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Bundesregierung: Jung geht – Merkel bildet Kabinett um

Minister zieht Konsequenz aus dem Fall Kundus. Leyen wirdfür Arbeit und Soziales verantwortlich. CDU-Abgeordnete Köhler aus Hessen. übernimmt Familienministerium.

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Berlin - Knapp drei Monate nach der umstrittenen Anordnung eines Luftschlags in Afghanistan ist der frühere Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) aufgrund von schweren Informationspannen als Arbeitsminister zurückgetreten. Damit muss Bundeskanzlerin Angela Merkel ihr neues Kabinett schon vier Wochen nach der Bundestagswahl zum ersten Mal umbilden. Jungs Nachfolgerin im Arbeits- und Sozialministerium werde die bisherige Familienministerin Ursula von der Leyen (CDU), teilte die Kanzlerin am Freitag mit. Neue Familienministerin soll die erst 32-jährige hessische CDU-Abgeordnete Kristina Köhler werden. Der Amtswechsel ist bereits für Montag vorgesehen. Als ausgebildete Soziologin werde Köhler sehr gute Arbeit leisten, sagte Merkel. Ihren zurückgetretenen Arbeitsminister lobte sie als „geradlinigen Kollegen“ und „feinen Menschen“.

In seiner Rücktrittserklärung wies Jung alle Vorwürfe zurück, Öffentlichkeit und Parlament getäuscht zu haben. Er sei selber Opfer der internen Informationspolitik seines früheren Hauses geworden, betonte der 60-Jährige. Die politische Verantwortung übernehme er, um Schaden von Bundesregierung und Bundeswehr abzuwehren. Noch am Donnerstag hatte Jung einen Rücktritt abgelehnt. Die Opposition blieb bei ihrer Kritik und der Forderung nach einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss. Mit Jungs „folgerichtigem“ Abgang sei noch keine der offenen Fragen im Zusammenhang mit dem Luftangriff geklärt, sagte SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier.

Der Druck auf Jung hatte zugenommen, nachdem er am Vortag im Bundestag einräumen musste, einen Feldjäger-Bericht ungelesen an die Nato weitergeleitet zu haben. Darin hatte es klare Hinweise darauf gegeben, dass bei dem von der Bundeswehr angeforderten Bombardement zweier gekaperter Tanklastzüge am 4. September auch Zivilisten getötet worden waren. Jung hatte noch Tage danach zivile Opfer als unwahrscheinlich bezeichnet. Nach Nato-Angaben starben bei dem Angriff bis zu 142 Menschen. Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) kündigte an, dem Parlament auch die neuen Geheimakten zugänglich zu machen. Am Donnerstag hatte er bereits Bundeswehr-Generalinspekteur Wolfgang Schneiderhan und Verteidigungs-Staatssekretär Peter Wichert von ihren Ämtern enthoben. Er habe damit auf die Tatsache reagiert, dass ihm wichtige Informationen vorenthalten wurden, die für seine politische Bewertung wichtig gewesen wären. „Das hat die Vertrauensbasis erheblich beschädigt.“

Die SPD wertete den Minister-Rücktritt nach nur 30 Tagen als Beleg für eine Regierungskrise. Merkel habe einen schon als Verteidigungsminister überforderten Jung einfach „weiterwurschteln lassen“, sagte SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles. Merkel müsse sich die Frage gefallen lassen, warum in ihrem Kabinett erst auf „erheblichen Druck der Opposition und der Öffentlichkeit“ politische Verantwortung übernommen worden sei, sagte Linken-Fraktionschef Gregor Gysi. Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel sagte, die Frage sei, ob es sich um ein „Bauernopfer“ für Kanzleramt und Kanzlerin handle.

Offenbar hat das Verteidigungsministerium in den Wochen vor der Bundestagswahl massiven Druck auf Mitarbeiter des Hauses und im Bereich der Bundeswehr ausgeübt, die internen Berichte über den Hergang der Nato-Angriffe zu verschweigen. In Parlaments- und Regierungskreisen war am Freitag von der Androhung sofortiger Entlassung bis hin zu strafrechtlichen Folgen die Rede. Demnach sollen mehr als ein Dutzend Mitarbeiter von der Existenz der Berichte gewusst haben. Der erste von ihnen, der sogenannte Feldjäger-Bericht, war nur wenige Stunden nach dem Nato-Bombardement zum Einsatzführungskommando nach Potsdam und ins Ministerium gelangt. Ob Jung selbst angeordnet hat, die Mitarbeiter wegen der bevorstehenden Wahl zum Schweigen zu verpflichten, ist nicht bekannt. Klar ist allerdings, dass die CDU massive Stimmverluste hätte befürchten müssen, wenn zuvor herausgekommen wäre, dass Jung öffentlich Zivilopfer abgestritten hat, obwohl er Hinweise auf das Gegenteil hatte. Genauso offen ist bisher, ob das Kanzleramt und das Außenministerium unter Steinmeier davon wussten.

Jungs Rücktrittsentscheidung verdiene Achtung und Respekt, sagte CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe. Nun könne die nötige Untersuchung des Luftangriffs „in der gebotenen Sachlichkeit und ohne von der Opposition inszenierte Personaldebatten geführt werden“. Auch Außenminister Guido Westerwelle (FDP) zollte Jungs Entscheidung Respekt. Die Debatte der vergangenen Tage ändere aber nichts daran, dass der Bundeswehreinsatz in Afghanistan „zur Stärkung unserer eigenen Sicherheit nötig ist und bleibt“.

Die Grünen kritisierten die Ernennung von Kristina Köhler zur Familienministerin. Einziges Kriterium sei deren hessische Herkunft, sagte Fraktionschefin Renate Künast. „Merkel hängt am Gängelband von Roland Koch.“

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