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Bundespräsidentenwahl: Christian Wulff: Ein Mann ruckelt nach oben

Nicht anecken, nicht polarisieren, keinen Widerstand wecken. Das ist die Methode Wulff. Sie hat ihn weit gebracht. Doch auf seiner Abschiedstour durch Niedersachsen merkt Christian Wulff, wie schwer es ist, Bundespräsident zu werden.

Dieses Lächeln. Oft leuchtet es wie bei einem kleinen Jungen, so offenherzig, so warm. Es kann aber auch erstarren, kann maskenhaft werden, fast schon kalt. Man wird beides zu sehen bekommen auf dieser Reise – der letzten, die Christian Wulff als Ministerpräsident unternehmen will, und die ihn nicht nur durch Niedersachsen, sondern auch an die Grenzen seiner Selbstbeherrschung führt. Dorthin, wo auch das eisernste Lächeln schließlich erlischt.

Wulffs Sommertour beginnt am Dienstagnachmittag vor dem Landtag in Hannover. Auf dem Hinrich-Wilhelm-Kopf- Platz warten die Lehrlinge vom „Wurstbasar“, einer regionalen Fleischwarenkette, deren Fabrik der Ministerpräsident später besuchen wird. Sie haben Platten mit belegten Brötchen dabei, es riecht nach Mett mit Zwiebeln. Man könnte auch sagen, es riecht nach Niedersachsen, diesem bodenständigen Flächenland, das vom Harz bis an die Nordsee reicht, und in dem es mehr Schützenvereine gibt als irgendwo sonst in Deutschland.

Der Christdemokrat Christian Wulff hat dieses große Bundesland sieben Jahre lang ziemlich erfolgreich regiert. Dann trat Horst Köhler zurück, und der 51-Jährige entschloss sich, der Welt der Wurstplatten den Rücken zu kehren, um als jüngster Bundespräsident aller Zeiten ins Berliner Schloss Bellevue zu ziehen. Er konnte ja nicht wissen, was auf ihn zukommen würde. Er hat nicht geahnt, wie hart er würde kämpfen müssen.

Auf seiner Abschiedsfahrt durch Niedersachsen entsteht zuweilen der Verdacht, Christian Wulff hätte sich wissend, was er heute weiß, gerne mit den Zwiebelmettbrötchen in der Provinz zufriedengegeben.

Vor drei Wochen noch schien seine Kandidatur ein Selbstläufer zu sein. In der Bundesversammlung verfügen CDU und FDP über eine Mehrheit von 21 Stimmen. Wulff konnte also fest mit einem Erfolg schon im ersten Wahlgang rechnen, als er bei einem Abendessen mit Angela Merkel im Kanzleramt diskret seine Nominierung verabredete, während alle Welt noch auf eine Bundespräsidentin namens Ursula von der Leyen spekulierte.

Für Christian Wulff muss der Sieg über die populäre Arbeitsministerin ein Triumph gewesen sein. Für kurze Zeit durfte er sich vollends bestätigt fühlen in seiner Methode, Politik zu machen. Konflikte und offene Auseinandersetzungen meidet der Mann mit der randlosen Brille, wo immer es möglich ist. Machtfragen werden nach sorgfältiger Risikoabwägung intern geklärt. Was so viel bedeutet wie: für ihn entschieden.

Nicht anecken, nicht polarisieren, keinen Widerstand wecken – auf diese Weise hat Christian Wulff es in Niedersachsen zu großer Beliebtheit gebracht. Sein politisches Vokabular erinnert seit Jahren an den großen Versöhner Johannes Rau. Formulierungen wie „Brücken bauen“ und „zusammenführen“, sind fester Bestandteil seiner wohltemperierten Reden. Auch deshalb dürfte sich Merkel am Ende nicht für Wolfgang Schäuble oder von der Leyen, sondern für ihn entschieden haben: Mit seinem dem Parteienstreit enthobenen Politikstil erschien Wulff, der Niedersachsen-Präsident, die beste Wahl für die Nachfolge Köhlers.

Jedenfalls bis SPD und Grüne Joachim Gauck nominierten, den ehemaligen Leiter der Stasi-Akten-Behörde.

Seither wirkt die Methode Wulff nicht mehr so richtig anziehend, und Christian Wulff nicht mehr so kontrolliert. Gemessen an der Vita des einstigen DDR-Bürgerrechtlers und wortgewaltigen Freiheitspredigers Gauck schrumpft Wulffs respektable Lebensleistung in der öffentlichen Wahrnehmung zur kleinkarierten Parteikarriere. In den Kommentarspalten seiner Lieblingszeitungen muss Wulff nun flammende Plädoyers für Gauck lesen – Bekenntnisse, die eine große Sehnsucht nach Sinnstiftung und Überbau erkennen lassen, vor allem im sogenannten bürgerlichen Lager. Das schmerzt.

Auf dem Hof der Wurstfabrik in Ronnenberg bei Hannover, der ersten Station von Wulffs Abschiedstour, wartet Ömer Kurnaz. Der 45-jährige Deutschtürke, bekennender CDU-Wähler, hält eine Klarsichthülle in den Händen, darin ein eng beschriebenes Blatt Papier. Neun Fragen an den Präsidentschaftskandidaten hat sich Produktionsleiter Kurnaz notiert, und fast alle wird er stellen, sobald Wulff seinen Verpflichtungen als Landesvater nachgekommen ist. Die bestehen zunächst darin, einem guten Dutzend Fleischereifachverkäuferinnen zur bestandenen Abschlussprüfung zu gratulieren. Dann lobt Wulff die „Hingabe“ der gesamten Belegschaft für das Wurst- und Fleischgeschäft und erkundigt sich bei der Firmenchefin, ob weitere Filialen geplant seien, vielleicht sogar in Berlin?

„Berlin steht nicht auf unserem Expansionsplan“, sagt die Unternehmerin. Wulff gibt zurück: „Vor drei Wochen hab’ ich das auch noch geglaubt!“ Gelächter auf dem Firmenhof, in Wulffs Gesicht leuchtet das Lächeln. Fast könnte man meinen, er nehme es leicht.

Jetzt aber ist Ömer Kurnaz an der Reihe. Ob Wulff keine Bedenken habe, dass ihn die Wahlleute von der ostdeutschen FDP in der Bundesversammlung am kommenden Mittwoch im Stich lassen, will er wissen.

Wulff wiegelt ab. „Abweichler hat es immer gegeben“, sagt er.

Was wäre, wenn er auch den zweiten Wahlgang verlöre?

„Wenn man Niederlagen erlebt hat, dann sieht man so etwas gelassener.“

Und Wulff hat Niederlagen erlebt. Drei Mal musste er antreten, bevor er Regierungschef in Hannover werden konnte. Aber Kurnaz ist noch nicht fertig.

Würde Wulff Gauck wählen, wenn er nicht selbst Kandidat wäre?

Christian Wulff lächelt immer noch, aber es kostet ihn nun einige Anstrengung.

„Wenn die SPD Gauck 1999 aufgestellt hätte, dann hätte auch ich ihn gewählt. Jetzt wähle ich mich selbst aus Überzeugung.“

Gauck, immer wieder Gauck. Dass sich die Popularität des Kandidaten von SPD und Grünen zu einem guten Teil auch aus Parteienverdrossenheit und -verachtung speist, dass irreale Hoffnungen und Wünsche auf den 71-jährigen Konkurrenten projiziert werden, die dieser zu erfüllen wahrscheinlich nicht in der Lage wäre – das alles ist für Wulff nur ein schwacher Trost. Wenn nicht alles trügt, empfindet er den „Hype um Gauck“, wie es ein Vertrauter formuliert, als Herabwürdigung seiner Person. „Dass ihm im Vergleich zu Gauck das Faszinosum fehlt, der große Gedanke, das kränkt ihn“, sagt ein Weggefährte.

Es gut machen zu wollen, seiner Verantwortung gerecht zu werden – die ihn mögen, sehen darin einen der wesentlichen Beweggründe für den Politiker Christian Wulff. Als Jugendlicher musste er die erkrankte Mutter pflegen und sich um die Schwester kümmern. Das prägt.

„Wenn Sie schon immer mal wissen wollten, wie ein Visionär aussieht, da steht einer“, sagt der Moderator in Dörverden, einem Ort in der Lüneburger Heide, wo Christian Wulff ein Wolfsgehege besucht. Wulff steht nur ein paar Meter entfernt, aber er ist nicht gemeint. Das Lob gilt dem Gründer des Geheges, Frank Fass. Der hat seinen gut bezahlten Ingenieursjob in der Luft- und Raumfahrttechnik aufgegeben, um sich den Traum von einem eigenen „Wolf- Center“ zu erfüllen. Wulff will sein Amt als Ministerpräsident erst zurückgeben, wenn klar ist, dass er als Bundespräsident gewählt ist. Aber darum geht es gerade jetzt nicht.

Wulff ist in Dörverden, um eine Ausstellung über Wölfe zu eröffnen und um Wolfswelpen zu streicheln. Er hat Gauck im Moment wenig mehr entgegenzusetzen als schöne Fernsehbilder und das Vertrauen darauf, dass die schwarz-gelbe Koalition in der Bundesversammlung ihre Mehrheit schon deshalb zusammenbringt, damit der 30. Juni für sie nicht zum Anfang vom Ende wird.

Es gibt da aber noch eine Geschichte, die ihm jetzt nützlich sein kann, um das Bild vom machtbewussten Karrieristen zu zerstreuen, das seine Kandidatur überschattet. Es ist die Geschichte vom guten Wulff, den es nicht um jeden Preis an die Macht drängt. Er hat sie vor zwei Jahren schon einmal dem „Stern“ erzählt: Er sei kein „Alphatier“, sagte er damals, mithin als Bundeskanzler ungeeignet.

Viele haben ihm damals nicht geglaubt und tun dies bis heute nicht. Herlinde Koelbl schon. Die Münchner Fotografin, die für ihren berühmten Bildband „Spuren der Macht“ über Jahre hinweg Spitzenpolitiker wie Gerhard Schröder, Joschka Fischer und Angela Merkel porträtierte, hat Wulff bereits vor Jahren attestiert, ihm fehle der unbedingte Wille zur Macht. Vielleicht erklärt dies auch die Glätte in Wulffs Gesicht, die seltsame Zeitlosigkeit seiner Erscheinung. „An Christian Wulff hat die Macht nicht so viele Spuren hinterlassen, weil er nicht total darauf ausgerichtet war, an die Spitze zu kommen. Er hatte nie den unbedingten Willen eines Joschka Fischer oder Gerhard Schröder, den man braucht, um dem Ziel alles andere unterzuordnen“, sagt Herlinde Koelbl am Telefon in ihrem Münchner Atelier.

Im Wolfsgehege in Dörverden strahlt das Gesicht von Christian Wulff wie sonst nie auf dieser Reise. Frank Fass, der Wolfsexperte, hat es ihm gerade vor Kameras und Mikrofonen bescheinigt: um einen guten Leitwolf abzugeben, müsse man kein Alphatier sein. „Der Leitwolf strahlt Souveränität aus und steuert die Dinge im Hintergrund“, sagt Fass. Wulff ist begeistert. Hat er es nicht immer gesagt? Ein gutes Dutzendmal wird er die Geschichte vom Leitwolf, der kein Alphatier sein muss, noch wiederholen auf seiner letzten Fahrt durch Niedersachsen als Ministerpräsident. Aber das Strahlen in seinem Gesicht ist dennoch nicht von Dauer.

Am zweiten Tag der Reise erreichen unangenehme Nachrichten den Bus. Die Freien Wähler aus Bayern wollen in der Bundesversammlung für Gauck stimmen. Und eine Zeitung berichtet, es gebe verfassungsrechtliche Bedenken gegen seinen Plan, das Ministerpräsidentenamt nicht vor der Zusammenkunft der Bundesversammlung abzugeben. Darauf angesprochen, reagiert Wulff unwirsch, wird sogar laut. Mit was für einem Mist er sich befassen muss! Hat nicht auch Johannes Rau bei seiner ersten Kandidatur das Ministerpräsidentenamt behalten? Wulff will das alles jetzt nicht mehr hören. Die Grenzen seiner Selbstbeherrschung – in diesem Moment sind sie erreicht. Er lässt den Bus anhalten, steigt in seinen Dienstwagen um.

Später am Tag bei der Besichtigung der Offshore-Basis in Cuxhaven: Wulff lässt sich mit einer Hebebühne auf die Plattform eines 23 Meter hohen Stützkreuzes für Windräder bringen. Es ruckelt, er muss sich dabei am Geländer festhalten, aber am Schluss ist er oben.

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