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Bundespräsident korrigiert sich: Wohin führt die Sexismus-Debatte?

Die Sexismus-Debatte überrollte Ende Januar Deutschland. Jetzt hat Bundespräsident Gauck sie mit einer Interview-Bemerkung erst kritisiert - und dann gelobt. Wohin führt die Diskussion?

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Präsidenten entschuldigen sich nicht, zumindest nicht vor Kameras. Präsidenten, zumindest wenn sie Joachim Gauck heißen, preisen die „positive Energie“, die ihnen an diesem Tag entgegenströmt.

Es ist Donnerstagmorgen, der Tag vor dem Internationalen Frauentag, das deutsche Staatsoberhaupt will 33 Frauen mit dem Verdienstorden für soziale Projekte auszeichnen. Gaucks kurze Rede war als ernstes, aber auch nicht zu ernstes Entree geplant. Wenn da nicht die Sache mit dem Sexismus dazwischengekommen wäre. Ausgelöst von einem „Stern“-Porträt, in dem die Autorin FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle sexistisches Verhalten vorwarf, war Ende Januar eine Debatte wie ein Tsunami über Deutschland hinweggerollt. Tausende Frauen beklagten, vor allem per Twitter unter dem Stichwort #Aufschrei, alltäglichen Sexismus, vom Herrenwitz bis zur körperlichen Attacke.

Und was meinte der Bundespräsident dazu? Ausgerechnet am Sonntag vor dem Frauen-Ehrentag widersprach er in einem Interview den Klagenden. Ein „flächendeckendes Fehlverhalten“, wie es der vorangegangene Protest offengelegt hatte, könne er nicht erkennen, sagte Gauck und deutete den Aufschrei zum „Tugendfuror“ um. Nach dem Motto: Macht mal halblang, Mädels! An diesem Donnerstag kam nun der Rückzug. Auch hierzulande gebe es „alltäglichen Sexismus“, korrigierte sich das Staatsoberhaupt, das nun keine Furien mehr am Werk sehen will, sondern staatsmännisch eine „engagierte und ernsthafte Debatte sehr begrüßt“.

Gauck reagierte damit indirekt auch auf einen offenen Brief, den sieben #Aufschrei-Aktivistinnen am Mittwoch veröffentlicht hatten. Im Internet fand der Brief bis Donnerstagabend fast 2000 Unterzeichner. Sie vermissten bei Gauck „Feingefühl und Respekt gegenüber all den Frauen, die sexistische Erfahrungen gemacht haben“. Der Fall Brüderle, so die Frauen, sei nur ein Auslöser für eine „überfällige öffentliche Diskussion“ gewesen. Zu den Unterzeichnern gehörten die Initiatorinnen der #Aufschrei-Debatte, Anne Wizorek und Nicole von Horst.

Gauck hat auf den medialen Druck reagiert, obwohl die Reaktionen auf den Brief durchaus gespalten waren. Während die einen Gaucks Äußerungen kritisierten, warfen die anderen den Briefschreiberinnen vor, die Debatte zu überhitzen. Auch mehr als einen Monat nach Beginn wird der Streit sehr kontrovers geführt.

Die Debatte ist nicht von Brüderle zu trennen

Anne Wizorek, die als Erfinderin des #Aufschrei-Begriffs gilt, ist eine Art Botschafterin des Sexismus-Themas geworden. Ende Februar saß sie bei einer Diskussionsrunde der SPD auf dem Podium, neben ihr Christine Lüders, Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes. Lüders bedankte sich bei den #Aufschrei-Aktivistinnen. Die Debatte habe das Thema stärker in die Öffentlichkeit gebracht – das sei ihr größter und wichtigster Verdienst. Bei ihr seien dadurch deutlich mehr Anfragen eingegangen. Sie weist bei dem „öffentlichen Fachgespräch“ darauf hin, dass knapp ein Drittel aller Frauen angeben, schon sexuell belästigt worden zu sein.

Doch die Schwierigkeit der Debatte zeigt sich eine Woche später, als bei einer zweiten SPD-Veranstaltung über Konsequenzen geredet wird. Auf keinen Fall solle es um Brüderle gehen, betonen die SPD-Frauen. Und können sich doch den Wahlkampf-Seitenhieb nicht verkneifen: Das Login-Passwort für das W-Lan-Netz – es soll ja eifrig getwittert werden – lautet „Herrenwitz“, wie der Titel im „Stern“. Die SPD-Frauen versuchen, den #Aufschrei in einen #Aufbruch umzudeuten, fordern die Frauenquote, gleiche Bezahlung und weniger sexistische Werbung. Die Antidiskriminierungsstelle will ein Klagerecht. Doch wer führt die Idee weiter? SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück ist bei der Debatte nicht dabei. Als er später auf einem Empfang im Vorfeld des Frauentages spricht, klingt es eher wieder nach Wahlkampf als nach Aufbruch. Brüderle bleibt allgegenwärtig.

Gerade deshalb fällt es den Regierungsparteien so schwer, das Thema aufzugreifen. „Wir wünschen uns, dass sachlicher diskutiert wird“, sagt Doris Buchholz, Vorsitzende der Liberalen Frauen. Natürlich machten auch FDP-Anhängerinnen Erfahrungen mit Sexismus. Es sei deshalb gut, dass das Thema generell angestoßen werde. Eine Sprecherin der Frauenunion kennt ebenfalls keine internen oder gar öffentlichen Veranstaltungen zum Sexismus. Trotzdem nehme man das Thema ernst, bemüht sie sich zu versichern.

Ein „Umdenken im Privaten“ hat Wizorek bei vielen festgestellt. Jugendverbände stellten Anfragen, viele Menschen schrieben ihr, sie würden nun genauer hinschauen und hinhören. Doch von einem gesellschaftlichen oder politischen Konsens ist die Debatte Anfang März wohl genauso weit entfernt wie Ende Januar.

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