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Bundesparteitag Piratenpartei in Neumarkt: Katharina Nocun ist die neue politische Geschäftsführerin der Piratenpartei.

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Update

Bundesparteitag der Piraten: Die Neue wird's schon richten

Demütig war der Abgang des ehemaligen politischen Geschäftsführers Johannes Ponader auf dem Bundesparteitag der Piraten am Freitag. Seine Nachfolgerin Katharina Nocun rief unter Jubel zur Aufholjagd auf. Mit konkreten programmatischen Aussagen hielt sie sich dann jedoch piratentypisch zurück.

Es ist ein Gegensatz, aus dem die kriselnde Piratenpartei nun mit Blick auf die Bundestagswahl Hoffnung ziehen will: auf der einen Seite der scheidende politische Geschäftsführer Johannes Ponader, auf der anderen seine Nachfolgerin Katharina Nocun. Ponader trat mit seiner Abschiedsrede beim Bundesparteitag der Piraten in Neumarkt in der Oberpfalz am Freitagnachmittag angemessen demütig vor die Mitglieder – und bekam dafür am Ende versöhnlichen Applaus und einen Blumenstrauß. Ein Transparent wurde entrollt: „Danke und Willkommen zurück in der Basis.“

"Wo ich etwas falsch gemacht habe, möchte ich Euch um Entschuldigung bitten“, hatte Ponader, der im vergangenen Sommer – grob verkürzt – öffentlich für sein Recht auf Selbstverwirklichung bei vollen Hartz-IV-Bezügen eintrat und damit die Partei in eine Akzeptanzkrise und weiteren Querelen maßgeblich mit in ein Umfragentief stürzte, in seiner Rede gesagt. Oft genug sei er „hinter den Ansprüchen“ zurückgeblieben. Er hoffe, dass der neue Geschäftsführer helfe, Wunden zu heilen.

Auf der anderen Seite stand zwei Stunden später die, die die Wunden heilen soll. "Wir müssen uns jetzt verdammt nochmal den Arsch aufreißen, um die anderen vor uns herzutreiben", rief Katharina Nocun, 26-jährige Studentin aus der Nähe von Osnabrück, unmittelbar, nachdem sie mit 81,7 Prozent für Piratenverhältnisse triumphal zur neuen politischen Geschäftsführerin gewählt worden war, in die Halle.

Damit traf sie offensichtlich den Ton, mit dem die Piraten sich nun, nachdem sie den auch innerhalb der Partei zunehmend isolierten Ponader als Vorstandsmitglied los sind, gegenseitig Mut zusprechen möchten: "Ich möchte von niemandem mehr hören, dass wir diese Bundestagswahl nicht wuppen können." Und damit, so schien es in diesem Augenblick des Jubels schien dieses "Wuppen" - Umfragentief hin oder her - angesichts des offenen, beinahe euphorischen Lächelns der Wahlsiegerin schon wieder ein Stückweit möglicher geworden.

Wiederum 45 Minuten später war dieser Zauber schon wieder etwas verflogen: Nocun, als Spitzenkandidatin (Listenplatz 2) bei der Niedersachsenwahl in diesem Jahr auch schon einmal mit der Partei gescheitert, gab ihre erste Pressekonferenz in neuer Funktion - und zeigte da einmal mehr, dass bei den Piraten mit dem Amt auch oft die Angst kommt: die Angst, etwas Falsches zu sagen. Wie sie zur ständigen Mitgliederversammlung stehe, wurde Nocun da gefragt, dem Plan, zukünftig auch online verbindliche Beschlüsse fassen zu können. Die Hoffnungsträgerin wand sich: Man solle sich Zeit lassen, sagte sie, die ebenso wie ihre Vor-Vorgängerin Marina Weisband keine Identifikationsfigur sein mag, und: „Ich bin der Meinung, dass die Mitglieder das selbst entscheiden können.“

Die Piraten wollen aufholen - die Frage ist das Wie

Damit verging der erste Tag des dreitägigen Treffens mit Wahlen – neben Nocun wurden Andreas Popp und Christopher Chan Hin, als Beisitzer, in den Bundesvorstand nachgewählt. Ansonsten blieben sich die Piraten jedoch darin treu, gemächlich und diskussionsfreudig in ihrer demokratischen Arbeit voranzuschreiten. Die Entscheidung über die ständige Mitgliederversammlung wurde am späten Freitagabend auf den nächsten Abend vertagt – vorher soll noch ein Bundestagswahlprogramm, für das eine eigentlich turnusmäßig anstehende komplette Vorstandsneuwahl extra in den Herbst verschoben wurde, beschlossen werden.

Womit genau die Piraten nun ihre „Aufholjagd“ im Wahljahr starten wollen, ist zu diesem Zeitpunkt eher aus einem Mosaik an Stimmen herauszulesen als aus programmatischen Parteitagsbeschlüssen: Da sind zum einen die inhaltlichen Aussagen, die Katharina Nocun in Bewerbungsrede und Pressekonferenz nach vorne stellte: Die sprach davon, dass die Sozialsysteme auf den demografischen Wandel vorbereitet werden müssten. Der Schutz der Jungen vor Altersarmut – vielleicht sogar auf Kosten der jetzt Alten und Wohlhabenden – könnte, geht es nach Nocun, ein Wahlkampfthema der Piraten sein.

Dass auch deftige Rundumschläge gegen ein gemutmaßtes Establishment, bestehend aus Telekom, CSU-Amigos, Bankerlobby und etablierten Parteien ein probates Mittel sein könnten, deutete der bayrische Spitzenkandidat Bruno Gert Kramm in einer angemessen feurigen und bierzeltigen Begrüßungsrede an. Auf der anderen Seite stehen die, die weiter mit den netzpolitischen Kernthemen der Partei punkten wollen.

Indes: Wichtiger als einzelne Anträge scheint eh, inwieweit es die Partei schafft, Einzelne für sich sprechen zu lassen. Der Applaus, den Johannes Ponader erntete, als er, bei seiner Abschiedsrede, ohne seine Ex-Vorstandskollegen beim Namen zu nennen, gegen die stichelte, die die Partei „wie ein Unternehmen“ führen wollen, lässt ahnen, wie wenig bereit noch immer viele Basispiraten dazu sind. Dass hessische Piraten Mittelfinger in eine Kamera reckten, weil die „Tageszeitung“ den Bundesvorsitzenden und Ponader-Antagonisten Bernd Schlömer mit dem Satz „Uns fehlt die Kraft und die Motivation für den Wahlkampf“ zitiert hatte, zeigt, wie ausgeprägt auch destruktive Streitlust in der Partei noch ist.

Vielleicht ist es auch so, wie es der Berliner Abgeordnete Christopher Lauer am Freitagabend unter Jubel während der Aussprache zu den Anträgen zur ständigen Mitgliederversammlung in den Saal rief: „Wir werden dafür gewählt, dass wir progressiv sind.“ Diese Progressivität konstruktiv aussehen zu lassen - das ist die Aufgabe, vor der die Piraten stehen. An den verbleibenden Tagen in Neumarkt, und in den verbleibenden Monaten bis zur Bundestagswahl.

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