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Wechselt die Farbe? Vorerst nicht. Der Bundesrat bleibt auch nach der Baden-Württemberg-Wahl eine Kammer ohne Mehrheit.

©  Thilo Rückeis

Bundesrat: Die Kummerkammer

Der Wechsel in Stuttgart macht den Bundesrat bunter, die Machtverhältnisse haben sich aber kaum verändert. Es bleibt eine Kammer ohne Mehrheit. Für die Bundesregierung wird der Umgang mit den Ländern nicht einfacher.

Den 27. Mai hat sich Winfried Kretschmann im Kalender wohl schon angekreuzt: Es ist der Tag seiner ersten Bundesratssitzung, falls er Ministerpräsident von Baden-Württemberg wird. Wenn er sich dann in die erste Reihe der baden- württembergischen Bank setzt, wird er der erste Landesregierungschef seit 52 Jahren sein, der nicht der Union oder der SPD angehört. Der letzte von der „dritten Art“ war Heinrich Hellwege von der Deutschen Partei, einer CDU-Trabantin. Zwischen 1955 und 1959 regierte er in Niedersachsen. Davor gab es 1952/53 noch Reinhold Maier von der DVP/FDP, der erste baden-württembergische Ministerpräsident. Kretschmann wäre also der dritte seiner Art.

Mit dem Wechsel zu Grün-Rot in Stuttgart kommt eine weitere Farbvariante in den Bundesrat, neben Rot pur (Hamburg), Rot-Rot (Berlin und Brandenburg), Rot-Grün (NRW, Bremen, künftig wohl Rheinland-Pfalz), Rot-Schwarz (Mecklenburg-Vorpommern), Schwarz-Rot (Thüringen und weiterhin wohl Sachsen-Anhalt), Schwarz-Gelb-Grün (Saarland) und Schwarz-Gelb (Bayern, Hessen, Niedersachsen, Sachsen, Schleswig-Holstein). Um es zu vereinfachen: Mit der neuen Regierung in Stuttgart wächst das bundespolitische Oppositionslager um die sechs Stimmen von Baden-Württemberg auf 30, das Lager, das Angela Merkels Regierung stützt, schrumpft auf 25 Stimmen. Dazwischen stehen weiter die „neutralen“ Länder mit Regierungen über die Lagergrenzen hinweg, die sich in der Regel enthalten. Zusammen haben sie 14 Stimmen. Oder noch einfacher: Der letzte Wahlsonntag hat trotz seines leicht revolutionären Ergebnisses die Machtverhältnisse im Bundesrat letztlich kaum verändert. Er bleibt eine Kammer ohne Mehrheit (die bei 35 Stimmen liegt). Daran ändert auch nichts, dass Jürgen Trittin eine „solidere andere Mehrheit“ erkannt haben will.

Er hat vielleicht ein wenig in die Zukunft geträumt. Eine echte Mehrheit der Opposition ist frühestens im kommenden Jahr nach den vorgezogenen Wahlen in Schleswig-Holstein möglich, falls dort die schwarz-gelbe einer rot-grünen Koalition Platz macht. Zuvor müsste allerdings Mecklenburg-Vorpommern aus dem neutralen Lager fallen, indem es dort im September zu Rot-Rot kommt. Dann könnten SPD, Grüne und Linke über 37 Länderstimmen gebieten. Kippt im Bundestagswahljahr 2013 die schwarz-gelbe Koalition in Niedersachsen, wäre das zweifellos ein Wechselsignal für den Bundestag. Und dann, aber erst dann, wäre die Situation mit der von 2005 vergleichbar, als die SPD ihr Stammland Nordrhein-Westfalen verlor. Gerhard Schröders rot-grüne Regierung hatte danach kein einziges Land im Bundesrat mehr. Merkel hätte bis zum möglichen Schluss noch ein kleines Fähnlein hinter sich. Immerhin: Käme es in Berlin im Herbst zu Rot-Grün (oder Grün- Rot), könnte im glücklichsten Fall eine rot-grüne Bundesregierung im Herbst 2013 eine knappe eigene Ländermehrheit besitzen.

Die Merkel-Regierung kann die sogenannten Einspruchsgesetze weiterhin problemlos durch den Bundesrat bringen, zurzeit fehlt ja dort die Mehrheit für Einsprüche, und käme die im kommenden Jahr, könnten die Bundesratseinsprüche im Bundestag mit einfacher Mehrheit überstimmt werden. Bei den Gesetzen, die eine Zustimmung der Länder brauchen, hat Stuttgart die Situation auch nicht wesentlich verändert. Hier müssen Merkel & Co. verhandeln – oder einige Länderfürsten nehmen die Sache selbst in die Hand, wie zuletzt Kurt Beck und Horst Seehofer bei der Hartz-IV-Reform. Kretschmann dürfte von seinem Föderalismusverständnis her zu denen gehören, die sich in Berlin die landesfürstliche Rüstung überstreifen und auf mehr Länderautonomie pochen. Und im Bundesrat nach der klassischen Devise „erst das Land, dann die Partei“ für eigene Aktionen gut sind. Zumal die uneindeutigen Mehrheitsverhältnisse den Ministerpräsidenten ohnehin mehr Einfluss im Verhältnis zur Bundesseite bescheren.

Zunächst aber muss Kretschmann entscheiden, ob er koordiniert werden will oder selber koordiniert. Denn üblicherweise geht es im Bundesrat schon ziemlich stark nach Parteifarben. Die „A-Seite“ (Länder mit SPD-Ministerpräsidenten) hockt vor den Sitzungen zusammen, die „B-Seite“ (geführt von der Union) tut das auch. Wo aber sitzt Kretschmann? Bei den Grünen wird jetzt eine „G-Runde“ erwogen, irgendwo zwischen A und B. Angesichts der Koalitionsvielfalt in den Ländern ist die Koordinierung und sind die Absprachen mittlerweile aber weitaus vielfältiger als in früheren Jahrzehnten.

Eines hat die Wahl in Stuttgart sicher gebracht: Die Koordinierung der B-Länder, seit Jahrzehnten in der Hand Baden-Württembergs und immer tapfer verteidigt, muss nun ein anderes Land übernehmen. Den Bayern wird die CDU die nicht ganz unbedeutende Aufgabe kaum überlassen. Wie es heißt, sind Hessen und Niedersachsen schon ganz scharf darauf.

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