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Blick auf die Bundestagsgebäude.

© dpa

Bundestag: Strafgelder der Parteien: Terroropfer statt Heimatvereine

Strafgelder der Parteien wurden bislang nach etwas eigenwilligen Kriterien durch das Präsidium des Bundestags vergeben. Das soll sich nun ändern. Die Hälfte der Mittel soll jetzt an Einrichtungen gegen rechte Gewalt gehen.

Von Matthias Meisner

Viel gemein haben sie auf den ersten Blick nicht: Da ist das Bistum im tschechischen Litomerice am Rande des Böhmischen Mittelgebirges. Der Verein Solwodi, der sich Frauen annimmt, die Opfer von Menschenhändlern und Sextouristen geworden sind. Und die Gesellschaft Bochum-Donezk, die sich um die Freundschaft mit dem Zentrum des ukrainischen Kohlereviers bemüht. Verbindendes Element dieser Einrichtungen: Sie gehörten zu 21 Begünstigten, die im vergangenen Jahr fünfstellige Summen aus einem Fördertopf des Bundestages bekommen haben – Geld, das zuvor als Strafzahlung eingegangen war von Parteien, die falsche Rechenschaftsberichte abgegeben oder rechtswidrig Spenden eingeworben haben.
Es geht um erkleckliche Summen, mal aufs Jahr gerechnet 136 000 Euro, dann aber auch rund 1,2 Millionen. Für die Zukunft sieht es nicht schlecht aus: Die FDP hatte gegen Strafen wegen rechtswidriger Spenden ihres früheren NRW-Chefs Jürgen Möllemann geklagt, aber sie wird noch einmal rund zwei Millionen Euro zahlen müssen. Kurz zuvor hatte das Bundesverwaltungsgericht zudem entschieden, dass die rechtsextreme NPD wegen eines fehlerhaften Rechenschaftsberichts rund 1,27 Millionen Euro überweisen muss.

Linken-Politikerin Petra Pau hinterfragt das System an sich

Die Weiterleitung dieser Gelder geschieht nach Recht und Gesetz – und wirft doch Fragen auf. Zum einen entscheidet das sechsköpfige Bundestagspräsidium allein. Zum anderen regelt das Parteiengesetz, dass nur Einrichtungen gefördert werden dürfen, die „mildtätigen, kirchlichen, religiösen oder wissenschaftlichen Zwecken dienen“. Die Gemeinnützigkeit reicht nicht aus, weshalb manche gute Initiative keinen Erfolg hat. Als die Linken-Politikerin Petra Pau 2006 Vizepräsidentin des Bundestages wurde, wunderte sie sich, dass unter den geförderten Vereinen fast keiner aus Ostdeutschland war – das Förderinstrumentarium war dort bei den Projekten gar nicht bekannt. Pau hinterfragt das System an sich: „Das Geld müsste eigentlich zurück an den Steuerzahler“, sagte sie dem Tagesspiegel. Auch Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) meint, die Gelder gehörten in den Bundeshaushalt, „schließlich erhalten die Parteien einen beachtlichen Teil ihrer Finanzierung aus öffentlichen Mitteln“. Auch für die Verteilung der Bußgelder an gemeinnützige Organisationen sehe er keine Notwendigkeit, sagte Lammert dem Tagesspiegel. "Selbstverständlich nehme ich die Verpflichtungen aus dem geltenden Parteiengesetz wahr, werbe aber seit Jahren für eine andere Regelung, für die es bislang keine Zustimmung bei den Bundestagsfraktionen gibt." Lammert sieht ohnehin seine eigene Zuständigkeit für Parteistrafen mit Skepsis. "Ich habe die gesetzliche Regelung, dass der Präsident des Bundestages Strafzahlungen festlegt, immer für unpassend gehalten. Von ihm wird eine neutrale Entscheidung erwartet, aber als aktiver Politiker wird er in jedem konkreten Fall seiner eigenen oder einer konkurrierenden Partei nicht für unbefangen gehalten. Das ist eine unglückliche Konstruktion, die im wörtlichen Sinne fragwürdig ist." Aber eine fundamentale Änderung des Parteiengesetzes ist derzeit nicht absehbar.

Bei einigen gingen auffällig oft Zuwendungen an Einrichtungen, die in den eigenen Wahlkreisen liegen

Rechtfertigen müssen sich einzelne Mitglieder des Präsidiums dafür, dass auffällig oft Zuwendungen an Einrichtungen gingen, die in ihren Wahlkreisen lagen. Beim Bochumer Abgeordneten Lammert war es die Donezk-Gesellschaft. Der scheidende Bundestagsvizepräsident Hermann Otto Solms (FDP) setzte sich für seine mittelhessische Heimat ein: Fünfstellige Summen gingen in den vergangenen Jahren an Einrichtungen der Justus-von-Liebig-Universität Gießen, einen in der Stadt ansässigen Verein von Eltern herzkranker Kinder und an das dortige Evangelische Dekanat. Der „Süddeutschen Zeitung“, die über den Zuwendungskatalog berichtet hatte, erläuterte Solms, die „Spendenempfehlungen“ hätten sich auf „Empfänger gerichtet, bei denen ich, auch wegen der räumlichen Nähe, die zweckmäßige Verwendung der Spenden jederzeit überprüfen konnte“.
Die Wahl von Eduard Oswald (CSU) im März 2011 ins Parlamentspräsidium wirkte sich für seine Heimatregion Augsburg rasch günstig aus. Aus den Mitteln, die aus diesem Jahr zu verteilen waren, gingen je 15 000 Euro an die Katholische Jugendfürsorge der Diözese sowie an das nahe Kloster Oberschönenfeld – Einrichtungen, die zuvor nicht beglückt worden waren. Größter Posten desselben Jahres waren 108 330,38 Euro an die Evangelische Kirchengemeinde Prenzlauer Berg Nord. Parlamentsvizepräsident Wolfgang Thierse (SPD, katholisch, Wahlkreis Pankow) sagt, alle im Präsidium seien für diese Förderung gewesen, denn zur Gemeinde gehöre die Gethsemanekirche, einer der bedeutendsten Orte der friedlichen Revolution in der DDR. Überhaupt nur einmal habe er ein Projekt in seinem Wahlkreis zur Förderung vorgeschlagen. „Allerdings sollte es auch keine Verbote in diese Richtung geben.“

Dieses Jahr sollen Strafgelder in einer Höhe von 500 000 Euro zu verteilen sein

Zum 2012 eingenommenen Strafgeld will die Bundestagsverwaltung Ende Juli Zahlen vorlegen. Nach Tagesspiegel-Informationen sind diesmal rund 500 000 Euro zu verteilen. Einvernehmlich festgelegt wurde ein Schwerpunkt, der möglichst unangreifbar ist: Fast die Hälfte des Geldes geht an Projekte zur Beratung von Opfern des rechten NSU-Terrors. 50 000 Euro zugesagt bekommen hat das Diakonische Werk Köln für seine Beratungsstelle, die vor einigen Wochen – fast neun Jahre nach dem Nagelbombenanschlag in der Kölner Keupstraße – eröffnet wurde. Ähnliche Projekte der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland und Bayern erhalten zusammengerechnet 120 000 Euro.

Barbara John, Ombudsfrau der Bundesregierung für die Hinterbliebenen der NSU-Opfer, würde sich noch Finanzhilfe wünschen für die von ihr geforderte Stiftung zum Thema. Zum anderen möchte sie, dass den Angehörigen der NSU-Opfer Fahrgeld und Hotel bezahlt werden, wenn am 2. September der Bericht des Untersuchungsausschusses zum Nazi-Terror im Parlament diskutiert wird. Von einem Zuwendungsbescheid für diese beiden Vorhaben weiß sie allerdings bisher nichts. Aber vielleicht sind ja auch die formalen Voraussetzungen des Parteiengesetzes nicht erfüllt.

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