zum Hauptinhalt
Ein syrischer Junge im Notlazarett nach den mutmaßlichen Giftgasattacken.

© Reuters

Bürgerkrieg in Syrien: Was weiß man über den mutmaßlichen Giftgas-Angriff?

Es war vermutlich das bisher schlimmste Massaker im syrischen Bürgerkrieg, der mutmaßliche Giftgas-Angriff nahe Damaskus schockiert die Welt. Was ist inzwischen bekannt?

Die Bilder des bisher schlimmsten Massakers im syrischen Bürgerkrieg sind entsetzlich. Auf Videos sind Opfer zu sehen, denen Schaum aus dem Mund quillt. Ärzte versuchen, bewusstlose Kinder wiederzubeleben. Für die Türkei hat Damaskus damit endgültig die „rote Linie“ überschritten. Frankreich fordert eine „harte internationale Reaktion“, schließt jedoch den Einsatz von Bodentruppen nach wie vor aus. Die USA sehen „klare Hinweise“, dass es einen Giftgasangriff gab und dass die tödlichen Raketen von Baschar al Assads Armee abgefeuert wurden. Ein solches Kriegsverbrechen, so hatte US-Präsident Barack Obama bereits vor Monaten erklärt, werde ein Eingreifen der internationalen Gemeinschaft zur Folge haben. Und so geriet Syriens Regime am Donnerstag unter massiven diplomatischen Druck, den erst kürzlich nach Damaskus gereisten UN-Chemiewaffenexperten zu gestatten, den Vorfall zu untersuchen.

Was ist in Ghuta passiert?

Wirkliche Sicherheit kann nur eine Untersuchung vor Ort bringen. Die Videos, die am Mittwoch von syrischen Oppositionellen ins Internet gestellt worden sind, und deren Berichte sind die einzigen Informationen, die es über den möglichen Giftwaffeneinsatz gibt. Bis zu 1300 Menschen sind nach ihren Angaben gestorben, hunderte liegen mit schweren Nervenvergiftungen in Lazaretten. Am frühen Mittwochmorgen soll es an mehreren Orten Granateneinschläge gegeben haben, sie haben die Menschen im Schlaf überrascht.

Die syrische Armee bestreitet nicht, dass es einen Angriff auf die Region gegeben hat. Sie dementiert allerdings, Chemiewaffen eingesetzt zu haben.

Chemiewaffenexperten wie Stefan Mogl vom Labor Spiez im Schweizer Bundesamt für Bevölkerungsschutz sind nach Sichtung der Videos jedoch überzeugt, dass diese Menschen „stark vergiftet worden sind“ und „die Symptome denen von Nervengas“ entsprechen. Diese sind unter anderem eine Pupillenverengung sowie Muskelkrämpfe einzelner Glieder oder Ganzkörpertremor, der besonders bei kleinen Kindern kaum zu simulieren ist, sowie ein extremer Tränen- und Speichelfluss. In der Gesamtheit bei so vielen verschiedenen Personen verschiedenen Alters seien „diese Symptome extrem beeindruckend“.

Hat Ghuta als Ort eine bestimmte Bedeutung?

Die Ghuta gilt als „grüne Lunge“ Damaskus’ – ein großer Ackerlandgürtel im Süden und Osten der Hauptstadt. Schon Prophet Mohammed soll bei einem Besuch die Oase als Paradies auf Erden gelobt haben. Und tatsächlich ist die Ghuta mehr als einfach nur dörfliches Umland für die Damaszener. Sie ist Naherholungsgebiet, Getreidekammer und Sehnsuchtsort in einem. Vor dem Krieg fuhren die Hauptstädter an Wochenenden zum Picknick in die Ghuta, die Kinder spielten Fangen zwischen den Olivenbäumen. Seitdem Assad regiert, wurde die Ghuta zudem immer mehr Spielplatz einer jungen urbanen Upperclass: Villen wurden hochgezogen, Shopping-Malls gebaut. Der Angriff auf die „grüne Lunge“ bringt den Bürgerkrieg daher endgültig vor die Tore Damaskus’, wo bisher ein normales Leben zumindest noch suggeriert wurde.

Es wird immer unwahrscheinlicher, den Angriff aufklären zu können

Werden die UN-Inspektoren den Angriff vor Ort untersuchen können?

Seit Anfang der Woche sind die UN-Inspekteure im Land, nachdem zuvor monatelang die Bedingungen ihres Einsatzes mit Damaskus verhandelt werden mussten. Eigentlich hatten sie nun den Auftrag, einen möglichen Giftgaseinsatz von diesem März in Khan al Assad sowie an zwei weiteren, nicht offiziell bekannten Orten zu untersuchen. UN-Inspekteure sind auch deshalb so glaubhaft, weil sie durch entsprechende Siegel, Fotos und Dokumentation eine Beweiskette sichern. Doch bisher hat das Regime von Präsident Assad den UN-Inspekteuren nicht gestattet, das Kampfgebiet um Ghuta zu untersuchen. Und selbst wenn die syrische Regierung ihre Genehmigung gibt, dürfte es aufgrund der dramatischen Sicherheitslage für die Inspekteure nicht leicht werden, sicher dorthin zu gelangen und zu arbeiten. Doch je mehr Zeit vergeht, umso schwerer wird es, aussagekräftige Proben zu nehmen – sei es von den Einschlagstellen der potenziellen Giftgasgeschosse oder von den Opfern.

Wie reagieren die Vereinten Nationen?

Die Bilder der Opfer lösten auch bei den Vereinten Nationen Entsetzen aus. Generalsekretär Ban Ki Moon gab sich „schockiert“, sein Vize Jan Eliasson sprach sichtlich mitgenommen von einer „ernsthaften Eskalation“. Doch das Risiko steigt, dass der mutmaßliche Einsatz von Giftgasen nie restlos aufgeklärt wird. „UN-Kontrolleure müssten schnell vor Ort ermitteln, danach sieht es aber nicht aus“, warnte ein Diplomat. Zunächst verhinderten Russland und China, dass der UN-Sicherheitsrat die Untersuchung des möglichen Einsatzortes rechtlich verbindlich anordnet.

Damit setzten Moskau und China ihre Syrienpolitik fort: Beide Vetomächte halten seit Ausbruch des Konflikts im März 2011 ihre schützende Hand über Baschar al Assad. Stattdessen verhandeln nun einige UN-Funktionäre mit Damaskus. Ihr Ziel: Das Assad-Regime soll den UN-Chemiewaffeninspekteuren den Zugang zu dem möglichen Einsatzort erlauben. Je länger aber die Zustimmung Assads auf sich warten lässt, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Kontrolleure Beweise finden werden. „Die Einsatzspuren vieler Giftgase verschwinden rasch“, sagte der Chemiewaffenexperte Ralf Trapp. Zudem hätten die Täter die Möglichkeit, die Geschossreste einzusammeln. „Die Frage, wer für diesen Angriff letztlich verantwortlich ist, lässt sich mit der Zeit also immer schwerer beantworten“, erläuterte Trapp.

Ändert Russland jetzt seine bisherige Haltung?

Als „vorab geplante Provokation“ rügte ein Sprecher des Außenministeriums in Moskau die Meldungen aus Syrien. Nach russischen Erkenntnissen, so der Diplomat, seien die Rakete und der „unbekannte Kampfstoff“ Eigenproduktionen der Rebellen und aus deren Stellungen östlich von Damaskus abgefeuert worden, um die Offensive der Regierungstruppen zu stoppen. Mit den neuerlichen Vorwürfen sollten die UN-Experten beeinflusst werden. Dass der Beginn ihrer Mission und der „verbrecherische Anschlag“ zeitlich zusammenfielen, sei kein Zufall.

Am 28. August treffen sich russische und US-amerikanische Experten ungeachtet aller Differenzen zu Syrien-Gesprächen in Genf. Dass sich Russlands umstimmen lässt, ist unwahrscheinlich.

Zur Startseite