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Ein paar Sessel mehr? Der nächste Bundestag könnte größer werden als der scheidende.

© Kay Nietfeld/dpa

Bundestagswahl: Parlament könnte 650 Abgeordnete haben

Eine aktuelle Prognose zeigt: Der nächste Bundestag könnte nochmals größer werden. Das liegt nicht zuletzt an der SPD, die immer weniger Direktmandate gewinnen kann.

Auch der nächste Bundestag wird wieder etwas größer sein. Nach einer aktuellen Prognose wird er nochmals mehr Abgeordnete haben als das Parlament, das in zwei Monaten abgelöst wird. 631 Abgeordnete versammelten sich nach der Wahl 2013 im Reichstagsgebäude. Nach einer Berechnung des Hamburger Wahlinformationsdienstes „election.de“ für den Tagesspiegel könnten es im Herbst 650 Parlamentarier werden. Die Mindestgröße des Bundestags liegt bei 598 Mandaten.
Dass es jetzt schon und mutmaßlich auch im Herbst deutlich mehr Abgeordnete sind, liegt daran, dass das seit 2013 angewendete Wahlrecht ein eingebautes Vergrößerungspotenzial besitzt. Es gleicht Mandate, die Parteien über ihren eigentlichen Anspruch hinaus bekommen, durch zusätzliche Sitze so lange aus, bis der bundesweite Parteienproporz erreicht ist. Der Ausgleichsbedarf entsteht durch den seit Jahrzehnten bekannten klassischen Typ des Überhangmandats (wenn eine Partei mehr Direktmandate holt, als ihr nach dem Parteienproporz insgesamt an Sitzen zustehen) oder aber aus Überhangmandaten (oder auch Mehrmandaten), die sich aus dem 2013 eingeführten zweistufigen Zuteilungsverfahren ergeben.
Matthias Moehl von „election.de“ geht auf der Basis der durchschnittlichen Umfragewerte der Wahlforschungsinstitute davon aus, dass es insgesamt zu 21 Überhangmandaten kommt – 20 für die CDU, eines für die SPD (in Hamburg). Diese werden durch 31 Ausgleichsmandate ergänzt. Der Schnitt der Umfrageergebnisse derzeit: 39,7 Prozent für die Union (wobei Moehl die CSU bei 47 Prozent ansetzt), 23 Prozent für die SPD. Die kleineren Parteien liegen zwischen acht und neun Prozent: 8,7 für die Linken, die FDP kommt auf 8,3, Grüne und AfD haben jeweils acht Prozent.

SPD nur noch regional mit Direktkandidaten

Die Vergrößerung des Bundestags hängt damit zusammen, dass die SPD derzeit zu schwach ist, um Direktmandate in früher gewohnter Zahl zu gewinnen. Das bedeutet freilich auch, dass die Union viele Wahlkreissieger stellt, die bei den Erststimmen keineswegs üppige Anteile erreichen. Nach der Prognose von „election.de“ haben die Sozialdemokraten derzeit nur in 35 Wahlkreisen eine Chance, das Direktmandat zu erringen – und davon sieht Moehl nur noch einen als sicher an. Mit 17 Mandaten käme etwa die Hälfte dieser Wahlkreissieger aus Nordrhein-Westfalen, wo die CDU aber 47 Direktmandate holt. Die Union dagegen hat nach der Prognose 174 Direktmandate sicher, in 85 Fällen kann sie mit einem Sieg rechnen. Das wären 259 der 298 Direktmandate. Käme es so, wäre das ein Direktmandatsrekord für die Union (2013 waren es 236). Die SPD hatte hingegen noch nie so wenige Wahlkreissieger, nicht einmal in den 50er Jahren, als der Bundestag weniger als 500 Abgeordnete hatte. Das Problem ist nicht zuletzt eines der besonderen regionalen Schwäche der SPD: Sie kann selbst bei einem besseren Bundesergebnis in Bayern, Baden-Württemberg und allen Ost-Ländern (außer Berlin) keine Wahlkreise gewinnen. Genügend Potenzial für Wahlkreissiege haben die Sozialdemokraten dagegen nur noch im Ruhrgebiet, in Nordhessen, im südlichen Niedersachsen rund um Hannover, in Hamburg und Bremen – und in der Traditionshochburg Aurich-Emden.

Gründe für Wahlrechtsreform bleiben

In den Bundestagsfraktionen könnte die neue Prognose für ein gewisses Aufatmen sorgen. 650 Sitze alles in allem, das sind nicht deutlich mehr als bisher, und die Zahl ist weit entfernt von den „Horrorszenarien“, die von 700 oder noch mehr Abgeordneten ausgehen. Doch das Ergebnis muss gar nicht so weit entfernt sein vom aktuellen Umfragenschnitt, und schon landet man bei einem Plus von 80, 90 oder mehr als hundert Abgeordneten. So ergibt eine Berechnung auf dem Portal „Mandaterechner.de“ mit 36 Prozent für die Union und 28 Prozent für die SPD (bei jeweils acht Prozent für AfD, FDP, Grüne und Linke) 697 Abgeordnete. Nur wenn die Union weit über 40 Prozent landen würde und die SPD noch weiter einbräche, näherte sich die Abgeordnetenzahl der Mindestgröße. Insofern dürfte die Debatte um eine Reform des Wahlsystems in der neuen Wahlperiode weitergehen. Denn die Unberechenbarkeit der Parlamentsgröße ist der große Nachteil des gegenwärtigen Systems. Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) hatte versucht, auch durch einen eigenen Vorschlag, bereits in dieser Legislaturperiode zu einer Reform zu kommen. Aber die Fraktionen fanden nicht zusammen. Der Bundestagszeitschrift „Das Parlament“ sagte Lammert nun, er hoffe, dass die „von allen gemeinsam gesehenen Risiken“ bei den nächsten Bundestagswahlen gar nicht einträten. „Wenn es doch so kommt, wird die notwendige Veränderung noch schwieriger.“

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