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Man redet und streitet: Recep Tayyip Erdogan und sein deutscher Gast Gauck vor ihrem Gespräch am Montag.

© REUTERS

Bundespräsident in der Türkei: Lob für Gaucks Kritik an Erdogan

Erdogan ist wütend wegen Kritik des Bundespräsidenten an Maulkörben für Richter und soziale Medien. Doch türkeistämmige Deutsche verteidigen Gauck.

Erst das Erdbeben, dann das Donnerwetter. Der letzte Tag des Türkeibesuches von Bundespräsident Joachim Gauck fand am Dienstag zwar bei schönem Wetter in Istanbul statt – doch die politische Atmosphäre war höchst aufgeladen. Nach Gaucks „Zwischenruf“ zum Zustand von Rechtsstaat und Demokratie in der Türkei dürfte Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan, ohnehin als Freund deutlicher Worte bekannt, bei Besuchen in Deutschland künftig noch stärker als Verteidiger türkischer Interessen auftreten. Schon in wenigen Wochen wird dies zu beobachten sein.

"Gauck, nicht rumguckern!"

Bei einer Pressekonferenz und einer Rede in Ankara hatte Gauck am Montag die Internetsperren, den Druck auf die Medien und die Eingriffe in die Gewaltenteilung durch Erdogans Regierung beklagt. „Erdbeben in Ankara“, titelte die unabhängige Tageszeitung „Taraf“. Das regierungsnahe Blatt „Star“ riet Gauck, sich doch gleich als Kandidat der Opposition bei der türkischen Präsidentenwahl im August aufstellen zu lassen. „Gauck, gacker’ nicht rum“, hieß es auf der Titelseite der Erdogan-treuen Zeitung „Takvim“.

Der Premier selbst war nicht wesentlich zurückhaltender. Er wies Gaucks Warnungen in einer vom Fernsehen übertragenen Rede vor Abgeordneten seiner Regierungspartei AKP in schroffen Tönen zurück. Der frühere protestantische Kirchenmann Gauck glaube wohl, er sei immer noch Pastor. In der Bundesrepublik bringe die rechtsextreme NSU acht Türken um, türkische Wohnhäuser gingen in Flammen auf, ohne dass jemand dafür zur Verantwortung gezogen würde. „Dann kommt er her und gibt uns kluge Ratschläge“, sagte Erdogan. In der Türkei hätten die Bürger alle Freiheitsrechte. „Die Einmischung in unsere inneren Angelegenheiten weisen wir zurück.“

SPD-Politiker erwartet mehr Zulauf für Erdogan in Köln

Der Streit zwischen Erdogan und Gauck verstärkt die Spannungen zwischen Berlin und Ankara wegen des türkischen EU-Beitrittswunsches. Die bayerische EU-Ministerin Beate Merk forderte wegen Erdogans „verächtlicher“ Worte den Abbruch der EU-Verhandlungen. Der frühere SPD-Europaabgeordnete Ozan Ceyhun sagte dem Tagesspiegel, nach dem Streit um Gaucks Äußerungen würden in Köln noch wesentlich mehr Türken zusammenströmen als bisher angenommen, um sich mit Erdogan „zu solidarisieren“. Der türkische Premier will am 24. Mai in Köln eine Wahlkampfrede im Rahmen seiner erwarteten Präsidentschaftskandidatur halten.

Forscher Uslucan: Das türkische Demokratielevel ist kritisch

Der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde, Kenan Kolat, stellte sich hinter den Bundespräsidenten. Seine Rede sei „sehr ausgewogen“ gewesen, er habe zum ersten Mal wörtlich von rassistischem Hass auch in Deutschland gesprochen. Gaucks Kritik an der Einschränkung von Freiheiten sei „weder scharf noch von oben herab formuliert“ gewesen. „Eigentlich müsste Erdogan damit sehr gut leben können“, sagte Kolat.

Ähnlich sieht es Haci-Halil Uslucan, der Leiter des Essener Zentrums für Türkeistudien und Integrationsforschung. Gauck habe „den Ton getroffen, gerade in seiner Mischung aus Kritik und Anerkennung“. Er habe auch auf Erfolge Erdogans hingewiesen. „Wenn er aber jetzt kritische Geister gängelt, das Land spaltet, weil er sich nur denen verpflichtet fühlt, die ihn gewählt haben, dann muss das benannt werden. Das Demokratielevel der Türkei ist kritisch und das sollte man aussprechen.“ Das werde nicht schlecht ankommen, meint Uslucan: „Deutschland hat ein ausreichend gutes Standing als Heimat von Millionen Türkeistämmiger und als wichtigster Handelspartner.“

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