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Politik: „Bürger müssen Verdächtiges frühzeitig melden“

Geheimdienstkoordinator Fritsche über die Sicherheitslage nach den Kofferbomben und vor dem fünften Jahrestag des 11. September

Die Kofferbomber sind in Haft, das Umfeld wird offenbar zügig ermittelt – ist die Terrorgefahr für Deutschland gebannt?

Das gilt nur für die bisher festgenommenen Täter, die für die Kofferbomben verantwortlich sind. Die Terrorgefahr bleibt hoch. Osama bin Laden zählt uns zu den Kreuzritter-Staaten, vor allem wegen der Anti-Terror-Einsätze der Bundeswehr in Afghanistan und am Horn von Afrika. Außerdem gibt es, wie auch schon vor dem 11. September 2001, die Bedrohung durch so genannte non-aligned-mujahedin. Das beste Beispiel ist der von Algeriern in Frankfurt vorbereitete Anschlag auf den Weihnachtsmarkt von Straßburg, den die deutschen Sicherheitsbehörden im Dezember 2000 nur knapp vereiteln konnten.

Warum waren die Kofferbomber im Gegensatz zu den meisten anderen islamistischen Terroristen, die bisher in der Bundesrepublik aktiv waren, nicht zu stoppen?

In einer offenen Gesellschaft gibt es keine hundertprozentige Sicherheit. Die Behörden müssen aber nach der Erfahrung mit den Kofferbombern die Anti-Terror-Maßnahmen der neuen Lage anpassen. Dazu gehört, dass wir an die Bürger appellieren, einen Verdacht frühzeitig zu melden. Nach dem 11. September bekamen wir eine Fülle an Hinweisen. Sie haben uns bei der Aufklärung der Rolle der Hamburger Zelle geholfen, außerdem konnten wir Anschlagspläne in Deutschland verhindern. Die Aufmerksamkeit der Bürger ließ aber wieder nach, da die Bundesrepublik von Attentaten verschont blieb. Es gab so ein Sicherheitsgefühl: Bei uns kann nichts Schlimmes passieren. Jetzt zeigt sich das Gegenteil. Deshalb ist auch ein Appell an die Gemeinde der Muslime nötig, die Sicherheitsbehörden auf Leute hinzuweisen, die gegen Staat und Gesellschaft vorgehen wollen. Es reicht nicht, nur verbal Terrorpläne zu verurteilen.

Der in Kiel festgenommene Kofferbomber ist im Februar bei einer Demonstration zum Karikaturenstreit aufgefallen. Da hätte doch auch der Verfassungsschutz aufmerksam werden können …

Der Verfassungsschutz kann nicht alle Personen überwachen, die an einer solchen Demonstration teilnehmen.

Wo ist die Grenze zum Denunziantentum, wenn Bürger und muslimische Organisationen Verdächtige melden sollen?

Wir rufen sicher nicht zu Denunziantentum auf. Außerdem gehen die Behörden mit jedem Hinweis sorgfältig um. Es ist ja nicht so, dass jemand, der als verdächtig gemeldet wird, sofort stigmatisiert ist. Die Sicherheitsbehörden werden nach den Ermittlungen zu den Kofferbomben gewiss einen Katalog denkbarer Hinweise erstellen und öffentlich machen, welche Umstände besonders auffällig sind und gemeldet werden sollten.

Reicht es aus, wenn sich ein junger Muslim einen Vollbart wachsen lässt und islamische Gewänder trägt?

Entscheidend kann sein, ob es eine auffällige Veränderung im Verhalten eines Verdächtigen gibt. Ein Beispiel hat Mohammed Atta geliefert, als er sich ein scheinbar westlich orientiertes Aussehen gab. Aber ich will dem Katalog nicht vorgreifen. Außerdem wissen wir noch zu wenig über die Kofferbomber. Die Motive, schwach besetzte Regionalzüge angreifen zu wollen, sind uns noch rätselhaft.

Können Sie sich erklären, was junge Muslime in die Radikalisierung treibt?

Da gibt es mehrere Ansätze. Ein junger Muslim kann die Radikalisierung schon in der Heimat erlebt haben und transportiert sie nach Deutschland. Oder es gibt ein religiöses Erweckungserlebnis, wie das bei Atta in Hamburg der Fall war. Deshalb müssen wir uns sehr genau die als problematisch geltenden Moscheen anschauen. Besondere Sorge bereitet mir das Internet. Seit mehr als zwei Jahren beobachten wir unter anderem dort eine Propaganda-Offensive von Al Qaida. Aber auch jenseits der Terrororganisation werden in streng abgeschotteten Chatrooms junge Muslime fanatisiert. Das war so bei dem Mörder des holländischen Filmemachers Theo van Gogh. Deshalb sollten wir die Ressourcen der Sicherheitsbehörden zur Beobachtung des Internets bündeln und verstärken.

Was würden mehr Videokameras angesichts der ausufernden Gefahr nützen?

Die Videokameras im Kölner Bahnhof haben nicht nur dazu beigetragen, dass die Kofferbomber rasch gefasst wurden. Sie schrecken auch ab: Ähnliche Anschläge auf die Bahn werden solche Terroristen wie die Kofferbomber wegen des hohen Risikos, entdeckt zu werden, jetzt vermutlich unterlassen.

Fünf Jahre nach dem 11. September scheint die Terrorgefahr weltweit zu wachsen. Warum gelingt es nicht, den Trend zu brechen?

Der islamistische Terror bezieht seine angebliche Rechtfertigung vor allem aus dem Nahostkonflikt. Al Qaida und verbündete Netze schlachten ihn propagandistisch aus, solange sich Israel und Palästinenser nicht einigen. Nach dem Krieg zwischen Israel und Hisbollah ist zunächst erst recht kein Rückgang zu erwarten.

Im Juni haben die Amerikaner im Irak einen der wichtigsten Terror-Anführer getötet, den mit Al Qaida liierten Abu Mussab al Sarkawi. Wurde das Dschihadisten-Netz dadurch geschwächt?

Da bin ich skeptisch. Die Zahl der Anschläge im Irak ist nicht geringer geworden. Den Verlust einer Symbolfigur scheint der islamistische Terror rasch zu verkraften. Die vielen Einzeltäter und Kleinstgruppen, auch die Kofferbomber, handeln im Geiste Osama bin Ladens und Sarkawis, aber sie sind augenscheinlich auf keine Führungsfigur angewiesen. Die Terrorszene wird diffuser und ist für die Sicherheitsbehörden noch schwerer zu durchdringen als vor dem 11. September.

Das Gespräch führten Frank Jansen und Ingrid Müller.

Klaus-Dieter Fritsche ist seit Dezember 2005 als Nachfolger von Ernst Uhrlau Geheimdienstkoordinator der schwarz-roten Bundesregierung. Seine Stelle ist im Bundeskanzleramt angesiedelt. Zuvor war der 53-jährige gebürtige Bamberger neun Jahre lang Vizepräsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz. Zwischen 1993 und 1996 leitete er das Büro des bayerischen Innenministers Günther Beckstein. Fritsche ist Mitglied der CSU. Seine Aufgabe im Bundeskanzleramt ist es, sämtliche Geheimdienste des Bundes zu beaufsichtigen.

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