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Politik: Bundesgerichtshof prüft die Praxis der Drogenfahnder

Wenn ein Lockspitzel der Polizei einen bis dahin unbescholtenen Bürger zu einem Rauschgiftgeschäft animiert, kann der Verführte dennoch bestraft werden. Das ist seit 1984 ständige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) in Karlsruhe.

Wenn ein Lockspitzel der Polizei einen bis dahin unbescholtenen Bürger zu einem Rauschgiftgeschäft animiert, kann der Verführte dennoch bestraft werden. Das ist seit 1984 ständige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) in Karlsruhe. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte entschied vor einem Jahr das Gegenteil und sprach einem povozierten Täter 975 000 Mark Haftentschädigung zu. Der BGH steht nun vor einem Problem.

Seit Dienstag verhandeln die Bundesrichter darüber, was aus dem Angeklagten werden soll, der 1998 von einem Lockspitzel der Polizei aufgefordert wurde, ein Kilogramm Kokain für ihn zu besorgen. Der Angesprochene hatte zuvor keine Verbindung zum Rauschgifthandel; der in Aussicht gestellte Gewinn tat jedoch seine Wirkung. Er bemühte sich um entsprechende Kontakte und beschaffte schließlich den Stoff. Das Landgericht München I. verurteilte den Angeklagten am 1. Dezember 1998 zu drei Jahren und neun Monaten Gefängnis. Das stand bis dahin in Einklang mit der seit rund sechzehn Jahren geltenden deutschen Rechtsprechung.

Der 1. Strafsenat des BGH hatte schon 1984 in einem Grundsatzurteil entschieden, dass das tatprovozierende Verhalten eines Lockspitzels weder ein Verfahrenshindernis noch ein Beweisverbot zur Folge hat. Der Angeklagte kann in solchen Fällen allenfalls mit Strafmilderung rechnen. Kurz bevor das Landgericht München den povozierten Kokain-Handel aburteilte, hatte der Straßburger Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) aber eine andere Entscheidung getroffen.

Er hatte einem Portugiesen fast eine Million Mark Haftentschädigung zugesprochen, weil er über Polizeibeamte zu einem Heroinhandel animiert worden war. Auch in diesem Fall hatte der Angeklagte vorher nichts mit Rauschgifthandel zu tun. Zwar billigt der EGMR den Einsatz von Lockspitzeln gegen Verdächtige, gegen die bereits ermittelt wird, nicht jedoch, wenn es erst durch den so genannten agent provocateur zur Straftat kommt. Das Interesse zur Bekämpfung der Rauschgiftkriminalität könne "nicht den Gebrauch von Beweismitteln rechtfertigen, die als Ergebnis polizeilicher Provokation gewonnen worden sind", so die Straßburger Begründung.

Ursprünglich war der Portugiese zu sechs Jahren Gefängnis verurteilt worden, von denen er bereits drei Jahre verbüßt hatte. Für diese Zeit sprach der EGMR die Haftentschädigung aus.

Der 1. BGH-Strafsenat muss nun entscheiden, ob er angesichts des Straßburger Urteils seine Rechtsprechung ändern muss. Der Anwalt des Angeklagten forderte am Dienstag die Einstellung des Verfahrens. Wenn der Staat ohne Verdacht einen Bürger zu einer Straftat verleite, verwirke er seinen Strafanspruch. Die Bundesanwaltschaft beantragte, die Revision des Angeklagten zurückzuweisen. Das Urteil soll am Donnerstag verkündet werden.

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