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Täglicher Protest. Demonstranten versammeln sich in Sofia.

© Nikolay Coychinov/ AFP

Bulgariens heißer Sommer: Massenproteste bringen Borissov ins Wanken

Der bulgarische Regierungschef Boiko Borissov sieht sich einer breiten Protestfront gegenüber und kämpft mit Skandalen.

Rauchbomben, rote Farbbeutel und der Versuch, in das ehemalige Haus der Kommunistischen Partei einzudringen – die Proteste gegen die konservativ-nationalistische Regierung von Ministerpräsident Boiko Borissov haben sich am Dienstagabend weiter verschärft.

Alles begann vor einer Woche mit einer abenteuerlichen, live ins Internet übertragenen Bootsfahrt von Ex-Justizminister Hristo Ivanov. Zusammen mit zwei Mitstreitern ging er an der Schwarzmeer-Bucht Rosenets an Land, die vom Serail des bulgarischen „Sultans“ Ahmed Dogan überthront wird. Ivanov lieferte sich ein erbittertes Gerangel mit der Wache des Ehrenvorsitzenden der Partei der bulgarischen Türken „Bewegung für Rechte und Freiheiten“ (DPS).

Dogan, genannt Sokol (Falke) personifiziert für viele Bulgaren „die Oligarchie“, die weite Teile des Balkanlands gekapert habe. Ivanovs Seefahrt erwies sich als mehr als reine politische Provokation. Sie wurde zur Initialzündung für die massivsten Proteste seit dem Sommer 2013.

So wie vor sieben Jahren abendlich tausende Demonstranten durch die Straßen Sofias zogen und die sozialistische Regierung von Plamen Orescharski mit „Mafia!, Mafia!“-Rufen zermürbten, so sieht sich nun Regierungschef Borissov einer breiten Protestfront gegenüber. Mit jedem Tag erscheint es ungewisser, ob er sein Versprechen halten kann, mit dem dritten Regierungsmandat in elf Jahren erstmals eines zu vollenden. „Ich habe eine Idee, wie der Staat zu konsolidieren ist“, sagte Borissov am Mittwoch bei der Kabinettssitzung geheimnisvoll, „aber warten wir den Europäischen Rat am Wochenende ab, wo es Gelder für Bulgarien zu verteidigen gilt. Dann sehen wir weiter“.

Borissov überstand viele Skandale

In Brüssel zählt Borissov zu den alten Hasen. Er hat in seiner Karriere als Regierungschef so viele frappierende Skandale politisch überlebt wie kaum einer seiner europäischen Kollegen. Zuletzt wurden Mitte Juni Aufnahmen eines Telefonats veröffentlicht, in denen ein Mann mit seiner Stimme und Intonation unflätig über Parlamentspräsidentin Tsveta Karajantscheva und europäische Spitzenpolitiker herzieht und bekennt, in die Befugnisse der formell unabhängigen Finanzkontrollbehörde einzugreifen, um einen Unternehmer „zu zerquetschen“.

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Wenige Tage später erschienen Fotografien aus Borissovs Schlafzimmer. Sie zeigen eine Pistole auf seinem Nachttisch und eine Schublade voller Bündel mit 500-Euro-Scheinen und Goldbarren. Die Authentizität der Aufnahme und der Fotografien ist strittig. Borissovs Erklärung aber, Staatspräsident Rumen Radev habe ihn „mit einer von den Chinesen geschenkten Drohne ausspioniert“, war nicht geeignet, das Vertrauen in ihn zu stärken.

Nachdem Staatsanwälte am Donnerstag in das Staatspräsidium eindrangen, um Dokumente zu konfiszieren und präsidiale Mitarbeiter zu verhaften, schlug sich Präsident Radev auf die Seite der Anti-Regierungsproteste. Mit erhobener Faust trat er vor seine Anhänger und forderte, „die Mafia aus der Regierung und der Staatsanwaltschaft herauszuwerfen“. Nach Meinung seiner Kritiker hat sich der Präsident damit politisch derart exponiert, wie es sich für ein Staatsoberhaupt nicht geziemt.

Am Dienstag hat Bulgariens Generalstaatsanwalt Ivan Geschev Abhöraufnahmen von Telefonaten des Glücksspielmagnaten Vasil Boschkov veröffentlicht. Der war im Januar 2020 von der Regierung per Gesetz quasi enteignet worden und nach Dubai geflohen. Die nun veröffentlichten Aufnahmen sollen belegen, dass er die Protestbewegung finanziert und steuert.

Den Aufruhr gegen Regierungschef Borissov wird dies kaum stoppen können. Boschkov behauptet mittlerweile, er habe Borissov und Finanzminister Vladislav Goranov regelmäßig mit 500- Euro- Scheinen versorgt. Der Protest gegen die Regierung schwappt gerade in andere europäische Metropolen über. Auch in Berlin sind Demonstrationen geplant.

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