdemokraten über ihre Stadt, die schlecht regiert werde.

„Ich würd’ gern vier Jahre weiter Ihre Bundeskanzlerin sein.“

Ein bisschen Wahlkampf: Anhänger von Bundeskanzlerin Angela Merkel am Freitag bei der CDU-Veranstaltung in Bremen.
Ein bisschen Wahlkampf: Anhänger von Bundeskanzlerin Angela Merkel am Freitag bei der CDU-Veranstaltung in Bremen.

© dpa

Ober-Tubby Angela mag sich nicht hauen. Dafür geht es einfach zu flauschig zu in ihrem Land mit seiner famosen sozialen Marktwirtschaft und in ihrem Europa, in dem 50 Prozent aller Sozialleistungen der Welt ausgegeben werden. „Ich finde das gut“, schiebt Merkel nach. Nicht, dass jetzt einer von der Konkurrenz das als versteckte Kritik am Sozialstaat deutet oder gar einer der versprengten Neoliberalen aus der CDU versehentlich als Bestätigung!

Sicher, es gibt auch ein paar – nein, bitte nicht „Probleme“, welch hartes Wort! Dass der Hotelkoch in ihrer Heimat auf Rügen mehr als 40 Stunden arbeitet und trotzdem hinterher als Hartz-IV-Aufstocker zum Sozialamt muss, weil der Lohn nicht reicht – „das ist nicht in Ordnung“. Und dass es böse Banker gibt, die unverantwortlich mit Geld umgehen und „die soziale Marktwirtschaft mit Füßen getreten“ haben – auch das ist „nicht in Ordnung“. Aber für den einen soll demnächst ein Mindestlohn à la CDU die Ordnung wiederherstellen, und der andere liegt quasi schon an der Leine: „Deswegen haben wir die Märkte reguliert.“

Niveau auf Kleinkindfernsehen

Ansonsten? Euro-Krise, Massenproteste im Süden, Angst ums Ersparte im Norden? Auch das schnurrt auf ein Niveau knapp oberhalb des Kleinkindfernsehens zusammen. „Nun kann man sagen, dass ich manchmal ein bisschen streng war“, räumt die gute Tante Angela ein. Doch andererseits: „Jeder muss seine Hausaufgaben selber machen, sonst wird es nicht gut.“

Ach ja, und dann war da ja noch diese Abhörgeschichte. Einer der Schwarzkapuzigen hält ein Pappplakat hoch mit der höhnischen Aufschrift: „Niemand hat die Absicht einen Überwachungsstaat zu errichten!“ Er wird dafür mit Verständnis bestraft. Wer alles die eigenen E-Mails mitlese, „das ist ja auch vernünftig, dass solche Fragen gestellt werden“, sagt Merkel, einerseits; andererseits brauche man Geheimdienste dafür, „dass jeder von Ihnen sicher leben kann“.

Nach einer Dreiviertelstunde ist es vorbei. Bleibt zum Schluss die sanfte Bitte: „Ich würd’ gern vier Jahre weiter Ihre Bundeskanzlerin sein.“ Ein Schritt seitwärts weg vom Mikrofon – und winke, winke. Ein etwas scheues, ungelenkes Winken übrigens, das man nach acht Jahren Kanzlerschaft nicht mehr erwartet; so eins wie bei der frühen Angela, die noch nicht sicher war, ob sie die da unten in den Griff bekommen wird.

Wahrscheinlich weiß sie es jetzt wieder nicht. Der Beifall bleibt höflich. Schwer zu sagen, ob das an Bremen liegt oder daran, das die meisten die Hände eh nicht zum Klatschen frei haben, weil genau jetzt jeder ein Handyfoto von der Winke-Kanzlerin schießt. Aber vielleicht liegt es auch an dieser Rede? Die Nationalhymne ist längst gesungen und Merkel längst weg, da zieht der Rastaverfilzte quer über den Platz. Er reckt ein ums andere Mal ein „Angie“-Schild in die Luft. Wie ein neuer Fan wirkt er nicht.

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