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„Wie eine Reise durch eine neue politische Dimension.“ Luc Jochimsen, Linken-Kandidatin für das Bundespräsidentenamt, am vergangenen Freitag in Gotha.Foto: Martin Schutt/dpa

© dpa

Bundespräsidentenwahl: Luc Jochimsen genießt ihre Kandidatur

Die Linken-Kandidatin Luc Jochimsen wird nicht Bundespräsidentin. Ihre Kandidatur genießt sie dennoch.

Von Matthias Meisner

An Selbstbewusstsein fehlt es Lukrezia „Luc“ Jochimsen nicht. Es sei ja nicht das erste Mal, dass Frauen als Kandidatinnen für das Bundespräsidentenamt nominiert worden seien, ohne eine wirkliche Chance zu haben, auch gewählt zu werden, sagt die Linken-Kandidatin. Sie zählt auf: Hildegard Hamm-Brücher, Uta Ranke-Heinemann, Dagmar Schipanski, zuletzt Gesine Schwan. „Eine Kette von potenten und interessanten Frauen. In diese Kette gehöre auch ich. Chancenlosigkeit – das hat mich noch nie abgeschreckt.“

Jochimsen ist nach Gotha gereist, eine der letzten Stationen auf ihrer dreiwöchigen Werbetour vor der Bundesversammlung an diesem Mittwoch. Mindestens diesen einen Tag in Thüringen lang will die 74-Jährige sich schon wie ein Staatsoberhaupt fühlen. „Diese Veranstaltung wäre so etwas, was ich gerne auch als Bundespräsidentin machen würde“, sagte die Linken-Politikerin, Kandidatin ihrer Partei für das Amt, am vergangenen Freitag. Ihre Bundestagsfraktion hat in das frühbarocke Schloss Friedenstein eingeladen. Das Motto der maßgeblich von Jochimsen organisierten Veranstaltung lautet: „Der Geist von Gotha – Fantasien für den Frieden“. Jochimsen erklärt: „Diesen Titel hat uns Margot Käßmann eigentlich geschenkt.“ Und es hört sich so an, als wolle sie das inhaltliche Erbe der zurückgetretenen evangelischen Ratsvorsitzenden antreten, die den Afghanistankrieg wortgewaltig angeprangert hatte.

Die Diskussion in Gotha um das Verhältnis von Frieden, Macht und Freiheit ist schon seit Monaten geplant. Doch nun freuen sich die Genossen über einen „Glücksfall“, denn kurz vor der Bundesversammlung könnte es für die Linken-Kandidatin kaum eine bessere Inszenierung geben. „Friede Ernehret – Unfriede Verzehret“ steht über dem Schlossportal, schon der Ort also scheint gut gewählt. Was müssen die Religionen leisten, was die Medien vermitteln, was die Künste aufzeigen, was bedeutet das für die Politik? Der Fernsehmoderator Michel Friedman ist gekommen, der Generalsekretär des Zentralrats der Muslime, Kirchenleute, auch Hannes Heer, einer der Macher der ersten Ausstellung über die Verbrechen der Wehrmacht. Sie alle sind nicht immer einer Meinung mit Jochimsen, aber zeigen doch Respekt vor der Journalistin, die sich auf ihre alten Tage der PDS angeschlossen hatte. „Das Thema Frieden ist mein Lebensthema“, verkündet Jochimsen. Sie fordert ein Fach Friedenserziehung an den Schulen. Vor allem aber gibt sie ein Gefühl dafür, wie sie sich eine Bundespräsidentin vorstellt – die Unterschiede zur Moderatorin einer TV-Talkshow sind nicht allzu groß.

Doch selbst wenn das Bundespräsidialamt vor ein paar Tagen bei der Linken angerufen hat und der guten Ordnung halber das Procedere für den Fall einer Wahl von Jochimsen zur Bundespräsidentin erläuterte: Ernsthaft kann sie schon froh sein, wenn alle Wahlmänner und -frauen der Linken sie unterstützen. Für Jochimsen ist diese Aussichtslosigkeit nach eigener Darstellung kein Problem. Nur kurz hat sie gezögert, nachdem die Linken-Vorsitzende Gesine Lötzsch ihr die Kandidatur angetragen hat, ihr Ehemann, der Filmemacher Lucas Maria Böhmer, war auch begeistert. Die frühere Fernsehjournalistin, die als ARD-Korrespondentin in London arbeitete und zuletzt Chefredakteurin des Hessischen Rundfunks war, steht nun noch einmal kurz im Rampenlicht wie nicht mehr seit 2005, als sie auf der thüringischen Landesliste erstmals für die Linke in den Bundestag gewählt wurde. Damals erregte der Einzug der kosmopolitischen Intellektuellen – Wohnsitze: Hamburg, Berlin, Veneto – ins Parlament Aufsehen, als Kulturpolitikerin der Fraktion machte sie dann keine Schlagzeilen. Jetzt aber schwärmt sie über das Erlebnis Präsidentschaftskandidatur: „Es ist wie eine Reise durch eine neue politische Dimension.“

Schirmherrin für die Schwachen, Kämpferin für den Frieden – was sie selbst sein will, spricht sie ihren Gegenkandidaten Christian Wulff und Joachim Gauck ab. Vor allem bei Gauck vermisst sie „irgendein versöhnliches Wort“. Und mag sich nicht vorstellen, dass in einem möglichen dritten Wahlgang mehr als ein, zwei Leute aus den Reihen der Linken für den rot-grünen Kandidaten stimmen. „Die Linke darf sich nicht zur Nutte der Politik machen.“ Für eine rot-rot-grüne Annäherung sei auch sie zu haben, aber im Fall Bundespräsident habe die SPD die Chance verpasst, einen Kandidaten zu benennen, mit dem auch die Linke hätte leben können – der Bürgerrechtler Friedrich Schorlemmer etwa „wäre ja hervorragend gewesen“.

Für die Präsidentenwahl 2009 hatte die Linke den früheren „Tatort“-Kommissar Peter Sodann aufgestellt. Er fiel auf mit bizarren Äußerungen – bekundete etwa, dass er mal gern Josef Ackermann von der Deutschen Bank verhaften würde. Jochimsen will über ihren Vorgänger nicht richten: „Er ist eben ein so großartiger Schauspieler, hat mal was ganz Ungewöhnliches ins Tagesgeschäft eingefügt.“ Sie selbst hat als Präsidentschaftskandidatin nichts Skandalträchtiges von sich gegeben. Einmal in Gotha zückt Jochimsens Pressesprecher Hanno Harnisch den Kugelschreiber, um eine Antwort von ihr zu protokollieren – ein Journalist will wissen, was sie von den vielen Deutschlandflaggen in den WM-Wochen halte. „Mich befremdet das nach wie vor“, sagt die Kandidatin, und nennt ihr persönliches Verhältnis zu Flaggen „distanziert“. Aber sie muss ja auch nicht ins Schloss Bellevue einziehen.

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