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Wer an der syrisch-israelischen Grenze um medizinische Hilfe bittet, kann damit rechnen, behandelt zu werden. Die israelischen Soldaten kümmern sich um syrische Flüchtlinge so gut wie um verletzte israelische Soldaten wie in diesem Fall.

© image/Xinhua

Bürgerkrieg in Syrien: Israel wird für syrische Verletzte vom Feind zum Retter

Israels Ärzte behandeln verletzte Syrer. Die dürfen zu Hause niemandem davon erzählen, denn in Syrien gilt Israel nach wie vor als Feindstaat.

Nur der Feind kann uns jetzt noch retten. Hassan erinnert sich genau an den Moment, in dem ihm das bewusst wurde. Gut einen Monat ist das her. Heute steht der Syrer mit Tränen in den Augen in einem durch Vorhänge abgetrennten Untersuchungsbereich der Kinderintensivstation. Er hält seine dreijährige Tochter auf dem Arm. Israelische Ärzte haben ihr hier, im Western Galilee Medical Center in Naharija, das Leben gerettet.

Vor wenigen Stunden hat die Kleine das erste Mal nach einem Monat wieder die Augen geöffnet. Sie klammert sich an ihren Vater. Sie hat kleine Gummihandschuhe übergestülpt bekommen, damit sie sich die Nähte am Kopf nicht aufkratzt. Ihre dunkelbraunen Haare wachsen nur langsam nach. Sie hat gut 30 Prozent ihres Gehirns verloren. Hassan weint, als er beginnt, ihre Geschichte zu erzählen. Details preisgeben kann er nicht, auch seinen richtigen Namen verschweigt er. Zu gefährlich wäre es, würde jemand in Syrien herausfinden, wo er und seine Tochter sich aufhalten. Er schildert, wie er seine jüngsten Kinder, ein Zwillingspärchen, packte und sie ins Erdgeschoss bringen wollte. Streubomben hagelten auf sein Haus. Nach internationalem Recht sind diese verboten. Hassan schaffte es nicht rechtzeitig. Ein Schrapnell traf das Mädchen am Kopf, bohrte sich durch ihr Gehirn und trat an der anderen Seite wieder hinaus. Ein weiteres Metallteil zerfetzte ihren Zwillingsbruder und verletzte Hassan an der Hand. Zwischen Glück und Trauer liegen nur ein paar Zentimeter. Hassan hört die Worte seiner Frau: „Du musst mit der Kleinen nach Israel in ein Krankenhaus.“ Er gehorchte, brachte sich und die Tochter zur Grenze im Süden des Landes.

800 verletzte Syrer haben in Israel medizinische Hilfe erhalten

Sie sind zwei von rund 800 im Bürgerkrieg verletzten Syrern, die nach Angaben der israelischen Armee bisher in Israel versorgt wurden. „Alles begann vor gut einem Jahr, als zum ersten Mal sieben verwundete Syrer an die Grenze kamen“, sagt Arye Shalicar, Sprecher der israelischen Armee. „Wir fragen nicht nach ihrer Religion oder auf welcher Seite sie kämpfen. Wir helfen allen Verletzten.“ Israel – für viele Syrer ist es das Land des Feindes. Bis heute haben die beiden Länder keinen Friedensvertrag unterzeichnet. Wer einen israelischen Stempel im Reisepass hat, darf nicht nach Syrien einreisen. Doch wenn die eigenen Leute zu Angreifern werden, wird der Feind zum Retter. Für viele Syrer wartet auf der anderen Seite der Grenze die medizinische Rettung. Sie werden auf drei Krankenhäuser im Norden verteilt, in Naharija, Tiberias und Safed. Die Kosten für die Behandlungen teilen sich die Kliniken, das Verteidigungs- und das Gesundheitsministerium. Umgerechnet rund zwei Millionen Euro sind es nach Angaben des Western Galilee Medical Centers bisher gewesen.

Viele seien überrascht, dass sie in Israel ohne Vorbehalte versorgt werden, berichtet Sara Paperin von der Abteilung für Internationale Angelegenheiten des Krankenhauses in Naharija. „Einige kommen bewusstlos an und wollten gar nicht hierher. Sie haben natürlich erst einmal Panik“, sagt Paperin. Da hilft es, dass in dem Krankenhaus zahlreiche arabische Israelis arbeiten, die wenigstens die gleiche Sprache sprechen. „Viele Verletzungen kenne ich nur aus Kriegsgebieten, bei Kindern habe ich sie aber noch nicht gesehen“, sagt Yoav Hoffman, Oberarzt der Kinderintensivstation. „Fünf Kinder kamen mit Schusswunden am Rücken an der gleichen Stelle. Ich bin mir sicher, dass sie nicht zufällig, sondern bewusst von Scharfschützen getroffen wurden.“ Um die Kinder zu töten, hätte man aber auf Kopf oder Herz gezielt. „Es ist grausam: Die Einschüsse in den Lendenwirbelbereich lassen darauf schließen, dass man den Kindern bewusst Leid zufügen wollte.“

Doch trotz des andauernden Bürgerkriegs wollen alle nach der Behandlung zurück in ihre Heimat. Auch Hassan und seine Tochter bereiten sich auf die Rückreise vor. Zu Hause warten die Ehefrau und drei weitere Kinder, um die Hassan sich kümmern muss. Doch sie müssen aufpassen – jeder Hinweis darauf, dass sie in Israel waren, sei gefährlich, sagt Sara Paperin. Wenn die israelische Armee die Syrer zur Grenze bringt, tragen die meisten gespendete Kleidung, aus denen die Krankenschwestern alle Etikette mit hebräischen Schriftzeichen entfernen. „Wir sind sehr stolz, dass wir helfen können“, sagt der Direktor des Krankenhauses, Masad Barhoum. „Die Welt könnte definitiv mehr tun, um den Menschen in Syrien zu helfen“, findet er.

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