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„Klare Worte“ heißt das neue Buch von Altkanzler Gerhard Schröder, das am Freitag in Berlin vorgestellt wurde und im Herder-Verlag erscheint.

© AFP

Buch des Altkanzlers: Schröders Bühne

Schröder kann Angriff. Auch deshalb hat er ein neues Buch gemacht. Aber Freitag war nicht der Tag für Profilierung. Es war der Tag des Entertainments.

Die Furchen auf der Stirn, den Wangen, um den Mund zur Nase hoch sind tiefer geworden. Aber der Gesichtsausdruck ist weicher, hat die von der Anspannung des Amtes rührende Schärfe verloren – „als Bundeskanzler lässt sie diese Anspannung nie los“. Vorn im gut gefüllten Atrium der Deutschen Bank in der Berliner Charlottenstraße sitzt ein Mann, bald 70 Jahre alt, Bundeskanzler a.D., und genießt die Aufmerksamkeit. 600 Leute sind gekommen, Entscheider und Ex-Entscheider aus Wirtschaft, Politik und Kultur. Peer Steinbrück, gerade noch Kanzlerkandidat gewesen, kommt als Erster, Otto Schily, Bundesinnenminister a.D., kommt zu spät.

Und den Mann, um den es geht, überkommt immer wieder, als könne er es gar nicht steuern, ein breites Grinsen, wenn er ins prall gefüllte Auditorium lugt, und eine Entspanntheit, die er sich, würde er wohl sagen, doch verdient hat.

Gerhard Schröder ist an diesem Freitagmittag in Berlin, um sein neues Buch vorzustellen, das er zusammen mit dem FAZ-Journalisten Georg Meck gemacht hat und das er, wie es in seiner Amtszeit oft üblich war, über die „Bild“-Zeitung vorab verbreiten ließ. Das Gesprächsbuch trägt den Titel „Klare Worte“, was nach Franz Münteferings klarer Kante klingt, aber hält, was es verspricht.

Es ist ein Angriffsbuch, schön geradeaus und mit wenig Selbstzweifel, wie man es von Schröder gewohnt ist. Zwischendrin erfährt der Leser ein paar nette Anekdoten über die Mächtigen der Welt, dass Bill Clinton die Europäer immer warten ließ oder dass er, Schröder, selbstverständlich auch Tony Blair im Tennis geschlagen hat, obwohl der mit eigener Trainerin angereist ist.

Schröder will sich in der Europapolitik profilieren

Aber an sich geht es in dem Buch um Schröders europapolitische und geopolitische Einlassungen. Hier will er sich profilieren und eine nachhaltige Stimme werden, jenseits seiner Aufgaben als Vater und Teilzeit-Hausmann – gerne als ein respektierter Elder Statesman, dem Beispiel Helmut Schmidts folgend.

Drei Essentials muss Europa befolgen, die Schröder im Buch von Georg Meck knapp formulieren lässt, wenn es nicht Macht und Einfluss verlieren will: die politische Union schaffen, die Türkei aufnehmen und einen Assoziierungsvertrag mit Russland abschließen.

Wenn es um Russland geht, wird Schröder leidenschaftlich. Im Buch kritisiert er die europäische Haltung scharf und findet, dass die Politik gegenüber Russland, Deutschland schließt er mit ein, einer „anti-russischen Haltung Vorschub leistet“. Aber ausgerechnet auf dem Podium in Berlin – neben ihm sitzt der gerade aus Israel mit ein paar politischen Blessuren zurückgekehrte Martin Schulz, Präsident des Europäischen Parlaments, der ihn ausführlich lobt als einen „ganz großen Politiker“ – hat Schröder offensichtlich keine rechte Lust auf Angriff. Und das hat auch einen Grund, es würde sich, zumindest an diesem Tag, sowieso versenden. Er, der vor allem auch ein „Medienkanzler“ war („Bild“, „Bams“ und „Glotze“), weiß, was sich drüben im Regierungsviertel abspielt und dass das Thema Edathy, Friedrich und Co. alles überlagert. Was Schröder über die Rente mit 63, über Oskar Lafontaine, Sotschi oder eben auch über Wladimir Putin zu sagen hat, reicht heute nicht heran an die Nachricht eines Ministerrücktritts.

Und deshalb ist es allen Anwesenden ganz recht, dass Michael Naumann, Publizist und unter Schröder ein ziemlich erfolgreicher Staatsminister für Kultur, sich als Moderator dieser Veranstaltung des Herder-Verlags um Entertainment bemüht. Und doch auch Schröder ein paar Mal mit frechen Fragen piekst, wie beispielsweise der, ob nicht Oskar Lafontaine einst mit seiner Kritik an der Deregulierung der Finanzmärkte recht hatte.

Schröder guckt bei Beckmann ein wenig entrückt oder angefasst

Schröder aber lächelt alle wirklich politischen Fragen locker weg und landet bei der Beantwortung weit von Naumanns Intention entfernt bei der Philosophie des „Forderns und Förderns“ seiner Agenda-Politik. Amüsant auch der Versuch Naumanns, Schröder zu verleiten, sich zu einer Schuldenpolitik zu bekennen, weil es, sagt Naumann, „historischer Fakt“ sei, dass Staaten stabiler sind, wenn sie Schulden machten. Und siehe da, Schröder muss dann doch noch zugeben, dass „wir uns das Recht herausgenommen haben“, die Maastricht-Kriterien zu durchbrechen, „weil es für die Agenda-Politik notwendig gewesen ist“.

Tags zuvor wiederum, als er in der ARD-Sendung bei Reinhold Beckmann sitzt, sieht man noch einen anderen Schröder. Trotz seiner Eitelkeit und dem gern demonstrierten Selbstbewusstsein, vor allem im Fernsehen, fällt auf, was man schon vergessen hatte: Man kann sich sehr an diesem Mann und seiner Art über Politik zu reden reiben („Ich revidiere meine Haltung zu Putin nicht“) und hat trotzdem Spaß an ihm.

Es gibt in der Sendung einen kurzen Moment, in dem einem als Zuschauer etwas mulmig wird, als Schröder grübelt: „1963..., nein das muss später gewesen sein.“ Beckmann hilft, „doch, doch, am 22. 11. 1963 wurde John F. Kennedy erschossen“. Schröder sagt, vermutlich sei er da in Göttingen gewesen, Beckmann versucht, sich seine Irritation nicht anmerken zu lassen; kurzes Fremdschämen darüber, dass sein Gast wirklich vergessen haben könnte, was er an dem Tag machte, als Kennedy getötet wurde. Man muss diese Szene nicht wirklich überbetonen, aber interessant war sie schon deshalb, weil Schröder, wie schon in seinem Buch, ein wenig unbeholfen versuchte zu erklären, warum ihm die USA fremd sei. „Ich kann es im Einzelnen nicht sagen“, sagt er und wieder guckt Beckmann ungläubig.

Kinder und Familie: Schröder spricht auch über Privates

Noch interessanter ist es, Schröder zuzusehen, wenn er über seine Kinder und seine Familie spricht. Der „Stern“ titelte pünktlich „Schröder. Sein trauriges Leben nach der Macht. Falsche Freunde, keine richtige Aufgabe und eine Frau, die eigene Wege geht“. Nach der Lektüre musste man sich Schröders Leben so vorstellen: Seine Frau, Doris Schröder-Köpf, macht nun Karriere in der niedersächsischen Landespolitik, er weiß nicht, was er tun soll und muss auch noch wegen der Kinder lukrative, also hochdotierte Termine absagen.

Was immer auch die Wahrheit ist, bei Beckmann tritt eben auch ein älterer Herr auf, der selbst keinen Vater als Erzieher hatte und der als Kanzler keine Zeit für seine Familie haben konnte. Darf ein angehender „Elder Statesman“ also auch heutzutage kein Mann sein, der auf einen Elternabend geht, Pausenbrote schmiert und die Kinder versorgt? Muss das jetzt ein schlechtes, ein trauriges Leben sein?

Schröder guckt bei Beckmann an dieser Stelle schon ein wenig entrückt oder angefasst, weil sie ihn wohl schon ärgerte, diese „absurdeste Geschichte, die je über mich geschrieben wurde“. Trotzdem macht er weder im Fernsehen noch auf dem Podium einen depressiven Eindruck. Und es wirkt auch nicht verlogen, wenn er sagt, er sei „stolz auf seine Frau“ und die Zeit mit den Kindern empfinde er als „ein großes Glück“.

Schröders sozialer Aufstieg aus ärmsten Verhältnissen

Martin Schulz ist es, der auf einen anderen spannenden Aspekt des Schröder-Buches aufmerksam macht, auf den recht pessimistischen Schluss, der gleichzeitig einen tiefen Einblick gibt in sozialdemokratisches Denken. Schröder ist einer der wenigen verbliebenen Sozialdemokraten, die den sozialen Aufstieg aus ärmsten Verhältnissen durch Bildung als Erfahrung verinnerlicht haben. Es war ein selbst erkämpfter Aufstieg, aber eben auch einer, wie Schröder sagt, den „die Gesellschaft mir ermöglichte“. Nun behauptet er: „Heute hat sich bei vielen jüngeren Menschen die Erfahrung festgesetzt: Wer aus der Oberschicht kommt, hat es leichter in der Schule als das Unterschichtkind. Das ist eine gefährliche Entwicklung. Sie bedeutet das Ende der offenen Gesellschaft.“ Seine These am Ende des Buches lautet: „Ich glaube nicht, dass eine Karriere wie die meine heute noch einmal möglich wäre.“

Am Freitag ließ es sich Schröder einfach gutgehen. Das Reichte ihm. Warum er nun das Buch geschrieben hat? Schröder-Grinsen: „Ist mein Geburtstagsgeschenk an mich selbst.“ Nein, dieser Freitag war nicht der richtige Tag für Profilierung.

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