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Bundestag: Patientenverfügung: Quälende Entscheidung

Der weitestgehende Antrag zu Patientenverfügungen fand eine Mehrheit – aber auch er wurde abgeschwächt.

Berlin - Auch wenn sich die Redner mühten, nicht in eine weltanschauliche Ecke gestellt zu werden und die Entscheidung am Ende überraschend deutlich ausfiel: Es war eine Debatte der Gegensätze. „Millionen von Menschen“, mahnte der SPD- Abgeordnete Christoph Strässer seine Kollegen gleich zu Beginn, „warten darauf, dass wir endlich zu Potte kommen.“ Bloß nicht, warnte dagegen CDU-Mann Hubert Hüppe. „Seien wir mutig. Geben wir zu, dass wir uns übernommen haben.“

Hüppes Appell war vergeblich, sein Antrag wurde überstimmt. Doch eigenartig ist es schon: Sechs Jahre lang diskutiert die Politik, ob und wie man den Unterzeichnern von Patientenverfügungen und ihren Ärzten mehr Rechtssicherheit geben kann und soll. Es werden jede Menge Bedenken geäußert, die Anträge werden bis zuletzt nachgebessert. Es gibt erbitterten Streit um das Abstimmungsverfahren. Noch in der Debatte herrscht nicht einmal Konsens darüber, ob eine gesetzliche Regelung überhaupt nötig und sinnvoll ist. Und nach eineinhalb Stunden votieren die Abgeordneten nicht etwa für einen Kompromiss, sondern mit klarer Mehrheit für den weitestgehenden Antrag.

Hoch gefährlich sei dieses Gesetz, hatte Hüppe noch gewarnt. Es könne auch dazu führen, dass man nicht mehr äußerungsfähigen Kranken ohne gerichtliche Prüfung einen mutmaßlichen und todbringenden Willen unterstelle. „Vermessen und unverantwortlich“ sei es, gab Marlies Volkmer (SPD) zurück, den Menschen jetzt immer noch Selbstbestimmung und rechtliche Sicherheit verweigern zu wollen.

Die Dimension des Problems machte, wenn auch nur quantitativ, die Linken-Abgeordnete Luc Jochimsen deutlich. Pro Jahr, so rechnete sie vor, würden in Deutschland 140 000 Magensonden gelegt. „Die Zwangsernährung Sterbender wird zum medizinischen Standard.“ Dies aber stehe „in scharfem Kontrast zu dem, was die Menschen wollen“.

Angst hätten viele, betonte auch Wolfgang Zöller (CSU). Angst, künstlich am Leben gehalten, „zum Objekt hochtechnisierter Medizin zu werden“. Im Schildern des Problems waren sich die Unterzeichner der drei Gesetzesanträge einig. Medizinischer Fortschritt könne nicht nur Geschenk, sondern auch Qual bedeuten. Es drohten Fremdbestimmung, Zwangsbehandlung. Und die Menschen hätten ein Anrecht auf das Wissen, ob Verfügungen über ihr Lebensende, die sie bei klarem Bewusstsein getroffen haben, rechtlich bindend sind.

Also ein Gesetz, das Klarheit schafft. Doch das ist, wie die Redner in unterschiedlicher Deutlichkeit betonten, auch Risiko. Selbst die Befürworter des letztlich siegreichen Antrags um den SPD-Experten Joachim Stünker zogen auf die Schnelle noch eine Formulierung ein, die vor Automatismus warnt, auf Abklärung mit Betreuern und Angehörigen am Krankenbett pocht und ärztliche Beratung vor der Abfassung der Verfügung empfiehlt. Das dürfte manchen Unentschiedenen dann zur Zustimmung bewogen haben. In die Debatte gegangen war der Antrag mit 280 Stimmen. Am Ende waren 317 dafür.

Außerdem gab es am Ende nur die Alternative: gar kein Gesetz oder ein weitreichendes. Zwei Anträge, die strengere Begrenzungen vorsahen, waren vorher abgelehnt worden – darunter auch der einer fraktionsübergreifenden Gruppe um Wolfgang Bosbach (CDU). Sie hatte darauf gedrängt, die Geltung von Patientenverfügungen auf zwingend todbringende Erkrankungen zu beschränken. In exakt dieser Frage offenbarte sich am Donnerstag der größte Gegensatz unter den Gesetzesbefürwortern. Schwere Krankheiten könnten auch feststehende und per Verfügungen vorgegebene Sichtweisen verändern, betonte Röspel. Und was, wenn sich der Kranke dann nicht mehr äußern kann? „Wir wollen keine Zwei-Klassen-Selbstbestimmung“, entgegnete SPD-Mann Strässer. Dies sah dann auch die Mehrheit so.

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