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Wenigstens was zu Lesen gibts beim Warten im Bürgeramt im Rathaus Kreuzberg.

© Mike Wolff

Bürgerämter in Chaos: Berlin.de - das Witzblatt der Bürgerämter

Das Serviceportal ein digitales Witzblatt, die Verwaltung eine einzige Geschäftsprozessoptimierungsüberlegung - oder ganz viele? Eine Realsatire. Made in Berlin.

Hurra, das Bürgeramt hat eine neue Software – wird jetzt alles gut? Tja, schön wär’s, aber die alte Software war ja nun wirklich das geringste Problem, auch wenn sie noch aus den neunziger Jahren des alten Jahrhunderts stammte. Es gibt einfach zu wenig Termine für die wachsende Stadt, und was sich da abspielt, ist eine fortgesetzte Verhöhnung der „Kunden“ (O-Ton Senat). Um das zu erkennen, reicht schon ein Blick auf das sogenannte Serviceportal, das in Wahrheit keine Website, sondern ein Witzblatt der Bürgerämter ist, verbreitet unter der Senatsadresse berlin.de.

Es ist seit Monaten nahezu unmöglich, dort innerhalb von acht Wochen einen Termin zu bekommen, es sei denn, man leidet an berlintypischer Prokrastination, verschiebt sein restliches Leben und verharrt vor dem Bildschirm, um einen raren Restplatz zu ergattern, fest im Blick die folgende Zeile: „In der angegebenen Zeit gibt es keine Termine. Versuchen Sie es doch den nächsten Monat.“

Die Wartezeit lässt sich allerdings heiter vertreiben mit der Lektüre der „Hinweise“ – Realsatire made in Berlin: „Die Buchung der Termine ist kostenfrei.“ Danke, super Senat! „Die Buchung von Terminen ist nicht ‚ewig’ im Voraus möglich“ – na dann versuchen Sie es doch gleich mal den nächsten Monat! „Ein technischer Fehler liegt nicht vor, nur weil keine Termine mehr frei sind.“

Toll: Die Computer funktionieren, es ist nur leider gerade keiner da, der sie bedient. Auch klasse ist der hier: „Ein Termin bietet keine Garantie zur Dienstleistungserbringung.“ War aber sowieso klar, wir sind ja in Berlin.

Willkommen in Kafkas Schloss

Noch besser ist der übergesetzliche amtliche Freibrief zur Ordnungswidrigkeit: Wer eine Wohnung bezieht, „hat sich innerhalb von zwei Wochen … anzumelden“ (gilt umgekehrt auch fürs Abmelden), § 11, Meldegesetz. Aber das ist faktisch unmöglich. Deshalb gilt „die Bestätigung Ihrer Terminvereinbarung … als fristwahrend“. Willkommen in Kafkas Schloss – und wie komme ich an den fristwahrenden Termin? Siehe oben.

Wenn Oma parken will, macht Berlin den Platz dafür frei: Notfall!

Am allerbesten aber sind die Ausnahmen, die eine Vorzugsbehandlung ohne Termin möglich machen – es gibt genau drei, klassifiziert als „Notfälle“: 1) Pass wegen dringender Reise, ok. 2) Ausweisersatz für verlorenen oder geklauten, auch ok. So, und jetzt zu 3): „Notfallkunde“ ist in Berlin auch, wer fürs Anwohnerparken „eine Gästevignette beantragt“ – eine Gästevignette! Kennt man ja: Hilfe, meine Oma aus Oldenburg kommt mit ihrem Opel zu Besuch und findet keinen Parkplatz! Ich empfehle in so einem Fall ja immer, lieber gleich die 110 anzurufen.

Der Senat hat dem drolligen Treiben lange seelenruhig zugeschaut, obwohl seit Jahren der Personalnotstand absehbar war. Eine „bürgernahe Verwaltung“ hatte die Koalition sich und der Stadt im Koalitionsvertrag versprochen, wer’s nachlesen will: ab Seite 40. Doch nahe kommen sich nur die Leute – dicht an dicht in der Hoffnungswarteschlange. Erst seit auch die Wahl immer näher kommt, ist eine Art gemütlicher Aktionismus ausgebrochen. Ein paar zusätzliche Stellen wurden bewilligt – schon nach neun Monaten können die Neuen loslegen: Drei Monate dauern die Einstellungsformalien, dann folgen sechs Monate Einarbeitungszeit – die Software, Sie verstehen?

Geschäftsprozessoptimierungsüberlegungen werden angestellt ...

Aber das ist ja noch längst nicht alles: Es gibt doch tatsächlich, amtlich beglaubigt, „Geschäftsprozessoptimierungsüberlegungen“! Ja, Überlegungen, Plural, gleich ganz viele. Allerdings sind die laut Auskunft des zuständigen Staatssekretärs gerade zurückgestellt worden – erst wird noch gewartet auf das Ergebnis der hartnäckigen „Organisationsprüfung“. Ist es nötig zu erwähnen, dass der Bericht längst hätte vorliegen sollen? Der Senat hat aber, wir sind ja in Berlin, das Parlament um etwas Geduld gebeten – und Fristverlängerung beantragt. Eine Software, die das versteht, muss wohl erst noch erfunden werden. Am besten von einem Startup in Berlin.

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