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Martin Schulz, Kanzlerkandidat der SPD.

© imago/ZUMA Press

Bundestagswahl: Kann eine staatliche Investitionspflicht funktionieren?

Der SPD-Kanzlerkandidat, Martin Schulz, will Überschüsse aus dem Bundeshaushalt investieren, anstatt Schulden zu tilgen. Doch ist das umsetzbar?

SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz hat einen „Zukunftsplan“ präsentiert, mit dem er in den Wahlkampf ziehen und ein „modernes Deutschland“ schaffen will. Einen Schwerpunkt setzte Schulz dabei auf das Thema öffentliche Investitionen.

Was will Martin Schulz konkret?

Die Wortschöpfung klingt wahlkampfdynamisch: Martin Schulz fordert eine „Mindestdrehzahl“ für staatliche Investitionen. Der SPD-Kanzlerkandidat will der Politik der schwarzen Null, der Haushaltskonsolidierung, dem Sparen (also den Themen, mit denen die Union sich als solide Partei empfehlen will) etwas entgegensetzen, was ebenso solide klingt, aber mehr mit Geldausgeben zu tun hat – höhere Investitionen, denn wenn die Drehzahl zu niedrig ist, dann tut das dem Motor nicht gut.

Aber Schulz meint damit offenbar nicht eine deutliche Erhöhung der staatlichen Investitionsquote, indem einfach mehr Mittel draufgesattelt werden. Es geht eher darum, neben die auch von der SPD nicht in Frage gestellte Schuldenbremse ein Instrument zu setzen, das im Fall von Überschüssen – die man ja nicht plant, sondern die aufgrund der Wirtschaftsentwicklung eintreten – zur Anwendung kommt. „Der Staat – und das ist richtig – darf keine unzulässigen Defizite machen“, sagt Schulz. „Dann muss er aber auch, wenn wir das festschreiben, sein Geld nach einer verbindlichen Vorgabe für die Verbesserung der öffentlichen Infrastruktur einsetzen.“

Bisher sollten Überschüsse in die Schuldentilgung fließen. Die Sozialdemokraten wollen dagegen, dass Überschüsse investiert werden und damit produktiver verwendet werden als bisher. Daher nennt Schulz auch keine konkrete Zahl – schließlich sind Überschüsse nicht vorherzusehen. Aber man kann in der mittelfristigen Finanzplanung eben eine solche Investitionsverpflichtung verankern für den Fall, dass es zu einem Haushaltsplus kommt. Kommt es zu einem Überschuss, soll klar sein, dass die Mehreinnahmen vor allem in Investitionen fließen. „Die Investitionsverpflichtung orientiert sich an den Spielräumen des Haushalts und sorgt für eine verlässliche Investitionsplanung“, heißt es im Zukunftsplan.

Investiert der deutsche Staat wenige als andere Nationen?

Die Exportnation Deutschland liegt seit Jahren bei den öffentlichen Investitionen im internationalen Vergleich auf den hinteren Plätzen. Zwischen 2005 und 2014 stellte der Staat nach Berechnungen der Bertelsmann-Stiftung im Schnitt 2,2 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) unter anderem für Bau und Sanierung von Straßen, Schulen und Kitas zur Verfügung. Der OECD-Durchschnitt für den gleichen Zeitraum liegt bei 3,3 Prozent.

Eine Studie der Bertelsmann-Stiftung kam im Februar zu dem Ergebnis, dass Deutschland von höheren staatlichen Investitionen profitieren würde. Sollte Deutschland sein Investitionsniveau unverändert lassen, läge das durchschnittliche BIP-Wachstum demnach bis 2025 jährlich bei 1,4 Prozent. Würde hingegen auf dem Niveau des OECD-Schnitts investiert, ergäbe sich nach der Prognose ein BIP-Wachstum von 1,6 Prozent pro Jahr. „Somit könnte Deutschland 2025 knapp 80 Milliarden Euro mehr erwirtschaften.“

Wie haben sich Einnahmen und Ausgaben des Bundes in den vergangenen Jahren entwickelt?

Im Grunde ist der Vorschlag einer Investitionsverpflichtung eine Lehre aus den vergangenen Jahren: Mehrfach nahm der Bund deutlich mehr ein, als er in der Planung stehen hatte. Entsprechend stellte sich immer wieder die Frage, was zu tun sei, wenn man nicht Schulden tilgen will. Die Ausgaben mussten daher gesteigert werden. Alle Investitionsplanungen seit 2015 hat Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) daher nach oben korrigiert, für das laufende Haushaltsjahr von geplanten 31 Milliarden Euro auf jetzt gut 36 Milliarden Euro. Gleiches gilt für die kommenden beiden Jahre.

Gab der Bund 2015 noch 8,8 Prozent seiner Haushaltsmittel für Investitionen – vor allem Verkehr und Bildung – aus, sind es im laufenden Jahr elf Prozent. Freilich kommt der Bund an Grenzen, weil er nicht der Hauptinvestor ist. Das sind mit zwei Dritteln des Volumens Länder und Kommunen. Also muss der Bund, bei dem die Überschüsse vor allem auflaufen, entweder mit den Ländern und Kommunen Ausgabenprogramme vereinbaren (wie zum Beispiel das Sieben-Milliarden-Programm für finanzschwache Gemeinden), oder aber die Steuerverteilung ändern (was der Bund nicht will). Zentral gesteuerte Ausgabenprogramme aber sind nicht immer zielgenau, es braucht viel Koordinierung und Vorplanung. Das Geld ist oft vorhanden, es gibt auch Interessenten, aber es wird nicht so schnell abgerufen, wie der Bund will.

Kanzlerin Angela Merkel sagt: Das Geld ist nicht das Problem. Hat sie recht?

Nicht das Geld, sondern die langen Vorlaufzeiten und häufigen Verzögerungen bei Planungen und Genehmigungen seien das Problem öffentlicher Investitionen, sagt Merkel. „Wir können zur Zeit das Geld, was wir haben, nicht ausgeben“, sagte die Kanzlerin am Sonntagabend in der ARD. Auch Bundesbauministerin Barbara Hendricks (SPD) wies am Montag darauf hin, dass Baufirmen und das Bauhandwerk in Deutschland angesichts des enormen Bauvolumens in Deutschland derzeit am Rand ihrer Kapazitäten seien. Doch wäre eine staatliche Investitionsoffensive ein Signal, die Kapazitäten zu erhöhen. „Ein Kapazitätsaufbau ist nicht ausgeschlossen, wenn es eine Verstetigung auf staatlicher Seite gibt“, betonte die SPD-Politikerin.

Letztlich bedeutet der Schulz-Vorschlag, dass der Staat über den aktuellen Bedarf hinaus planen müsste. Also auch Projekte auf Vorrat zurücklegt für den Fall, dass es zu Überschüssen kommt. Einige Bundesländer tun dies bereits. So hat Bayern immer einige Bundesstraßenprojekte in der Schublade, falls beim Bund mehr Geld vorhanden ist, etwa weil andere Vorhaben sich verzögern. Über Nacht, das wissen alle Beteiligten, geht es aber nicht. Oft fehlen schlicht die Auftragnehmer für kurzfristige Projekte.

Schulz setzt auch auf den breiten Ausbau von Glasfaserverbindungen. Der aber kommt nicht so voran, wie sich das zum Beispiel der Deutsche Landkreistag wünscht. Unter anderem, weil ausgerechnet die Deutsche Telekom aus betriebswirtschaftlichen Gründen noch immer stark auf die kupferbasierte Vectoring- Technik setzt. Angela Merkel sieht Deutschland vor „riesigen Investitionen“ beim Breitband-Ausbau. Der Ausbau der IT-Verbindungen mit einer Übertragungsgeschwindigkeit von 50 Megabit bis 2018 sei nur ein Zwischenschritt, sagte Merkel am Montag. Nötig seien Gigabit-Verbindungen etwa entlang aller Autobahnen und zwischen Krankenhäusern. „Hier stehen uns riesige Investitionen in den nächsten Jahren noch ins Haus.“

Wie bewerten Ökonomen den Vorschlag, den Staat zu Investitionen zu verpflichten?

Der Vorschlag einer „Mindestdrehzahl“ für öffentliche Investitionen in Schulz’ Programm stammt wesentlich von Henrik Enderlein, Wirtschaftsprofessor an der Hertie School of Governance in Berlin. Enderlein, der auch den französischen Präsident Emmanuel Macron berät, schlug das Konzept bereits 2014 dem damaligen SPD-Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel vor. Neben der Investitionslücke im privaten Bereich gebe es ein „unvollständiges Regelwerk für öffentliche Finanzen“, argumentiert er. Mangels ausreichender öffentlicher Investitionen würden die „deutschen Vermögenswerte nicht in ausreichendem Maße erneuert“. Enderlein: „Den kommenden Generationen ein heruntergekommenes Haus zu hinterlassen, stellt keine verantwortungsvolle Form der Vermögensverwaltung dar.“

Ähnlich argumentiert Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Berlin. Deutschland brauche einen „rechtlich bindenden Investitionsschutz des Volksvermögens“, der die öffentliche Infrastruktur und Bildung sichere, meint der Ökonom, der auch vom „deutschen Sparirrsinn“ spricht. Verloren gegangenes staatliches Vermögen gefährde den Wohlstand.

Der Bundesverband Deutscher Banken (BdB) beurteilt den Vorschlag einer staatlichen Investitionspflicht skeptisch. „Keine Frage: In Deutschland muss wieder mehr investiert werden, nicht nur staatlich sondern auch privat”, sagte Michael Kemmer, Hauptgeschäftsführer des BdB, dem Tagesspiegel. „Eine gesetzliche Investitionspflicht für die öffentliche Hand ist aber nicht die richtige Medizin. Die Gefahr von Fehlinvestitionen wäre enorm.“ Statt Zwang und vorgegebener Planzahlen seien für Investitionen in Deutschland insgesamt bessere Rahmenbedingungen notwendig. „Dazu gehören unter anderem schnellere öffentliche Planungs- und Genehmigungsverfahren, ein leistungsfähiges und stärker an einheitlichen Zielen orientiertes Bildungssystem sowie ein wirtschafts- und innovationsfreundliches Umfeld", sagte Kemmer.

Skeptisch sieht auch der Wirtschaftswissenschaftler Clemens Fuest, Präsident des Münchener ifo-Instituts, eine Investitionsverpflichtung für den Staat. „Oft sind wir schon an dem Punkt angelangt, dass das Geld nicht mehr ausgegeben werden kann, weil es an sinnvollen Projekten fehlt“, sagte er dem „Handelsblatt“. Forderungen etwa von Frankreichs Präsident Macron nach mehr Investitionen von Deutschland weist Fuest zurück. Deutschland müsse vielmehr die Bedingungen für private Investitionen im eigenen Land verbessern.

Was hält die die Bundesbank, von einer Pflicht zu staatlichen Investitionen?

Bei öffentlichen Ausgaben schlägt die Bundesbank einen vorsichtigen Ton an. Dabei kann sie derzeit alles andere als unzufrieden sein. Schließlich sind die Staatsschulden 2016 um weitere 18 Milliarden Euro gesunken auf rund 2,14 Billionen. Damit ist auch die Schuldenquote weiter von mehr als 71 auf nur noch 68,3 Prozent abgerutscht. Der Trend stimmt. Aber das Ergebnis in den Augen der Bundesbank noch nicht. Schließlich verletzt Deutschland nach wie vor die im Vertrag von Maastricht vorgesehene Obergrenze von 60 Prozent weiter. Erst 2020 soll sie unter diese Schwelle sinken. Konkret äußern will sich die Bundesbank zu Schulz’ Programm nicht. Generell attestiert sie aber Defizite bei staatlichen Investitionen. „Auch Deutschland steht vor großen Aufgaben“, sagt Bundesbank-Präsident Jens Weidmann. „So muss es seine sozialen Sicherungssysteme demografiefest machen, die Erwerbsbeteiligung weiter erhöhen und mehr in Bildung investieren.“ Und auch bei der staatlichen Infrastruktur besteht nach Auffassung der Notenbank Nachholbedarf ungeachtet der im internationalen Vergleich sehr gut bewerteten Qualität.

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