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Politik: Bürokratisches Schlupfloch

Die EU hat komplizierte Regeln für die Vergabe von öffentlichen Aufträgen – eine Einladung für Betrüger

Für sie sei es ein Rätsel, so meint Inge Gräßle (CDU), Haushaltsexpertin des Europaparlaments, wie es die drei Italiener schafften, das engmaschige System der Brüsseler Finanzkontrolle zu knacken. „Die Regeln und Verfahren in Brüssel sind nämlich überaus streng und ausgefeilt“, sagt die baden-württembergische Europaabgeordnete. „Mich würde sehr interessieren, wie die das gemacht haben.“

Des Rätsels Lösung könnten vermutlich drei Männer liefern, die seit Tagen in einem Brüsseler Gefängnis in Untersuchungshaft sitzen: Der Bauunternehmer Angelo Troiano, der Assistent des Europaabgeordneten Sergio Tricarico und der EU-Beamte Giancarlo Ciotti. Dem Trio wird Bestechung und Urkundenfälschung vorgeworfen. Die Brüsseler Bürokratie windet sich wieder einmal unter der Peinlichkeit eines Korruptionsskandals, den nach dem Selbstverständnis des Brüsseler Beamtenapparats eigentlich gar nicht möglich ist.

Nach den Skandalen der Neunziger Jahre hatten die EU-Kommissionspräsidenten Romano Prodi und José Manuel Barroso die Devise „Null Toleranz für Korruption und Betrug“ ausgegeben. Zudem sitzt den Brüsseler Beamten stets der Europäische Rechnungshof im Nacken und zwingt sie bei der Ausgabe von Geldern zu einer geradezu aberwitzigen Kontrollbürokratie.

Erst vor kurzem hat das Europarlament eine Studie in Auftrag gegeben, die Ausschreibungsverfahren der EU für öffentliche Aufträge mit den Verfahren der Vereinten Nationen (UN) und den Auftragsverfahren auf nationaler Ebene vergleicht. Ergebnis: Die Regeln der EU-Behörden sind schärfer als alles, was man sonst kennt. „Die Vorschriften sind keineswegs zu lax, sondern eher zu kompliziert,“ sagt Inge Gräßle. Für viele mittelständische Unternehmen, die sich um Aufträge der EU bemühen, ist das ein ständiges Ärgernis. Die Haushaltsexpertin des Europaparlaments hat in den vergangenen Monaten deshalb vehement für die Vereinfachung und Entbürokratisierung der Brüsseler Ausschreibungsverfahren gekämpft.

„Wenn etwas zu ausgefeilt und kompliziert ist, entstehen vielleicht gerade versteckte Schlupflöcher, die raffinierte Betrüger nutzen,“ sagt Nicholas Ilett. Der ehemalige Beamte im britischen Finanzministerium ist im Europäischen Amt für Betrugsbekämpfung („Olaf“) Stellvertreter des Generaldirektors Franz-Hermann Brüner. „Kein System ist zu hundert Prozent wasserdicht“, weiß der Brite, der als Experte für Finanzkontrolle gilt. „Je dichter das Kontrollsystem wird, desto bürokratischer und auch teurer wird es.“

„Im Einzelfall können solche Schiebereien, wie Olaf sie jetzt aufgedeckt hat, immer und überall vorkommen,“ räumt auch die Europaabgeordnete Inge Gräßle ein. Die Brüsseler Verwaltung sei nicht korruptionsanfälliger als die nationalen Behörden. „Überall wo Geld ausgezahlt wird, werden auch Betrüger angelockt“, sagt Gräßle. Vor allem bei der Vergabe von den öffentlichen Aufträgen sei deshalb das Risiko von Bestechung und Korruption groß – ob das nun in Brüssel oder in den Mitgliedsländern ist. In Deutschland zum Beispiel kam es in den vergangenen Jahren schon vor, dass das Personal von städtischen Baudezernaten komplett ins Gefängnis wanderte. Betrugsanfällig ist auch das System der Agrarsubventionen. Allerdings findet hier der Betrug vor allem in den EU-Mitgliedstaaten statt, die die Subventionen genehmigen und die Gelder verteilen. Nur 20 Prozent des EU-Haushalts werden von der Brüsseler Behörde verwaltet.

Risikoreich sind auch die Ausgaben, die wie im Fall der drei Inhaftierten in ferne Länder fließen – als Katastrophenhilfe, Entwicklungshilfe oder, wie im vorliegenden Fall, zum Kauf oder Bau von EU-Vertretungen. Der inhaftierte EU-Beamte habe, so lautet der Vorwurf der belgischen Staatsanwaltschaft, dem Bauunternehmer über Jahre hinweg lukrative Aufträge der EU verschafft – durch Informationen über das Ausschreibungsverfahren, durch gefälschte Dokumente oder auch durch direkte Einflussnahme auf die Entscheidung. Dafür sei er – wie der ebenfalls verhaftete Abgeordnetenassistent – großzügig entlohnt worden.

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