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Nicht immer traut im Rund des Sitzungssaals: Der Haushaltsausschuss des Bundestags. Im Vordergrund der Ausschussvorsitzende Peter Böhringer (AfD).

© Bernd von Jutrczenka/dpa

Die lange Nacht der kleinen Etat-Könige: Wie sich in den letzten Minuten noch Hunderte Millionen verschieben

Ein Ritual, ein Mythos, eine echte Kraftprobe? Ein Blick hinter die Kulisse der Bereinigungssitzung im Haushaltsauschuss des Bundestags.

An diesem Donnerstag ist es wieder so weit. Dann tagt er wieder bis in die Puppen, der Haushaltsausschuss des Bundestages. Die Sause beginnt so gegen zwei Uhr am Nachmittag, zwölf, 13 Stunden später ist Schluss. Mitten in der dunklen Berliner Novembernacht ist dann der nächste Bundeshaushalt gezimmert. Wie jedes Jahr in einer Aktion, die als Bereinigungssitzung bekannt ist.

Es ist der Saisonhöhepunkt für die 44 Frauen und Männer, die in dem Ausschuss sitzen, der manchen als bedeutendstes Parlamentsgremium gilt. Denn der Klub der kleinen Könige hat den Hut auf, wenn es um das Königsrecht des Parlaments geht: das letzte Wort beim Etat zu haben. „Wir sind der Haushaltsgesetzgeber“, lautet das Motto der Runde, auch wenn streng genommen natürlich das ganze Parlament in dieser Rolle agiert. Nur stimmt das Plenum am Ende eben jener Vorlage zu, welche die Haushälter mit der Regierung in der Bereinigungssitzung ausbaldowern. Sie haben das letzte Wort.

Kein Wunder also, dass auf die Bereinigungssitzung hin die Haushälter gesuchte Gesprächspartner aller Abgeordneten sind, nicht zuletzt der Mitglieder der Regierungsfraktionen. Denn wer noch etwas herausholen will für sein fachpolitisches Anliegen oder auch den eigenen Wahlkreis, der hat vielleicht jetzt das Glück der letzten Minuten. Es ist vor allem ein Geschacher um das Kleingedruckte. Die Bereinigungssitzung ist dennoch vom hellen Schein der großen Bedeutung umgeben, als Gipfel der Etatberatungen. Es gibt aber auch Parlamentarier, die von einem großen Mythos sprechen und die Sache nicht ganz so weit oben aufhängen. Wie auch immer: Die Bereinigungssitzung ist ein Datum im parlamentarischen Kalender, das jeder MdB kennt.

Steuerschätzung bringt Korrekturbedarf

Aber warum braucht man eine solche Sitzung, und was gibt es überhaupt zu bereinigen? Immerhin läuft das Haushaltsverfahren im Bundestag zu dem Zeitpunkt schon Monate. Es sei die aktuelle Steuerschätzung, die in der Regel zwei oder drei Wochen zuvor hereinschneit – dieses Jahr am 30. Oktober –, welche diese Schlussrunde vor der abschließenden Lesung nötig mache, erklärt ein Insider. Denn mit der Steuerschätzung können sich die Annahmen, auf denen er Etatplan beruht, noch ändern – mal mehr, mal weniger.

Die Eckwerte, auf denen der Regierungsentwurf basiert, sind nun schon acht Monate alt, der Kabinettsbeschluss stammt vom Juli. Zwischenzeitlich kann sich einiges tun: andere Wachstumsprognosen, Leitzinsänderungen, neue Koalitionsbeschlüsse, alte Koalitionsbeschlüsse, die korrigiert wurden, veränderte Schwerpunktsetzungen. Oder irgendein Beamter hat irgendwo einen kleinen Fehler entdeckt. All das muss noch im Etatentwurf umgesetzt werden.

Fällt die Steuerschätzung günstig aus, kommt also absehbar im kommenden Jahr mehr Geld herein, ist das ein bisschen wie die Verheißung des Paradieses für das Parlament. Denn das Etatverfahren ist ja seine Sache und es gibt nun noch etwas zu verteilen. Fällt die Steuerschätzung schlechter aus, ist also mit Mindereinnahmen gegenüber dem bisherigen Plan zu rechnen, wirkt das eher wie die Vertreibung aus dem Paradies – es muss geknausert werden.

Detailarbeit beginnt früh

Doch viel Detailarbeit am Etat ist schon geleistet, bevor die Bereinigungssitzung beginnt. Lange Tage, Abende oder auch Nächte haben die Haushälter in den sogenannten Berichterstattergesprächen verbracht, in denen in kleiner Runde die einzelnen Fachetats durchgegangen werden und in denen es meist um eher technische Fragen geht. Bisweilen sind Minister zugegen, in jedem Fall aber die Staatssekretäre.

In der folgenden zweiten Stufe des Etatverfahrens nimmt sich der Haushaltsausschuss dann im Plenum die Einzeletats vor. Jetzt müssen die Minister antanzen, der Haushaltsgesetzgeber will das in aller Regel so (nur die Kanzlerin muss nicht, eine Art Königsrecht des Regierungschefs). Die Fraktionen stellen nun inhaltliche Änderungsanträge. Die der Regierungsseite kommen natürlich durch, man hat ja die Mehrheit. Die Anträge der Opposition bleiben in aller Regel hängen, dafür haben AfD, FDP, Linke und Grüne die Gelegenheit, die Minister ein bisschen zu grillen, was die Sitzungen gern mal in die Länge zieht.

Alle Fraktionen zusammen können auch die Gelegenheit nutzen, den Etat für den Bundestag etwas besser auszugestalten. Bleiben die Beschlüsse des Ausschusses im Rahmen der Regierungsvorlage, gehen sie glatt durch. Überschreiten sie die Linien, hat das Bundesfinanzministerium – das in Gestalt des Haushaltsstaatssekretärs Werner Gatzer den gesamten Parlamentsprozess mit Argusaugen beobachtet – ein Einspruchsrecht. Ohne eine Finanzierungszusage von Olaf Scholz kann der Ausgaberahmen nicht verändert werden.

Minister sind mit von der Partie

Für die Bereinigungssitzung werden die Ergebnisse in den ersten Stufen nun in einer neuen Etatvorlage zusammengefügt: die Beschlüsse des Haushaltsausschusses, die neue Steuerschätzung, auch die aktuelle Rentenschätzung sowie alles, was das Finanzministerium noch für nötig hält. Wieder sind die Minister mit von der Partie, der Haushaltsausschuss zelebriert sich ein letztes Mal als Herr des Verfahrens, man lässt noch einmal die Muskeln spielen.

Zum Mythos gehört, dass Minister schon stundenlang vor der Tür warten mussten, bis sie vorgelassen wurden. Hakt man nach, bleibt vor allem eine Anekdote übrig: Die vormalige Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen, im Parlament ohnehin nie sehr beliebt, hatte auch die eigene Fraktion verärgert, weshalb selbst die Unions-Haushälter nichts dagegen hatten, sie etwas warten zu lassen. Im vorigen Jahr hatte Entwicklungsminister Gerd Müller ein bisschen zu laut und zu lästig nach mehr Geld gerufen, weshalb auch er etwas länger vor der Tür zum Sitzungsraum 2400 im Paul-Löbe-Haus ausharren musste.

Entspannung in der Papierkneipe

Ansonsten sind die Haushälter durchaus gesellige Menschen, wofür auch ein weiterer Aspekt des Mythos spricht, der sie umgibt: die Papierkneipe nämlich, eine Art Teeküche im Aktenraum des Ausschusssekretariats – daher der Name –, direkt neben dem Sitzungssaal. Es ist der Treff für Abgeordnete, die in der langen Bereinigungssitzung mal eine kleine Pause und eine Erfrischung brauchen.

Früher stand dort ein Fass Bier auf dem Tisch, heute sind es nur noch zwei Kästen darunter. Häppchen gibt es dazu, und auch Minister sähe man dort gelegentlich (wäre die Sitzung öffentlich), die nach ihrem Auftritt auf das Vereinbarte mit einigen Haushältern anstoßen. Denn Präsenzpflicht im Ausschuss haben nur die Abgeordneten, deren Fachetat gerade dran ist. Erst bei den Abstimmungen sollten alle versammelt sein, aufmerksame Fraktionsmitarbeiter sorgen dafür.

Antrag auf Antrag

Dass die Sache sich bis in die Nacht zieht, hängt zum einen daran, dass alle Einzelpläne nochmals durchgestimmt werden – aber auch daran, dass die Vertreter der Opposition nochmals Anträge stellen, die zwar aussichtslos sind, die aber bei befreundeten Interessengruppen oder auch in der Öffentlichkeit im Ganzen als Ausweis tapferen Kämpfens um mehr Geld für dies und das dienen.

Auch die Koalitionsfraktionen stellen jetzt noch Anträge, die schon mal in die Rubrik Nacht- und Nebelaktion fallen – angesichts der schieren Masse an Material in dieser Marathonsitzung verlieren die Kontrolleure in der Opposition schon mal die Übersicht. So kam es im vorigen Jahr dazu, dass ein heimlich vereinbarter Millionenbatzen für das Berliner Naturkundemuseum, eingetütet von dem mit allen haushaltspolitischen Wassern gewaschenen SPD-Obmann Johannes Kahrs, unbemerkt durchging.

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