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Fans des FC Carl Zeiss Jena bei einem Heimspiel.

© Hendrik Schmidt/dpa-Zentralbild/dpa

Bundesgerichtshof nimmt Fußballvereine in Haftung: Bei Krawall im Stadion darf die Schuldfrage im Nebel bleiben

Die Klubs für Exzesse ihrer Fans verantwortlich zu machen, ist richtig. Wer mit Menschenmassen Geld verdient, bewirtschaftet ein Risiko. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Jost Müller-Neuhof

Manche juristischen Prinzipien sind so tief im Menschlichen verwurzelt, das sie als anthropologische Konstante gelten dürfen. Eines davon ist das Schuldprinzip. Es bestimmt, was eine „gerechte Strafe“ sein soll. Ein Rechtsbruch hat Strafe nur verdient, wenn und soweit jemandem sein Handeln zum Vorwurf gemacht werden kann. Sonst, urteilte das Bundesverfassungsgericht, sei Strafe eine „unvereinbare Vergeltung für einen Vorgang, den der Betroffene nicht zu verantworten hat“.

Nur vor diesem Hintergrund wird verständlich, weshalb der Fußball-Drittligist Carl Zeiss Jena e.V. bis vor den Bundesgerichtshof (BGH) gezogen ist, um eine Geldstrafe von knapp 25000 Euro abzuwenden. Verhängt hatte sie das Sportgericht des Deutschen Fußball-Bunds (DFB), weil Fans bei Spielen Feuerwerk zündeten und Gegenstände warfen. Im Kern bemühte der Verein ein Argument, das jedes Kind kennt: „Ich kann nichts dafür“. Der Verein sei unschuldig, wenn seine Anhänger austicken.

Die Richter deuten die Sanktion nicht als Strafe im klassischen Sinn

Der BGH, der Schiedsgerichtsentscheidungen nur daraufhin kontrolliert, ob sie elementaren Rechtsgrundsätzen widersprechen, entzog sich dem Problem (Az. I ZB 54/20). Er deutet die Sanktion nicht als Strafe im klassischen Sinn. Sie diene nicht der Ahndung und Sühne vorangegangenen Fehlverhaltens, sondern solle den künftigen Spielbetrieb sichern. Sie sei nicht verhängt worden, weil der Klub DFB-Vorgaben verletzt habe, sondern weil die ergriffenen Maßnahmen nicht ausgereicht hätten, um Ausschreitungen zu verhindern. Der BGH bemüht dafür das Modell der „verschuldensunabhängigen Haftung“, wie es aus dem Zivilrecht bekannt ist – aber eben nicht aus dem Strafrecht, wo das Schuldprinzip regiert.

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Die Bundesrichter haben damit gewissermaßen das Spielfeld gewechselt, durchaus mit Anlass. Die Zusammenkünfte in den Arenen der Republik belegen nicht nur eindrucksvoll, dass es sich um Europas populärste Sportart handelt. Sie sind auch ein Ausdruck eines offenbar bestehenden Bedürfnisses nach einem spezifischen Massenerlebnis. Dass hier mit der schönen Seite besondere Gefahren einhergehen, ist ebenfalls eine anthropologische Konstante. Eine Masse, die in Stimmung kommt, hat Tendenzen zur Selbstentfesselung.

Wenn nichts mehr hilft, braucht es eine Frauenquote

Der Profifußball hat es sich mit seinem Publikumserfolg zur Aufgabe gemacht, dieses Bedürfnis zu bewirtschaften. Es ist ein erheblicher Teil seines Kapitals. Damit haftet er auch, wenn etwas schief- läuft. Die Vereine trifft die Pflicht, den Auflauf so zu organisieren, dass sich Zuschauer und Spieler sicher fühlen können vor Horden, die ihre Dynamik auf das Stadion übertragen wollen. Zu Recht verlangen die Richter „ständige Kommunikation“ mit Fans, um befriedend einwirken zu können. Und wenn alles nicht mehr hilft, braucht es auch hier eine Quote: Einlass für Männer nur in Begleitung einer Frau. Wer weiß, womöglich hätte die Masse ein neues Gesicht.

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