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Wahlkampf. Die Mitte-rechts-Partei Gerb wirbt mit dem Konterfei des ehemaligen Regierungschefs Boiko Borissow.

© AFP

Bulgarien: Kopf-an-Kopf-Rennen vor Parlamentswahl

Auch nach der Wahl am Sonntag könnte die Bildung einer stabilen Regierung in Sofia schwierig werden - die beiden größten Parteien, die Mitte-rechts-Partei Gerb und die sozialistische BSP, wollen keine große Koalition eingehen.

Bulgariens Wähler sollen einen klaren Kopf bewahren. Deshalb wird am kommenden Sonntag in Restaurants in der Hauptstadt Sofia und in vielen anderer Städten kein Alkohol ausgeschenkt. Die Nüchternheitsoffensive hat ihren Grund: Bei der Parlamentswahl am Sonntag geht es auch darum, ob es zu schaffen ist, die drängenden Probleme des Balkanlands in den kommenden vier Jahren in den Griff zu bekommen. Ob das gelingt, ist aber zweifelhaft. Denn die Entscheidung über die künftige Regierung könnte nach der Wahl zur Hängepartie werden.

Aus den meisten Meinungsumfragen geht hervor, dass die beiden großen Parteien, die Mitte-rechts-Partei Gerb und die sozialistische BSP, ungefähr gleichauf liegen werden. Das Verhältnis zwischen deren politischen Führern, dem Ex-Ministerpräsidenten Boiko Borissow von der Gerb und Sozialisten-Chef Sergej Stanischew ist aber derart vergiftet, dass eine große Koalition zwischen den beiden ausgeschlossen ist.

Auch Koalitionen mit den kleineren Parteien, deren Einzug ins Parlament als wahrscheinlich gilt, dürften kaum die Bildung einer stabilen Regierung ermöglichen. Zu den aussichtsreichen kleineren Parteien gehören die „Bewegung für Rechte und Freiheiten“ (DPS), welche die Interessen der türkischen Minderheit vertritt, die nationalistische „Ataka“ und die von der ehemaligen EU-Kommissarin Meglena Kunewa gegründete „Bewegung Bulgarien der Bürger“ (DBG).

Angesichts des drohenden Machtvakuums gelten erneute Parlamentswahlen im kommenden Herbst als wahrscheinlich. Dies würde bedeuten, dass die vom Diplomaten Marin Raikow geführte Übergangsregierung auf absehbare Zeit im Amt bleiben müsste.

Die Parlamentswahlen am Sonntag finden nach einem Wahlkampf statt, der zu einer Schlammschlacht ausartete. Antworten auf die drängenden Fragen waren während des Wahlkampfs kaum zu bekommen: Wie soll die stagnierende Wirtschaft in Schwung gebracht werden? Wie lassen sich die niedrigen Durchschnittseinkommen von umgerechnet rund 400 Euro erhöhen? Was kann man tun, um die miserablen Renten von durchschnittlich rund 100 Euro aufzubessern, ohne der Volkswirtschaft zu schaden? Und wie kann man die grassierende Arbeitslosigkeit bekämpfen? Stattdessen war der Wahlkampf überschattet von einer Abhöraffäre, die bereits „Bulgariens Watergate“ genannt wird. Dabei steht die Frage im Raum, ob der ehemalige Innenminister Tsvetan Tsvetanow von der Gerb tatsächlich mobile Abhör- und Überwachungstechnik eingesetzt hat, um nicht nur politische Gegner, sondern sogar Amtsträger aus eigenen Reihen wie den Staatspräsidenten Rossen Plewneliew oder EU-Kommissarin Kristalina Georgiewa auszuspionieren. Dagegen beteuert der Gerb-Vorsitzende Borissow, dass hinter der Affäre „eine gigantische Manipulation einer verbrecherischen Bande“ stehe. Bulgariens Wähler können jedenfalls nicht nüchtern genug sein, wenn sie bei der Stimmabgabe diese Frage objektiv beantworten wollen.

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