zum Hauptinhalt
Südschiene: Markus Söder und Winfried Kretschmann am Freitag im Bundesrat.

©  Kay Nietfeld/dpa

Bundesrat: Digitalpakt ja, Grundgesetzänderung nein

Die Ministerpräsidenten der Länder rüsten sich für den Verfassungskonflikt mit dem Bund im Vermittlungsausschuss. Einer redet allen ins Gewissen.

Markus Söder muss lange warten. Zehn Kollegen dürfen vor ihm reden. Im Bundesrat gilt das Prinzip der Anciennität, des Dienstalters, wenn es um die Reihenfolge geht. Der bayerische Ministerpräsident ist erst seit Mitte März im Amt. Hinter ihm kommt nur noch der Hamburger Bürgermeister Peter Tschentscher. Erst hieß es, Söder wolle da lieber gar nicht reden. Aber darf Bayerns Stimme fehlen, wenn es in der Länderkammer ums Eigentliche geht, den Bundesstaat, die föderale Ordnung? Wenn alle 16 Länder den Vermittlungsausschuss anrufen, weil ihnen die Grundgesetzänderungen, welche der Bundestag mit dem Digitalpakt für die Schulen verbindet, nicht gefallen?

Also redet Söder spät, aber ausführlich. Doch er lobt die Reden der zehn Kollegen, denen er anderthalb Stunden zugehört hat: Substanziell, stark, grundlegend sei die Diskussion gewesen. Da trifft er in der Tat den Punkt: Die Debatte zum Tagesordnungspunkt 41, „Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes“, ist ein Highlight in der jüngeren Geschichte des Bundesrats.

Kein Wunder: Die Ministerpräsidenten sehen sich durch die Zusätze, die der Bundestag im Gesetzgebungsverfahren dem ursprünglichen Regierungsentwurf einfügte, herausgefordert. „Der föderale Kern ist getroffen“, sagt Söder. „Ein vergiftetes Geschenk der schlimmsten Art und Weise“ – das kommt von Thüringens linkem Ministerpräsidenten Bodo Ramelow. Stephan Weil, der sozialdemokratische Landeschef in Niedersachsen, spricht von einem „unverhohlenen Eingriff in die Haushaltshoheit der Länder“. Der baden-württembergische Regierungschef Winfried Kretschmann (Grüne) gibt die Parole aus: „Wir lassen uns nicht der Fachaufsicht des Bundes unterstellen.“

Zwei Gründe für Missfallen

Es ist zweierlei, was den Ländern missfällt und weswegen sie die Verzögerung des Digitalpakts für die Schulen riskieren, der ihnen in den kommenden Jahren 5,5 Milliarden Euro aus dem Bundesetat bescheren würde. Zum einen will der Bundestag, dass ab 2020 Finanzhilfen des Bundes mindestens zur Hälfte von den Ländern kofinanziert werden. Das soll im neuen Artikel 104b des Grundgesetzes stehen.

Bisher werden in Bundesprogrammen die Länderanteile vertraglich vereinbart. Beim Digitalpakt sind es zehn Prozent, es können aber auch mal 50 Prozent sein. Käme die feste Regel ins Grundgesetz, wäre das eine Festlegung auf Dauer – keiner der Regierungschefs kann dem zustimmen, weil es die Haushaltsgesetzgeber, also die Landtage, in einer Weise binden würde, die ohne Beispiel ist. Hier werden die Ministerpräsidenten im Vermittlungsverfahren denn auch 16 zu null ihre Position zu halten versuchen.

Beim zweiten Ärgernis ist das nicht ganz so sicher. Denn die Ausweitung des Artikels 104c, die auf Betreiben von FDP und Grünen im Bundestag zustande kam, weil ihre Stimmen zur Zweidrittelmehrheit nötig waren, bewertet man im Länderkreis mit unterschiedlicher Dramatik.

Statt allgemein „gesamtstaatlich bedeutsame“ Investitionen in die „kommunale Bildungsinfrastruktur“ (= Schulen) unterstützen zu können, wie es der Regierungsentwurf vorsah, soll der Bund nun Finanzhilfen ausdrücklich „zur Sicherstellung der Qualität und Leistungsfähigkeit des Bildungswesens“ auflegen dürfen. Und es sollen nicht nur Investitionen in Infrastruktur möglich sein, sondern auch für „mit diesen verbundene besondere unmittelbare Kosten der Länder und Gemeinden“.

Fünf Länder mit Macht

Was Nicht-Juristen kaum verstehen, bedeutet zumindest nach Ansicht mehrerer Länder einen tiefen Eingriff in ihre Bildungshoheit. Tatsächlich sind diese Ergänzungen dazu gedacht, Personal finanzieren zu können (das ist ein Anliegen der Grünen im Bundestag) und die Bildungsstandards mitbestimmen zu können (dahinter steht die FDP). Nordrhein-Westfalen, Bayern, Baden-Württemberg, Hessen und Sachsen wollen das verhindern. Die fünf Länder haben in der Länderkammer gut ein Drittel der Stimmen und damit die Sperrminorität bei Verfassungsänderungen. Dahinter stehen aber auch 52 Millionen Einwohner, also zwei Drittel der Gesamtbevölkerung. Das ist ein zusätzliches Pfund.

Der Niedersachse Weil hat beim Neuformulieren des "104c" weniger Probleme, er hält Bund-Länder-Kooperation – wie viele Sozialdemokraten – für eine famose Sache und den Kern des Föderalismus. Kretschmann oder auch NRW-Ministerpräsident Armin Laschet dagegen halten es mehr mit klarerer Aufgabentrennung und wollen nicht, dass am Ende die Länder dem Bund „hierarchisch nachgeordnet“ sind, wie Söder sagt. Denn der Bund bedingt sich mit der Grundgesetzänderung auch umfangreiche Kontrollrechte und Berichtspflichten aus. Damit aber wird die Sache aus Sicht vieler Ministerpräsidenten zu bürokratisch.

Bouffier erinnert an die Anfänge

Dienstältester im Kreis der Länderchefs ist Volker Bouffier. Der alte Kämpe aus Hessen steckt seine ganze Erfahrung in eine Rede, die ein Weckruf sein soll. Er fürchtet, dass die Verquickung von Digitalpakt und Grundgesetzänderung, die fast alle Ministerpräsidenten nicht für geboten halten, in der Öffentlichkeit zu Unruhe führt, wenn es jetzt nicht schnell geht. Der Bund will den Zeitdruck für seine Ziele nutzen. „Aber es geht hier nicht um Kleinigkeiten“, betont der CDU-Mann, der in Wiesbaden mit den Grünen regiert. Hier solle einmal mehr die „Grundstruktur“ der Verfassung verschoben werden – hin zu mehr Macht des Bundes.

Bouffier zitiert dagegen den Artikel 30 des Grundgesetzes. Eine Norm aus dem vorderen Teil der Verfassung, der noch nicht verhunzt ist durch die vielen Änderungen der vergangenen Jahre: „Die Ausübung der staatlichen Befugnisse und die Erfüllung der staatlichen Aufgaben ist Sache der Länder, soweit dieses Grundgesetz keine andere Regelung trifft oder zulässt“. So hat es mal begonnen. Die Verfassungsrealität ist mittlerweile eine andere.

Aber soll die über die Jahre gewachsene Übermacht des Bundes immer noch stärker werden? Bouffier rechnet vor, dass die Mittel, die der Bund im Digitalpakt für sein Land bereitstellt, ungefähr einem Prozent der Bildungsausgaben Hessens entsprechen. In anderen Ländern ist es ähnlich. „Für ein Prozent machen wir so einen Zirkus?“, fragt Bouffier mit Blick auf die Verfassungsänderungen, die nun den Vermittlungsausschuss beschäftigen, den die Länder anrufen. Er warnt alle Beteiligten, Bund wie Länder: „Wir sind auf einem schlechten Weg, alles falsch zu machen.“

Ein Vorschlag zur Güte

Um nicht noch einen Blockadevorwurf aufkommen zu lassen, stimmt der Bundesrat für das Gute-Kita-Gesetz von Bundesfamilienministerin Franziska Giffey - trotz erheblicher Bedenken. Das Merkwürdige daran ist, dass das Kita-Programm, nichts anderes als eine Finanzhilfe, ganz ohne Grundgesetzänderung möglich ist. Warum aber soll es der Digitalpakt dann nicht sein?

Daniel Günther, Ministerpräsident von Schleswig-Holstein und derzeit Bundesratspräsident, schlägt daher einen Weg vor, aus dem Verfassungskonflikt herauszukommen: die Trennung der Verfahren für den Digitalpakt und die Grundgesetzänderungen. Mehrere Kollegen stimmen da zu. Dann kann man das eine, das viel diskutierte Schulprogramm, ganz schnell haben, weil es längst ausverhandelt ist. Und das andere, die Verfassungsänderung, kann man in Ruhe besprechen – weil Bundestag und Bundesrat ohnehin mal wieder klären müssen, wie sie ihr Verhältnis eigentlich gestalten wollen.

Söder jedenfalls ist der Meinung, das Grundgesetz werde mittlerweile „zu oft und zu schnell geändert“. Bouffier und Kretschmann, auch er ein Veteran der föderalen Kämpfe, können sich jedenfalls noch erinnern, dass die vom Bund gewünschten Ergänzungen des Jahres 2018 im Grundsatz nichts anderes sind als die Streichungen bei der Verfassungsreform 2006.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false