zum Hauptinhalt

Bundestagswahl 2013: Bayernpartei: Der kleine Löwe Nimmersatt

Sie hat nur 5000 Mitglieder, die aber sind unverdrossen. Ihr Land muss unabhängig werden, fordert die Bayernpartei, und das schon seit 67 Jahren. Ihr Wunsch wird auch bei der Landtagswahl am 15. September unerfüllt bleiben. Also träumt sie weiter: dass Deutschland einmal Ausland wird.

Von Fatina Keilani

Thomas Hummel ist noch jung, aber das sieht man ihm nicht an. Sein Gesicht ist weich und rund, er trägt Vollbart, vielleicht könnte man ihn behäbig nennen. Kein Berliner Türsteher würde ihn einlassen. Und genau so will er es haben.

Thomas Hummel möchte Bayern von Deutschland abspalten. Bayern soll ein eigenes Land werden, eine eigene Nation. Dann hätte es mehr Geld und weniger Probleme, davon ist Hummel überzeugt. Er ist seit acht Jahren dabei, mit 23 ist er eingetreten, mittlerweile ist er Vize bei der Bayernpartei.

Deren Parteizentrale besteht aus einer Dreizimmerwohnung im Münchner Stadtteil Berg am Laim, drumherum liegen Gewerbegebiete. Aldi und Lidl sind da, ein China-Restaurant, Änderungsschneider, Lotto-Laden, was man halt so braucht. Die Häuser in der Baumkirchner Straße sind so unauffällig, dass man dort Jahre leben könnte, ohne sie bewusst wahrzunehmen. Oft aus den 60ern, unten Fleischer, Apotheke oder Bäcker sowie eine Durchfahrt in den Hof, darüber drei Stockwerke, fertig.

An diesem Dienstag trägt der Himmel schönstes Weiß-Blau. Bei der Bayernpartei macht erst mal keiner auf, zehn Minuten später aber doch. Hummel wohnt im selben Haus, einen Stock höher. Eine helle Steintreppe führt viereckig um den Fahrstuhl herum, die Wand ist blassgelb verspachtelt mit eigenartiger Rillenstruktur, das Muster heißt Madenputz. Im zweiten Stock liegt die Zentrale der bayerischen Separatisten. Sie hat Laminatboden und volle Aschenbecher, die Luft riecht abgestanden und feucht.

Ah ja, der Besuch aus Berlin, sagt Thomas Hummel, der Chef sei nicht da, aber er könne auch Fragen beantworten. An der Unordnung dürfe man sich nicht stören, es sei ja Wahlkampf. Am 15. September ist Landtagswahl. Von der Bundestagswahl eine Woche später nehme man praktisch keine Kenntnis.

Hummel setzt sich an den Schreibtisch des Chefs und scheint kleiner zu werden. Er versinkt im Drehstuhl. Der Chef heißt Florian Weber, sein Büro enthält einen riesigen Flachbildschirmfernseher, einen sehr kleinen Laptop, einen extrem aufgeräumten Schreibtisch, auf dem ein Bierseidel mit dem Schriftzug Bayernpartei steht. Den Deckel krönt der Löwe, der auch ihr Wahrzeichen ist.

Berlin ist „Dreck und Verfall“

Bayern. Berliner betrachten das Land meist mit einer Mischung aus Abscheu und Bewunderung. Die Wirtschaftsdaten sind spitze, es herrscht Vollbeschäftigung. Die Schulen sind spitze, siehe die Pisa-Ergebnisse. Die Landschaft ist lieblich, die Alpen und Italien liegen vor der Haustür, das Bier ist gut. Andererseits: die Gamsbärte, der Dialekt, die Folklore. Dazu der Katholizismus. Das „Mia san mia“. Damit kann der Berliner nichts anfangen. Dieses Selbstbewusstsein! Ist dem Berliner fremd. Der spielt sich zwar auch gerne auf, aber es wirkt, als müsste er sich selbst überzeugen. Er ist doch hier der Weltstädter! Oder etwa nicht? Warum stellt sich der Bayer nie solche Identitätsfragen? So tut der Berliner eben unnahbar und trotzig: Würde sich der Bayer abspalten, soll er doch! Wir feiern auch ohne ihn, dann eben noch ärmer, trotzdem sexy, ätsch.

Umgekehrt nun wieder – was ist Berlin aus bayerischer Sicht, oder genauer: aus Sicht der Bayernpartei? „Prätentiös und beschämend“, findet Nadine Holzner vom Jungbayernbund, der Jugendorganisation der Partei, in einem Interview auf der Parteiwebseite. „Dreck und Verfall“, das sei es, was Berlin ausmache. Auf „arm, aber sexy“ ruhe sich die Stadt bloß aus, finanzieren dürften diesen Spaß aber andere, und dabei fülle Berlin seine Vorreiterrolle keinesfalls aus, stehe nur für sich selbst, interessiere sich nur für sich.

Die Unzufriedenheit, der Leidensdruck in München fehlen. Das ist ein Problem.

Solche Worte würde Hummel nicht gebrauchen, aber in der Sache ist er einverstanden. „Unser Ziel ist ein eigenständiges Bayern“, sagt er. „Bayern hat mehr Einwohner als Österreich oder die Schweiz, es sind insgesamt 20 EU-Länder kleiner als Bayern, und die schaffen es ja auch zu überleben.“

Bayern hat zwölfeinhalb Millionen Einwohner und ein Bruttoinlandsprodukt von 36 800 Euro pro Kopf, der Bundesschnitt liegt bei 32 800. Die Arbeitslosenquote lag im August 2013 bei 3,8 Prozent. Vergangenes Jahr überwies das Land fast vier Milliarden Euro für den Länderfinanzausgleich, obwohl es selbst 40 Milliarden Euro Schulden hat.

Berlin hat 61,3 Milliarden Schulden bei nur 3,4 Millionen Einwohnern. 11,5 Prozent waren im August arbeitslos, für Berlin ein sehr guter Wert. Das Bruttoinlandsprodukt liegt bei 29 400 Euro pro Kopf. Berlin bekam 3,3 Milliarden von den anderen Ländern.

„Bayern kann es auch allein“, heißt es auf den Werbeplakaten der Bayernpartei. Das müssten doch viele im Land so sehen. Insgesamt gibt Bayern 30 Milliarden Euro jährlich für die Probleme der anderen aus. Bayern allein liegt in Sachen Wirtschaftskraft an sechster Stelle der 27 EU-Staaten und hätte viel mehr Geld, wenn es das als eigener Staat nicht abgeben müsste.

Schluss mit der Zahlerei an die Hauptstadt

Die Bayernpartei hat derzeit 5000 Mitglieder. Das ist nicht gerade viel. In Umfragen zur anstehenden Wahl verschwindet sie im Posten „Sonstige“.

„Aber es geht voran“, sagt Hummel. Oder hofft er es bloß? „Das ist jetzt meine zweite Landtagswahl, und diesmal läuft es viel besser. Die Leute informieren sich mehr über uns. Wir bekommen viel Zuspruch.“ Allerdings wüssten viele, mit denen man an den Wahlkampfständen spreche, beim Thema Länderfinanzausgleich gar nicht, ob Bayern einzahle oder Geld bekomme.

Auf den Shoppingmeilen der Münchner Innenstadt, in der Kaufingerstraße und Neuhauser Straße, drängen sich am Vormittag die Menschen, als wäre es kein Werktag. In U- und S-Bahn sind die Sitzbänke mit Stoff bezogen, gepolstert und nicht abwaschbar wie in Berlin, sie sind nicht aufgeschlitzt, und die Fenster sind durchsichtig – keine Kratzer, keine Graffiti. Es liegen keine Hundehaufen in den Straßen herum. Berlin ist weit weg, hier gibt es keinen Leidensdruck.

Das ist ein Problem. Man braucht Unzufriedenheit, um die Leute in Aktion zu bringen. „Außerdem arbeiten wir alle ehrenamtlich, bis auf die Putzfrau“, sagt Hummel. Da habe man nicht immer genug Personal, um einen druckvollen Wahlkampf auf die Beine zu stellen. Beim Plakatieren haben sich die Freiwilligen jedenfalls gut geschlagen, München hängt voll, nun hat man noch die Plakate früherer Wahlkämpfe aus dem Keller geholt. Sie sehen noch aus wie neu, die Themen sind auch die gleichen – Schluss mit der Zahlerei, Schluss mit der Bevormundung durch den Staat.

Kurz waren sie mit an der Regierung - mit schwerwiegenden Folgen für das eigene Ansehen

Die Bayernpartei gibt es seit 1946, ihre besten Jahre hatte sie ab 1954, da saß sie als Teil einer Viererkoalition in der Landesregierung. Vom damaligen Wahlkampf kündet noch ein altes Plakat, das in der Behelfsküche über einem Schälchen mit Nespresso-Kapseln hängt. Das Plakat zeigt einen geraden Weg zu einer in Kommunisten-Ästhetik gehaltenen Sonne. Auf dem Weg steht sicherheitshalber „Der gerade Weg“. Links unten im Bild liegt die SPD in den züngelnden Flammen des Höllenfeuers. „Mit der SPD haben wir dann aber trotzdem koaliert“, sagt Hummel ohne jeden Unterton.

1957 war Schluss. Die kurze Regierungsbeteiligung hinterließ schwere Ansehensschäden. Die Bayernpartei hatte durchgesetzt, dass Konzessionen für Spielbanken an Privatleute vergeben wurden. Bei der Lizenzvergabe soll Geld in Taschen einiger Politiker geflossen sein. Die Bayernpartei geriet in den Ruch der Bestechlichkeit. Ein Untersuchungsausschuss wurde aber letztlich nicht fündig. Das Kabinett der Viererkoalition trat 1957 zurück, und die CSU kam aus der Opposition wieder an die Regierung, die sie seither nicht mehr verlassen hat. Die Bayernpartei verlor an Bedeutung und ist seit 1966 nicht mehr im Landtag.

Kann Bayern einfach aus Deutschland austreten?

Hatte im Grundsatzprogramm von 1949 noch etwas vom „Ausländerproblem“ gestanden, das gelöst werden müsse, so sieht sich die Bayernpartei heute als liberal mit konservativen Einsprengseln, keinesfalls als nationalistisch. Auf der Webseite heißt es, die „Herrenmenschen-Denkweise“ habe viel Leid über die Völker Europas gebracht. Die Partei will Bürgerrechte und direkte Demokratie stärken. Sie ist für ein liberales Internet, aber gegen ein kommunales Ausländerwahlrecht. Einen bayerischen Staatspräsidenten verlangt sie wie eh und je, das ist praktisch ihr Markenkern.

Einfach aus Deutschland austreten wie aus einem Verein, geht das denn überhaupt? Hummel ist Diplomjurist; ob er einen Beruf ausübt, sagt er nicht so genau. Den Großteil seiner Zeit widme er der Partei. Ja, und das Rechtliche sei natürlich die Frage. „Im Völkerrecht gibt es ja das Selbstbestimmungsrecht der Völker, und im Grundgesetz steht auch nicht, dass kein Staat austreten kann“, sagt Hummel. Aber das sei auch nicht so wichtig: „Angenommen, es gibt eine Volksabstimmung in Bayern und die große Mehrheit ist für einen Austritt – welche Bundesregierung will dann sagen: Des interessiert uns net.“ Nein, verzagt sei er nie, sagt Hummel. Denn so könne es ja nicht weitergehen. Über Bayern sollte in Bayern entschieden werden, das sei doch naheliegend, und nicht in Berlin oder gar Brüssel.

Und was ist, wenn Sie im Urlaub an die Nordsee wollen, Herr Hummel? Das wäre dann ja Ausland. „Ja genau“, sagt Thomas Hummel. „Wie Italien.“

Erschienen auf der Dritten Seite.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false