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Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD).

© Sina Schuldt/dpa

Bundeshaushalt: Wie Olaf Scholz den Überfluss im Etat in Rücklagen parkt

Wohin mit den Überschüssen? Der Bundesfinanzminister setzt die Politik der Sonderfonds und Nebenhaushalte fort. Oft aber bleibt das Geld liegen.

Das Bundesfinanzministerium residiert in der Berliner Wilhelmstraße, doch die Anschrift könnte auch lauten: Am Juliusturm. Der steht zwar in der Zitadelle Spandau. Juliusturm ist aber auch ein geflügeltes Wort, mit dem das Horten von Geld umschrieben wird. In dem soliden Bauwerk war jahrzehntelang die den Franzosen abgezwungene Entschädigung nach dem Krieg von 1870/71 in gemünztem Gold eingelagert worden. Einst musste sich Fritz Schäffer (CSU), Konrad Adenauers Finanzminister, dafür rechtfertigen, einen „Juliusturm“ anzufüllen, weil er jahrelang dank guter Überschüsse eine Rücklagenpolitik betrieb – mit der Begründung, für kommende Ausgaben vorsorgen zu müssen. Was freilich auch bedeutete, dass das Geld der Steuerzahler zeitnah nicht verbraucht werden konnte. Diese Politik, auch Fondswirtschaft genannt, läuft auf ein Verstecken von Überschüssen in vermeintlichen oder echten Zukunftsprojekten hinaus.

Neuerdings sind wieder Überschüsse an der Tagesordnung. Auch 2018 deutet alles darauf hin, dass der Bund am Jahresende wieder mehr Geld eingenommen haben wird als er ausgeben konnte. Und so kehrt die Politik des Juliusturms zurück. Schon Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) hatte mit dem Bilden von Rücklagen begonnen. Sein Nachfolger Olaf Scholz (SPD) macht munter weiter.

Für den Finanzminister ist die Politik des Juliusturms auch ein günstiges Instrument, weil er sich von Schäuble distanzieren und mehr für Investitionen bereitstellen will. Das ist in einer Hochkonjunktur bei hoher Auslastung der Privatwirtschaft insofern problematisch, als viele Mittel dann nicht abfließen. Mit dem Bilden von Fonds und dem damit verbundenen Verlagern des Geldausgebens in die Zukunft kann zumindest die Illusion erweckt werden, der Staat tue etwas.

Es gilt sich zu wappnen

Im traditionell recht konservativen Bundesfinanzministerium steckt aber noch eine andere Strategie dahinter. Nach acht Jahren Wachstumsphase wächst die Rezessionsgefahr, und dafür gilt es sich zu wappnen. Man will dann nicht Steuern erhöhen oder zu stark in neue Schulden gehen müssen, um den Haushalt auszugleichen, zumal die Schuldenbremse hier Grenzen zieht. So werden Rücklagen gerechtfertigt nach dem Motto: Spare in der Zeit, dann hast du in der Not. Nichts ist für einen Haushaltsbeamten schlimmer als ein krasser Einbruch bei den Einnahmen und ein entsprechendes Defizit. Die misslungene Unternehmenssteuerreform unter Hans Eichel vor fast 20 Jahren, nach der die Einnahmen einbrachen, ist im Ministerium bis heute ein Schreckgespenst.

Freilich stößt die Rücklagenpolitik im Bundestag bei der Opposition auf Kritik. Der FDP-Haushaltspolitiker Otto Fricke warnt den Minister: „Olaf Scholz umgeht das verfassungsrechtlich verankerte Gebot von Haushaltswahrheit und -klarheit, indem immer mehr Nebenhaushalte geschaffen werden – dabei sollte sich gerade ein ordentlicher Hanseat darum bemühen, hier klar Schiff zu machen.“ Doch mittlerweile dürften weit mehr als zehn Prozent des Haushaltsvolumens von gut 340 Milliarden Euro (2018) in irgendwelchen Sondervermögen oder Fondstöpfen gelagert sein.

Riesige Flüchtlingsrücklage unangetastet

Ein besonders großer Posten ist die sogenannte Flüchtlingsrücklage, die erstmals 2015 im Umfang von fünf Milliarden Euro gebildet wurde, um künftige Zusatzkosten durch die Flüchtlingsaufnahme zu finanzieren. Beschlossen wurde damals, diesen Sondertopf jährlich mit den Abführungen der Bundesbank zu füllen, die bis dahin zur Schuldentilgung verwendet wurden. Die Rücklage wächst nun schon seit Jahren und hat jetzt ein Volumen von 24 Milliarden Euro, ohne dass tatsächlich Flüchtlingskosten daraus finanziert werden müssten. Als nur „vorübergehend vertretbar“ hat der Bundesrechnungshof dies schon im vorigen Jahr bezeichnet. Die FDP schlug unlängst vor, sie aufzulösen und damit die restlichen Schulden aus dem Investitions- und Tilgungsfonds abzuzahlen, der 2009 zur Konjunkturstützung eingerichtet worden war.

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Ein ordentlicher Batzen Geld hat sich auch im Energie- und Klimafonds (EKF) angesammelt, der 2011 eingerichtet worden war, um die Energiewende zu begleiten, und seither nach dem Prinzip Hoffnung gemanagt wird. Aus dem EKF sollen Fördermaßnahmen von verschiedenen Bundesressorts finanziert werden, etwa für die E-Mobilität. Freilich laufen die oft weit weniger erfolgreich als gedacht. So flossen, ein Beispiel, von den für 2017 veranschlagten Fördergeldern für Elektroautos in Höhe von 192 Millionen Euro tatsächlich nur 38 Millionen ab. Nichtsdestotrotz wird der EKF jährlich nach Plan aufgestockt, ohne dass höhere Abflüsse erkennbar sind. Mittlerweile hat der Fonds ein Volumen von sechs Milliarden Euro erreicht. Laut Bundesrechnungshof wiederspricht diese Rücklagenbildung dem Gebot der Haushaltsklarheit.

Schnell mal einen Digitalfonds einrichten

Neu ist der Digitalfonds in Höhe von 2,4 Milliarden Euro, die Scholz noch schnell im Etat für 2018 unterbrachte. Damit sollen Ausgaben für Breitbandausbau und Unterrichtsdigitalisierung finanziert werden, welche die Regierung zwar irgendwann vorhat, für die es aber noch gar keine konkreten Planungen gibt. Dabei konnten schon im vorigen Jahr etwa 700 Millionen Euro, die für den Breitbandausbau geplant waren, nicht investiert werden, sie wurden als Ausgaberest zurückgelegt. Und weil die Bundesregierung den mit den Ländern längst vereinbarten Digitalpakt für die Schulen noch immer nicht auf den Weg bringt, hakt es auch dort. Entsprechend liegen Kofinanzierungsmittel in den Länder- und Kommunaletats brach. Apropos: Die zwei Förderprogramme für finanzschwache Kommunen mit einem Umfang von sieben Milliarden Euro leiden ebenfalls darunter, dass das Geld nicht zügig ausgegeben wird. Bislang sind knapp 900 Millionen Euro ausgegeben worden. Die Gründe sind vielfältig: fehlende Planungskapazitäten, bürokratische Hürden, möglicherweise wird aber auch der Investitionsbedarf überschätzt. Immerhin konnte das Finanzministerium unlängst vermelden, dass 90 Prozent der Mittel aus der ersten Tranche im Umfang von 3,5 Milliarden Euro jetzt verplant seien.

"Demografiereserve"

Sogar für die Etatplanung über 2019 hinaus werden Sondervermögen eingerichtet. Im Juni kündigte Scholz für 2021 die Schaffung einer „Demografiereserve“ in Höhe von zwei Milliarden Euro an, mit der die absehbaren Finanzierungsprobleme in der Rentenversicherung gemildert werden sollen. Der Topf soll schnell wachsen. Das ist als Vorsorgemaßnahme gedacht, die freilich zunächst nichts anderes ist als eine Buchung, mit der die Planungsüberschüsse gedämpft werden können. Und künftige Überschüsse sollen nach dem Koalitionsvertrag nicht zuletzt in höhere Wehrausgaben fließen. Freilich hat dort die Oberkommandierende Ursula von der Leyen (CDU) schon jetzt Ausgabeprobleme – und bekommt daher auch ihren Juliusturm namens „Rücklage zur Gewährleistung überjähriger Planungs- und Finanzierungsicherheit für Rüstungsinvestitionen“. Immerhin 500 Millionen Euro darf sie nun zur Seite legen lassen, weil die langsame Umsetzung von Rüstungsprojekten regelmäßig zu Ausgaberesten führt.

Opposition beklagt Mangel an Transparenz

Zwar ist die aktuelle Haushaltsplanung bis 2022 durch die Einberechnung von Koalitionsplänen, vor allem den "prioritären Maßnahmen" wie Kindergelderhöhung, Baukindergeld oder Abbau des Solidaritätszuschlags, auf den ersten Blick eher eng gestrickt. Der Stabilitätsrat, das Etatlenkungsgremium der Finanzminister von Bund und Ländern, hatte im Mai sogar ein Ende der Überschüsse für den Bund nach 2019 vermeldet. Aber im laufenden Haushaltsjahr deutet alles darauf hin, dass die Einnahmen wieder übersprudeln.

Auch bei der Linken kommt die Politik des Juliusturms nicht gut an. Deren Haushaltspolitiker Victor Perli sagt: „Schattenhaushalte höhlen das Budgetrecht des Parlaments aus. Ausgelagerte Fonds und Rücklagen erschweren die Etatkontrolle. Einnahmen, Ausgaben und die Verschuldung werden weniger transparent.“ Es gebe einen klaren Trend zu Lasten des Bundestags. „Ich vermisse im Haushaltsausschuss kritische Stimmen bei Union und SPD.“

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