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Zehntausende Menschen haben sich auf die Stützpunkte der UN-Blauhelmtruppe Unmiss geflüchtet. Das Foto zeigt Familien, die sich in einem Lagerhaus des UN-Sützpunktes Jabel außerhalb der südsudanesischen Hauptstadt Juba versuchen, irgendwie einzurichten.

© Reuters

Update

Bürgerkrieg im Südsudan: Regierung will verlorene Städte zurückerobern

Erste Gespräche zwischen den Konfliktparteien im Südsudan haben keine Ergebnisse gebracht. Die Krise entfaltet ihre eigene Dynamik und breitet sich schnell aus. Die UN bereitet sich auf Angriffe gegen ihre Stützpunkte vor.

Die Lage im Südsudan ist außer Kontrolle. Präsident Salva Kiir und sein Rivale Riek Machar, der seit einer Woche auf der Flucht ist, haben zwar Gesprächsbereitschaft signalisiert, aber zugleich unannehmbare Forderungen als Vorbedingung dafür erhoben. Salva Kiir hält den Haftbefehl gegen seinen ehemaligen Vize aufrecht, den er im Juli aus der Regierung geworfen hatte. Riek Machar wiederum fordert den Abgang Kiirs oder zumindest die Freilassung von zehn derweil verhafteten prominenten Oppositionspolitikern.
Das forderte auch Rebecca Nyandeng am Sonntag – erfolglos. Ein erstes Gespräch zwischen Kiir und Nyandeng, der Witwe von John Garang, dem Gründer der südsudanesischen Befreiungsbewegung SPLM, blieb ohne Ergebnis. Annette Weber, Afrikaexpertin der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), sagte dem Tagesspiegel mit Blick auf die Verhafteten: „Es gibt niemanden mehr, der noch mäßigend wirken könnte.“
Stattdessen sagte Armeesprecher Philip Aguer im amerikanischen Auslandssender Voice of America an, dass die Armee „in der Lage ist, die Rebellion zu beherrschen“. Die SPLA werde schon bald die Hauptstädte der Bundesstaaten Jonglei, Bor, und dem erdölreichen Unity, Bentiu, „wieder kontrollieren“. Salva Kiir sagte im Parlament, die SPLA sei bereit, Bor „zurückzuerobern“.

UN-Blauhelme versuchen, Flüchtlinge zu schützen

Gleichzeitig versucht die Blauhelmtruppe im Südsudan, Unmiss, ihre Standorte, auf die sich mehr als 42 000 Menschen geflüchtet haben, gegen Angreifer zu sichern. Allerdings sagte der Unmiss-Nothilfekoordinator, Toby Lanzer, mit Blick auf die Lage in Bor, wo 17 000 Menschen auf dem Unmiss-Gelände Schutz suchen, „wenn nur ein paar Friedenstruppen drinnen sind und 2000 Kämpfer draußen, gibt es nicht viel, was wir tun können“. So war es wenige Tage zuvor in Akobo gewesen, wo 2000 bewaffnete Kämpfer der Lou-Nuer den Unmiss-Posten überrannt haben. Dabei starben zwei indische Blauhelme und mindestens 20 Angehörige des Volkes der Dinka, der Ethnie des Präsidenten Salva Kiir. Riek Machar gehört den Nuer an.

Noch geben sich auf dem Weg in die Weihnachtsferien in der südsudanesischen Hauptstadt Juba Diplomaten aus Ostafrika, Nigeria und den USA die Klinke in die Hand. Doch viel mehr als an den Friedenswillen von Salva Kiir und Riek Machar zu appellieren, können sie kaum tun. Die Armee ist ebenso gespalten wie die politische Klasse im jüngsten Staat der Welt. Der Südsudan ist erst seit Juli 2011 unabhängig vom Sudan. Die Regierung in Juba erklärte am Sonntag, sie habe die Kontrolle über die Hauptstadt von Unity, Bentiu, verloren. Aber die wichtigsten Ölfelder seien noch unter ihrer Aufsicht. Am Montag musste der Ölminister jedoch melden, dass die Förderung teilweise zum Erliegen gekommen ist. Die chinesischen Ölarbeiter sind in den vergangenen Tagen ebenso ausgeflogen worden wie westliche Bürger, Kenianer und Ugander, die in großer Zahl im Südsudan arbeiten. Sudans Präsident Omar al Baschir warnte am Montag vor dem wirtschaftlichen Folgen der unsicheren Situation in den Nachbarländern, ohne Südsudan direkt zu nennen. Der Sudan hängt ebenso wie der Südsudan stark davon ab, dass die Öleinnahmen fließen.

In fünf Provinzen wird gekämpft

In fünf von zehn Bundesstaaten des Südsudan wird inzwischen gekämpft. Besonders dramatisch ist die Lage in Bor. Dort Schon am Freitag hatte die Armee, die aus der Rebellenorganisation hervorgegangene SPLA, die Kontrolle über die Hauptstadt des Bundesstaates Jonglei, Bor, verloren. Der UN-Stützpunkt in Bor, in den sich 14 000 Menschen geflüchtet haben - überwiegend Angehörige der Dinka, der Ethnie des Präsidenten Salva Kiir - ist am Freitag ebenfalls angegriffen worden, wurde von der Friedenstruppe Unmiss aber gehalten. Im Gegensatz zum Stützpunkt Akobo ebenfalls im Bundesstaat Jonglei. Der Stützpunkt ist überrannt worden, zwei UN-Blauhelme aus Indien sind dabei getötet worden, zudem nennen die UN die Zahl von 30 Dinka, die dort Schutz gesucht hatten, die getötet worden seien.

In Bor hatte sich 1991 ein Massaker an Dinka ereignet, für das Riek Machar verantwortlich gemacht wird. Nach Angaben von Amnesty International sind damals mindestens 2000 Dinka getötet worden. 1991 hatte sich Riek Machar mit dem Gründer der Befreiungsarmee SPLA John Garang überworfen und sich auf die Seite der Armee Khartums geschlagen. Das Trauma wirkt bis heute nach.

Ausländer verlassen den Südsudan in Scharen

In der Hauptstadt Juba, wo die Kämpfe am Sonntag vor einer Woche begonnen hatten, ist es inzwischen relativ ruhig, auch wenn es am Sonntag erneut Berichte über Schießereien gab. Derweil werden weiterhin Hunderte Ausländer ausgeflogen. Der neue Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) hatte als eine seiner ersten Amtshandlungen angeordnet, die Deutschen aus dem Südsudan zurückzuholen. Die USA haben rund 400 ihrer Staatsangehörigen ausgeflogen, am Sonntag holten amerikanische Soldaten Amerikaner aus der umkämpften Stadt Bor mit Hubschraubern heraus. Kenia hat mehrere Flugzeuge geschickt, um ihre Bürger zurückzubringen. Allerdings berichten kenianische Zeitungen von mindestens 1000 Kenianern, die in Bor festsitzen. Insgesamt sind nach UN-Angaben rund 62 000 Menschen auf der Flucht, allein auf den UN-Stützpunkten drängen sich insgesamt 42 000 Menschen. Seit Beginn der Kämpfe soll es Hunderte Tote gegeben haben. Genaue Zahlen sind allerdings nicht verfügbar.
Wenn die Kämpfe nicht bald zum Stillstand kommen, könnte die Versorgung der Bevölkerung zusammenbrechen. Auch im Jahre drei der Unabhänigkeit ist der Südsudan weiterhin davon abhängig, dass Hilfsorganisationen aus aller Welt soziale Basisdienste für die Bevölkerung auf dem Land sowie für Zehntausende Rückkehrer aus Flüchtlingscamps im Sudan, in Äthiopien, Uganda oder Kenia anbieten. Außerdem hat es entlang der nach wie vor nicht klar definierten Grenze zwischen den beiden Sudans auch im Verlauf der vergangenen zwei Jahre weiterhin immer wieder Kämpfe gegeben. Dort sind schon vor Ausbruch der jüngsten Krise Zehntausende Menschen in zum Teil noch immer sehr provisorischen Flüchtlingscamps untergekommen. In all diesen Organisationen sind vor allem Südsudanesen beschäftigt. Doch angesichts der gezielten Tötung von Nuer in Juba und Dinka in Jonglei ist die Sicherheitslage nun gerade für Angehörige dieser beiden Ethnien besonders prekär. Am Samstag ist offenbar ein südsudanesischer Helfer der französischen Nothilfeorganisation Solidarités International im Ajong Tock getötet worden. Pete Buth, Nothilfekoordinator von Ärzte ohne Grenzen für den Südsudan, sagte dem Tagesspiegel, in Bentiu und anderen umkämpften Orten sei das lokale Personal weiterhin zum Dienst erschienen. Allerdings achteten die Ärzte darauf, dass ihre Beschäftigten „aus der Gemeinschaft kommt, in der sie arbeiten“. Sie hätten aber einige südsudanesiche Fachleute aus der Hauptstadt Juba in Sicherheit gebracht. Am Montag eröffnete die Organisation eine ambulante Klinik auf dem Unmiss-Gelände in Juba. Dort drängen sich 22 000 Flüchtlinge.

Die ethnische Zuspitzung der Auseinandersetzung macht die Lage gefährlich

Die Kämpfe haben inzwischen ihre eigene Dynamik entfaltet. Angesichts der wirtschaftlichen Krise, dem Mangel an öffentlichen Dienstleistungen und dem Mangel an Strukturen im neuen Staat, sind viele Südsudanesen enttäuscht und wütend. Die meisten kennen kaum etwas anderes als Krieg. Der lange Kampf um die Unabhängigkeit dauerte fast 30 Jahre. Mehr als die Hälfte der Einwohner ist jünger als 20 Jahre alt. Die jungen Männer sind mit Waffen aufgewachsen und kennen auch keine andere Variante, Konflikte zu lösen. Die ethnische Zuspitzung des Machtkampfes zweier Politiker macht die Lage zusätzlich explosiv. Und zu allem Überfluss steht Weihnachten vor der Tür.

Klaus-Dieter Tietz, der bis 2012 der UN-Polizeimission im Südsudan angehörte, hat den Verdacht, dass der Zeitpunkt für die Eskalation des Konflikts sogar absichtlich vor Weihnachten gewählt worden sein könnte. Tietz sagt, so sei es auch vor zwei Jahren in Jonglei gewesen, als die Lou-Nuer einen blutigen Racheangriff auf Angehörige der Murle unternommen haben. „In Juba waren alle Minister im Urlaub und niemand da, der eine Entscheidung treffen wollte oder konnte“, erinnert er sich. Er sei damals nicht „nach Hause zur Familie gereist“.

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