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Gouverneur der Provinz West-Aserbaidschan: Wahid Jalalzadeh.Foto: K. Eglau

© Katharina Eglau, Winterfeldtstr.

Politik: Bürger dritter Klasse

Die Kurden im iranisch-irakischen Grenzgebiet kämpfen für ein besseres Leben – mit zum Teil mörderischen Mitteln

Beide Seiten blasen die Siegesfanfaren. Irans Revolutionäre Garden wollen „eine große Zahl von Terroristen“ bei geringen eigenen Verlusten getötet haben. Die kurdischen Guerilleros antworten auf ihrer Website, die Krankenhäuser in Urumieh, der Provinzhauptstadt im iranischen West-Aserbaidschan, liefen über mit Toten und Verwundeten. Die Wahrheit der seit Jahren härtesten Gefechte dagegen ist kaum zu ermitteln im unzugänglichen Qandil-Gebirge des Irak, wo die etwa 1000 iranisch-kurdischen Kämpfer der „Partei für ein freies Leben in Kurdistan“ (PJAK) ihre Unterschlüpfe haben. 2004 gegründet, ist die Organisation ein Ableger der kurdischen Arbeiterpartei PKK, die in Europa als terroristische Vereinigung gilt. Nach offiziellen Angaben aus Teheran gehen auf das Konto der PJAK-Filiale bisher etwa 250 bewaffnete Überfälle mit 315 Toten und fast 400 Verletzten – Grenzposten und Polizisten, Händler, Geistliche und Bauern.

Einer von ihnen war der Vater von Ayyub Khoshmanzan aus dem Dorf Maput, 500 Meter von der Grenze zur Türkei entfernt. Die Familie sei gegen 22 Uhr von einer Hochzeit nach Hause gekommen, als 15 Guerilleros in zwei Pick-ups auftauchten. Sie zerrten das 62-jährige Familienoberhaupt ins Treppenhaus und bohrten ihm vor den Augen seiner entsetzten Angehörigen ein Bajonett in den Leib. Dann fuhren sie mit dem Schwerverletzten davon, seine Leiche brachten sie am nächsten Tag zurück. Sechs Einschüsse, Ohren und Nase abgeschnitten, beide Füße aufgerissen. „Mein Vater war Viehzüchter – hatte 40 Schafe und sich der PJAK-Forderung widersetzt, die Hälfte seiner Tiere als Rebellensteuer herauszugeben“, sagt der 30-jährige Sohn. Auch jeder, der ein Auto kauft, muss noch einmal 50 Prozent des Kaufpreises an die PJAK aushändigen. Auf geschmuggeltes Heroin erheben sie einen eigenen „Zoll“ oder verlangen kostenlose Transportfahrten. Seit 2005 seien allein aus seinem Dorf acht Menschen getötet worden, sagt Khoshmanzan. Der iranische Staat antwortet mit großer Härte. Dutzende kurdische Aktivisten wurden unter dem Vorwurf hingerichtet, Mitglieder der PJAK zu sein. Viele von ihnen wurden gefoltert.

Gesteuert wird die PJAK von Deutschland aus. Ihr Chef ist Abdul Rahman Hajj Ahmadi, 1941 im Iran geboren, der in Köln-Porz lebt und inzwischen die deutsche Staatsbürgerschaft hat. Seit Jahren verlangt der Iran seine Auslieferung, im März 2010 wurde der 70-Jährige auf Ersuchen Belgiens verhaftet, jedoch nach zwei Tagen wieder freigelassen. Anders als die PKK, spielt die PJAK im Verfassungsschutzbericht nur eine Nebenrolle, sie habe „mit Ausnahme eines engen Führungskreises um den Parteivorsitzenden Hajj Ahmadi bisher kaum Strukturen gebildet beziehungsweise Aktivitäten entfaltet“. Die US-Behörden dagegen stellten die PJAK im Februar 2009, einen Monat nach dem Einzug von Barack Obama ins Weiße Haus, auf die Liste terroristischer Organisationen.

Muchtar Sarii stammt aus Sanandaj und ist Kurde, hat einen eigenen Blog und beschäftigt sich seit Jahren mit der Lage seiner kurdisch-iranischen Landsleute. Im Präsidentenwahlkampf 2009 stritt er für Mehdi Karroubi. Das System der Islamischen Republik „verursacht große Ungerechtigkeiten zwischen Zentrum und Peripherie“, sagt er. Bei staatlichen Investitionen liege die kurdische Region „im unteren Drittel der Tabelle“. Ihre Bewohner, die acht Prozent der 72 Millionen Einwohner ausmachen, fühlen sich als Bürger dritter Klasse. In hohen politischen Ämtern sind die iranischen Kurden unterrepräsentiert. Und doch ist ihr Verhältnis zur PJAK ambivalent, sagt Muchtar Sarii. „Die Terrortaten erwecken Abscheu, wird jedoch einer der Rebellen hingerichtet, empfinden die Menschen Mitleid.“ Seiner Meinung nach setzt Teheran zu sehr auf eine militärische Lösung und zu wenig auf kulturelle, wirtschaftliche und gesellschaftliche Angebote. So dürfen Kurden im Iran keine eigenen politischen Parteien haben. Seit 2006 existiert lediglich die „Kurdische Allianz“, eine lose Bürgerbewegung, in der sich viele kurdische Intellektuelle sammeln. „Wir fühlen uns im Iran nicht fremd, wir streben keine Trennung an“, sagt Muchtar Sarii. „Aber wir wollen eine Besserung unserer Lebensverhältnisse“ – eine Forderung, die Wahid Jalalzadeh, der Gouverneur von West-Aserbaidschan, relativiert. Seit 2005 sei bewusst in die Grenzgebiete investiert worden, erläutert der 44-Jährige und zählt eine ganze Liste auf – Erweiterung der Universität, drei neue Zement- und Chemiefabriken sowie ein Ausbau der vorhandenen Goldminen. Demnächst solle eine neue Industriestadt mit Autofabrik gebaut werden, Arbeit für 10 000 Menschen. Zudem hält er sich zugute, dass sich die Zahl der PJAK-Überläufer in den letzten beiden Jahren verdoppelt hat.

Viele junge Leute lassen sich anwerben aus Perspektivlosigkeit, Langeweile oder Abenteuerlust. Die Hälfte in den Lagern sind Frauen. Efsan, wie sie sich nennt, hat ein feines, blasses Gesicht mit einem energischen Kinn. Zu dem Gespräch erscheint die 18-Jährige, die nur fünf Jahre eine Schule besucht hat, zusammen mit ihrem Vater. Vor drei Jahren ließ sie sich von zwei PJAK-Kämpfern mitziehen. „Ihre Uniformen und Waffen haben mir imponiert“, sagt sie. Im Lager in den Qandil- Bergen aber gingen ihr schnell die Augen auf. Das Leben war extrem karg, die Tage total durchgeplant – Waffendrill, Sport, Essen kochen und putzen, immer unter der Aufsicht von Aufpasserinnen. „Natürlich kann ich schießen“, sagt sie – aber nicht, ob sie auch bei Terroraktionen mitgemacht hat. Wie die PKK hat die PJAK ebenfalls Züge einer Sekte, ihren Kämpfern ist das Heiraten verboten, Männer und Frauen leben streng getrennt und werden systematisch mit der Weltlehre des inhaftierten PKK-Chefs Abdullah Öcalan indoktriniert. Es herrscht ein paranoides Klima, wer sich verdächtig macht, gar fliehen will, kann ohne viel Federlesens hingerichtet werden. Zwei Jahre habe sie nach einer Gelegenheit gesucht abzuhauen, schließlich gelang die Flucht zurück in den Iran mithilfe von Schmugglern. Seither leidet Efsan an chronischen Magen- und Nierenschmerzen.

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