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Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU)

© Mike Wolff

Bundesinnenminister: Friedrich: „Ein Verbot der NPD wird nicht leicht werden“

Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) über Versäumnisse im Kampf gegen Rechts, die Rolle von V-Leuten und ein Comeback von Karl-Theodor zu Guttenberg.

Von
  • Robert Birnbaum
  • Frank Jansen

Herr Friedrich, was haben Sie empfunden, als im November die Taten der Thüringer Terrorzelle bekannt wurden?

Ich konnte das anfangs gar nicht glauben. Es war fürchterlich, erkennen zu müssen, dass es offenbar doch rechtsextremistischen Terror gab. Jetzt wissen wir mehr.

Warum haben die Behörden bei der Suche nach den drei Neonazis versagt?
Polizei und Verfassungsschutz haben mit großem Aufwand nach Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe gesucht, als die Anfang 1998 untergetaucht sind …

… aber 2003 hat die Staatsanwaltschaft Gera die Ermittlungen eingestellt.
Das zentrale Problem war doch, dass eine Vernetzung des Trios über Thüringen hinaus nicht erkannt wurde. Es gab zwar den Anfangsverdacht auf terroristische Aktivitäten, aber der Fall galt als regional begrenztes Phänomen. Das ist auch verständlich. Wie sollten die Behörden darauf kommen, dass ein Mord in Bayern oder Nordrhein-Westfalen mit dem Verschwinden von Thüringer Neonazis zu tun hat? Es gab keinerlei Hinweise auf einen Zusammenhang zwischen diesen beiden Tatsachen. Und die Umstände der Mordserie sind völlig untypisch für Terroristen. Es gab keine Bekennerschreiben, kein Protzen und Prahlen mit den Taten, wie es sonst in der rechtsextremen Szene üblich ist.

Wurden das Bundeskriminalamt und das Bundesamt für Verfassungsschutz von den Thüringer Behörden unzureichend informiert?
Die Thüringer Behörden haben, wie es üblich war, nur die Informationen weitergegeben, die aus ihrer Sicht für Bundesbehörden interessant waren. Das war ein gravierendes Strukturproblem, und das haben wir jetzt abgestellt. Im Gemeinsamen Abwehrzentrum gegen Rechtsextremismus, das im Dezember gegründet wurde, tauschen sich jetzt alle Polizeibehörden und Inlandsnachrichtendienste täglich darüber aus, was in der rechtsextremen Szene passiert. Der Überblick und die Zusammenarbeit werden deutlich besser.

War es ein Fehler, dass das Bundesinnenministerium nach den Anschlägen von 2001 das Bundesamt für Verfassungsschutz veranlasst hat, Kräfte von der Beobachtung des Rechtsextremismus abzuziehen?
Ohne Frage hat der 11. September dazu geführt, dass die Aufmerksamkeit und die Energien der Sicherheitsbehörden auf den islamistischen Terror verstärkt wurden. Das war und ist nachvollziehbar. Aber zu keinem Zeitpunkt hat man gesagt, wir schludern jetzt bei der Bekämpfung des Rechtsextremismus.

Doch die mörderische Gewalt des Rechtsextremismus wurde unterschätzt.
Sicherlich ist der Rechtsextremismus ein schwierigeres und gefährlicheres Phänomen, als es viele Experten bislang eingeschätzt haben. Deshalb habe ich angeordnet, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz jetzt wieder eine eigene Abteilung zur Beobachtung des Rechtsextremismus eingerichtet hat. Die zunehmende Gewaltbereitschaft bei Neonazis und der Anstieg der Zahl gewaltbereiter Rechtsextremisten bereitet uns Sorgen.

Andererseits hat Ihr Ministerium noch im September 2011 keine Notwendigkeit gesehen, die offizielle Zahl von damals 47 Todesopfern rechter Gewalt den Ländern zur Prüfung vorzulegen – obwohl der Tagesspiegel und weitere Zeitungen schon damals auf 137 Tote kamen.
Keine Statistik oder Zählweise kann uns ruhig lassen! Die amtliche Statistik des Bundes wird erstellt vom BKA und gespeist aus den Ländern. In dieser Statistik werden nur Täter aufgeführt, bei denen ganz klar und gerichtsfest eine rechtsextreme Tatmotivation vorliegt. Wenn der Täter zwar eine rechtsextreme Gesinnung hat, seine Tat aber nichts mit dieser Gesinnung zu tun hat, dann wird er nicht in dieser Statistik geführt, und das unterscheidet die staatlichen Angaben von denen nichtstaatlicher Stellen oder den Rechercheergebnissen einiger Journalisten.

Zu früh für eine Entscheidung für oder gegen ein NPD-Verbotsverfahren

Wird es nun einfacher, die NPD zu verbieten, da offenbar Mitglieder der Partei in den Terrorfall verstrickt sind?
Wir können uns nicht darauf verlassen, dass am Ende der Ermittlungen das Ergebnis steht: Der Terror ist ein typisches NPD-Phänomen. Wenn wir der NPD nachweisen könnten, das Trio sei ihr illegaler Arm gewesen, wäre ein Verbot leicht. So leicht aber wird es nicht werden.

Sollte trotzdem ein neuer Anlauf beim Bundesverfassungsgericht gestartet werden?
Ein Verbot wird nur möglich sein, wenn wir dem Gericht eine Kette von Beweisen präsentieren, die nicht auf Informationen von V-Leuten aus Vorständen der NPD beruht. Da müssen wir den Vorgaben des Gerichts aus der Einstellung des Verfahrens im Jahr 2003 gerecht werden. Ich bin aber auf Hinweise aus den inneren Zirkeln der NPD angewiesen, um zum Beispiel nachweisen zu können, dass manche NPD-Äußerungen, die ganz harmlos daherkommen, nur ein Täuschungsmanöver sind, um ein Verbot zu vermeiden. Diese Informationen können aber nur V-Leute liefern, die in der Partei eine Rolle spielen. Eine weitere Hürde wäre, dass wir die Beweise für die Notwendigkeit eines Verbots so untermauern, dass wir nicht unsere V-Mann-Strukturen aufdecken müssen.

Das klingt, als sollte man auf ein Verbotsverfahren verzichten.
Für eine Entscheidung ist es noch zu früh. Die Arbeitsgruppe von Bund und Ländern, die die Kriterien für ein erfolgreiches Verbotsverfahren prüft, soll bis Ende März Vorschläge machen. Bis dahin können wir über das Vorgehen entscheiden. Selbst dann wird es aber noch nicht möglich sein, zu beurteilen, ob die Beweislage ausreicht.

Ist das den Kollegen in der Innenministerkonferenz bewusst, die ein Verbotsverfahren befürworten?
Wir werden sicherstellen, dass allen die hohen rechtlichen Hürden bewusst sind.

Stichwort Bewusstsein: Es hat in der Bundesregierung zwischen Ihnen und der Justizministerin anfangs beträchtliche Differenzen gegeben über die Reaktion auf die Nazi-Morde. Frau Leutheusser-Schnarrenberger hat dabei wieder die Linie verfolgt: Bloß keine neuen Gesetze, neuen Institutionen, neuen Dateien. Finden Sie so eine Haltung eigentlich noch zeitgemäß?
In einem Kabinett muss jedes Ressort seine Sichtweise zur Geltung bringen, auch jede Partei. Dafür haben die Wähler unterschiedliche Parteien in Verantwortung gewählt, die zusammenarbeiten sollen.

Sie haben sich noch nie geärgert?
Auch das lässt sich hin und wieder nicht vermeiden. Aber wahrscheinlich hat sich Frau Leutheusser-Schnarrenberger auch manchmal über mich geärgert.

Guttenberg muss überlegen, wann der Zeitpunkt für ein Comeback ist

Bei der Verbunddatei Rechtsextremismus ist ein Kompromiss gelungen. Klappt das auch bei der Vorratsdatenspeicherung?
Ich bin bei der Ausgestaltung der Vorratsdatenspeicherung zu vielen Kompromissen bereit. Aber bei diesem Thema können wir uns schon beim Prinzip nicht einigen. Frau Leutheusser bietet das „Quick Freeze“-Verfahren an (Speicherung von Daten nur im konkreten Verdachtsfall, Anm. der Red.). Das führt nicht zum Ziel.

Ist der geringe Kompromisswille auch Folge der Gesamtlage der FDP? Bei zwei Prozent in den Umfragen ist mit der Großzügigkeit schnell Schluss.
Das sehe ich so nicht. Unsere Arbeit machen wir nicht von Umfragen abhängig.

Droht neuer Ärger mit dem Koalitionspartner auch bei der Datenschutzverordnung, die die EU-Kommission plant?
Ich sehe da keinen Konflikt mit Frau Leutheusser. Wir werden uns den Entwurf der Verordnung sehr sorgfältig anschauen und dann eine Position der Bundesregierung formulieren. Gut ist erst einmal, dass es eine unmittelbar geltende Verordnung für den Bereich der Wirtschaft geben soll. Die wird zur Vollendung des Binnenmarktes beitragen. Es wird aber entscheidend auf die Details ankommen. Was wir wollen, ist ein einfacher und verständlicher Datenschutz ohne zusätzliche Brüsseler Bürokratie. Europäischer Datenschutz muss neue Entwicklungen in der Gesellschaft und ihrem Kommunikationsverhalten aufnehmen, er muss Antworten auf die freiheitliche Dimension des Internets finden. Vor allem muss es einen Unterschied geben zwischen privaten und öffentlichen Bereichen, zwischen der Privatsphäre und dem wirtschaftlichen Datenbetrieb. Hier muss die Kommission Augenmaß bewahren und darf nicht Rechtstraditionen zum Schutz der Bürger, wie sie in vorbildlicher Weise vom Bundesverfassungsgericht entwickelt worden sind, durch komplette Neuregelungen und Kompetenzverlagerungen ersetzen wollen.

Wie wollen Sie das denn verhindern?
Wir sind ja mit der Kommission im Gespräch und stehen am Anfang einer Verhandlungsphase. Das wird schon seine Zeit brauchen. Wir werden der Kommission in den Sitzungen verdeutlichen, welche Punkte uns wichtig sind und wo wir grundsätzlich anderer Auffassung sind. Die Vorstellungen der Kommission, auf vielen Gebieten eigenes Recht an die Stelle von nationalen Vorschriften zu setzen, sehe ich kritisch.

Und eine Verordnung wäre unmittelbar geltendes Recht.
Das ist ein zentraler Punkt. Eine Verordnung bringt es mit sich, dass der Europäische Gerichtshof als rechtliche Instanz entscheidet. Das bedeutet, dass sich der Rechtsschutz für den Bürger ändern würde.

Aber wie wollen Sie denn die Kommission hindern?
Die Kommission legt einen Entwurf vor. Und in Brüssel, wo viele mitreden, gilt wie in Berlin, dass kein Entwurf das Gesetzgebungsverfahren so verlässt, wie er dort reingekommen ist.

Eine letzte Frage, diesmal an den CSU-Politiker. Sie waren immer ein Förderer und Ratgeber von Karl-Theodor zu Guttenberg. Was würden Sie ihm heute raten?
Er sollte sich mit seinen unmittelbaren politischen Freunden beraten. Das sind vor allem die Kreisvorsitzenden in seinem Wahlkreis. Er muss sich überlegen, wann der richtige Zeitpunkt für eine Rückkehr ins politische Leben ist.

Wir erleben beim Bundespräsidenten, dass er aus einer quälenden Affäre nicht herausfindet, weil er den ursprünglichen Fehler nicht einsieht. Muss nicht wenigstens Guttenberg aufhören, uns weiter das Märchen von der bloß versehentlich zur Hälfte abgeschriebenen Doktorarbeit zuzumuten?
Er hat meines Erachtens klar gesagt, dass er einen Fehler gemacht hat. Ich glaube, damit sollte es jetzt gut sein.

Hans-Peter Friedrich (54) trat als Jugendlicher der CSU bei, 1998 kam er in den Bundestag. Erst wurde er über die Landesliste gewählt, dann regelmäßig direkt im Wahlkreis Hof. 2009 erhielt er 46,5 Prozent der Erststimmen. Der promovierte Jurist leitete im Bundestag von 2002 bis 2004 den Untersuchungsausschuss zum angeblichen Wahlbetrug der damaligen rot-grünen Koalition. 2005 wurde Friedrich Vizechef der Unionsfraktion, zuständig für Verkehr, Bau, Stadtentwicklung, Tourismus und Kommunalpolitik. Nach dem Rücktritt von Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) im März 2011 übernahm der damalige Innenminister Thomas de Maizière (CDU) dessen Posten und übergab sein altes Amt an Friedrich. Das Gespräch mit ihm führten Robert Birnbaum und Frank Jansen.

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